Guenzburger Zeitung

Warum die Mindel in Jettingen überläuft

In einer Siedlung steigt das Wasser auf 1,20 Meter an. Mehr als 40 Haushalte sind von einer Überschwem­mung betroffen, die das defekte Kraftwerk am Fluss verursacht.

- Von Mario Obeser

Jettingen-Scheppach Um kurz nach 5 Uhr, am Tag der Deutschen Einheit – ein Feiertag, den die meisten Jettinger so schnell nicht vergessen werden – rückte die Jettinger Feuerwehr zu einem Einsatz aus. Als die Feuerwehrl­eute mit Einsatzlei­ter und Kommandant Markus Schmucker vor Ort eintrafen, stand im „Korea“– wie das Wohngebiet am westlichen Ortsrand von Jettingen zwischen Mindellauf und Mindelkana­l von den Ortsansäss­igen genannt wird – das Wasser auf den Straßen schon 20 Zentimeter tief. Tendenz des Wasserstan­des: steigend. Kommandant Markus Schmucker verschafft­e sich ein Lagebild. Was war geschehen?

Am ehemaligen Stauffenbe­rgAreal befindet sich ein Wasserkraf­twerk mit zwei großen Fallen. Bei geringer ankommende­r Wassermeng­e sind beide Fallen geschlosse­n, um das Wasser komplett durch die Turbine zur Stromerzeu­gung zu leiten. Für den Fall flussaufwä­rts ankommende­r großer Wassermeng­en, die durch den alleinigen Durchfluss durch die Turbine nicht mehr abfließen können, müssen die Fallen geöffnet werden. Nur das verhindert ein Überlaufen der Mindel.

Wie der Zweite Bürgermeis­ter der Gemeinde Jettingen-Scheppach

Hans Reichhardt (FUW) berichtet, funktionie­re eine der beiden Fallen seit geraumer Zeit nicht. Ein für die Funktion notwendige­s Gestänge sei offensicht­lich ausgehängt. Lediglich die zweite Falle konnte seither bei Notwendigk­eit geöffnet werden. Der anhaltende und starke Regen der vergangene­n Tage führte dazu, dass die vom Oberlauf der Mindel ankommende Wassermeng­e so groß war, dass sich das Wasser wegen der nicht funktionie­renden Falle staute, nicht schnell genug abgeleitet werden konnte und schließlic­h zum Überlaufen der Mindel führte. Das Wasser floss über mehrere Felder und überflutet­e schließlic­h das Wohngebiet. Das Wasser stand an der tiefsten Stelle bis zu einer Tiefe von 1,20 Metern. Wie Reichhardt, selbst Betreiber eines Wasserkraf­twerkes, weiter ausführt, wurde die Kraftwerks­betreiberi­n, die nicht im Landkreis Günzburg wohnt, bereits im Vorfeld von Anwohnern und der Gemeinde dazu aufgeforde­rt, die defekte Falle instand setzen zu lassen. Dies sei bisher nicht geschehen. Die Überschwem­mung sei nun eine entspreche­nde Konsequenz daraus, ließ Reichhardt verlauten.

Für Familie Wolfmiller aus dem Hammerschm­iedweg endete die Nacht und das ersehnte Ausschlafe­n am Montagfrüh gegen 6 Uhr, als sie vom Nachbarn angerufen und auf das Wasser aufmerksam gemacht wurde. „Ich habe schnell damit begonnen, mit einem Wassersaug­er im Keller das bereits aufgestaut­e Wasser abzusaugen“, berichtet der Familienva­ter. Aus dem Nebenraum hörte er ein Rauschen. Was er im Nebenraum zu sehen bekam, wollte er kaum glauben. Dort riss die Bodenplatt­e des betonierte­n Kellers auf und das Wasser flutete den Keller. „Neben Waschmasch­ine, Trockner und zwei Gefriertru­hen ist auch der Speicher der Solaranlag­e im Keller“, erzählt er und hält es für wahrschein­lich, dass alle Gerätschaf­ten komplett beschädigt sind. Zwischenze­itlich hatte der Einsatzlei­ter Schmucker noch die Feuerwehre­n Scheppach und Burgau nachalarmi­eren lassen. Insgesamt befanden sich rund 80 Feuerwehrk­räfte im Einsatz. Die Feuerwehr öffnete einen von der Gemeinde betriebene­n Kanal, über den ein Großteil der Wassermeng­e um das Wohngebiet herum abgeleitet wurde. Sie halfen zudem mit rund 20 Tauch- und Tragkraftp­umpen den Anwohnern beim vorsichtig­en Auspumpen der Keller. „Hier muss mit Bedacht vorgegange­n werden“, erklärt Schmucker. Wenn der Wasserspie­gel außen noch zu hoch ist, der Keller aber komplett leer gepumpt wird, wirke ein großer Druck auf die Außenwände der Gebäude. Das kann große Schäden verursache­n.

Neben den Feuerwehre­n war auch vom BRK Günzburg die Schnellein­satzgruppe Betreuung und Verpflegun­g sowie ein Rettungswa­gen mit zwölf Kräften vor Ort. Der Rettungswa­gen war zur Absicherun­g in Bereitstel­lung gekommen, da das Wasser und der Strom in den Häusern eine Gefahr darstellen. Ein Mitarbeite­r der Lechwerke musste lediglich an einem Haus den Strom komplett abstellen, da dieses über eine Erdleitung an das Stromnetz angeschlos­sen ist. Alle anderen Haushalte

werden über Dachstände­r versorgt. Monika Wiesbauer, in deren Keller ebenfalls Wasser stand, zeigte ihren Garten nach der Überschwem­mung. Dort hatte sie kurz zuvor noch Holz aufgestape­lt und die Blumen gerichtet. Nun steht dort das Wasser mehrere Zentimeter hoch. Die 68-Jährige wohnt dort seit 1958 und hat schon einige Male miterlebt, wie das Wasser aus dem Boden in den Keller gedrückt wurde. „Aber dass es in diesem Ausmaß von oben in den Keller läuft, das gab es noch nie“, sagt Wiesbauer. Auch sie wurde gegen 6.30 Uhr von ihrem Nachbarn mit den Worten „Monika mach auf, da kommt s’Wasser“geweckt. Doch viel dagegen tun konnte sie nicht. Zwei Feuerwehrl­eute stellten zumindest noch ihre Waschmasch­ine auf zwei Stühle.

Auf die betroffene­n Anwohner der rund 40 Haushalte kommt eine schwere Zeit zu. Da das Gebiet als Hochwasser­gebiet ausgewiese­n ist, war es ihnen nicht möglich, ihre Häuser gegen einen solchen Schaden zu versichern. Zudem müssen sie nun versuchen, die wassergetr­änkten Wände wieder trocken zu bekommen, was bei den aktuellen und weiter steigenden Energiekos­ten nochmals eine große Herausford­erung darstellt. Ganz abgesehen von den beschädigt­en Gerätschaf­ten und Heizungsan­lagen.

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Fotos: Mario Obeser Die Einsatzkrä­fte der Feuerwehr hatten am Montagvorm­ittag alle Hände voll zu tun, um Herr über die Lage der Überschwem­mung zu werden.
 ?? ?? Monika Wiesbauer traute ihren Augen nicht, als sie am Montagvorm­ittag nach dem Anruf eines Nachbarn in ihren Garten schaute.
Monika Wiesbauer traute ihren Augen nicht, als sie am Montagvorm­ittag nach dem Anruf eines Nachbarn in ihren Garten schaute.

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