Wenn der ICE über das Kammeltal rauscht
Rund 350 Menschen kommen zur Demo nach Großanhausen: Horrorvisionen statt schwäbischer Eisenbahnidylle waren die Grundstimmung. Ein Experte bezeichnet das Projekt als wirtschaftlichen Irrsinn.
Burgau/Großanhausen Ein ICE würde südlich von Unterknöringen aus dem Berg schießen, ein etwa 20 Meter hohes Brückenbauwerk über das Kammeltal queren und anschließend in einem weiteren Tunnel seine Fahrt fortsetzen. Für das visualisierte Tunnelportal an der Staatsstraße zwischen Unterknöringen und Kleinbeuren und wie dies bei einer der vier geplanten Trassenvarianten der Bahnstrecke Ulm–Augsburg aussehen könnte, sorgte ein knapp 20 Quadratmeter großes Plakat. Es stammt von dem Künstler Christian Köstinger aus dem österreichischen Graz und war Teil der Veranstaltung am Samstag bei Großanhausen.
Eingeladen hatte die Bürgerinitiative Schwabentrasse (Bischt) mit der Bürgerinitiative Limbach. Eine Demo gegen die Zerstörung schwäbischer Heimat und eine Infoveranstaltung über andere Möglichkeiten eines Aus- oder Neubaus der Trasse, wie Moderator und Dritter Bürgermeister der Stadt Burgau Herbert Blaschke (FDP) diese bezeichnete. Die aber habe die Bahn bisher nicht aufgenommen.
Die Kommunikation funktioniere immer nur in eine Richtung, kritisierte Burgaus Bürgermeister
Martin Brenner (CSU) in seinem Grußwort. Zu einer an die Bahn gerichteten detaillierten Liste, inwieweit die Stadt Burgau von den jeweiligen Trassen betroffen wäre, habe man bis jetzt noch keine Antwort erhalten. Stattdessen habe diese im Juli eine weitere Variante vorgestellt, die mit der Stadt Burgau weder angekündigt noch abgesprochen gewesen sei. „Wir stehen dem Projekt nicht absolut negativ gegenüber, aber es müssen bestimmte Parameter erfüllt sein. Momentan sehen wir darin absolut keinen Mehrwert“, betonte Brenner. Mehrwert bedeute gleichzeitig den Ausbau des Nahverkehrs, Barrierefreiheit der Bestandsbahnhöfe
und einen größtmöglichen Emissions- und Lärmschutz. Das jedoch werde seitens der Bahn in keinster Form signalisiert.
Die Bürgerinitiative Limbach lehnt alle vier Grobtrassen in der derzeitigen Form ab und fordert einen Ausbau der Bestandstrasse. Man wolle mit der Bündelung der Interessen anderer Bürgerinitiativen das Bestmögliche für die Region erreichen, betonte Vorsitzender Thomas Schilling. Was den Burgauer Stadtteil Limbach angehe: Bereits mit dem Ausbau der Autobahn habe die Infrastruktur des Ortes massiv gelitten, das Bahnprojekt bringe neben zusätzlichem Lärm gleichzeitig Brückenbauwerke
mit, die keiner haben wolle. Wenn eine Trasse gebaut werde, dann müsse diese verträglich sein. Mehrmals wurde der Vortrag Schillings unterbrochen: Anhand einer Animation mittels Leinwand und Lautsprecher rauschten in regelmäßigen Abständen ICE- und Güterzüge durch das inzwischen vollgefüllte Zelt.
Die Bahn entwickle sich immer weiter weg von der Bürgerbahn, erklärte Bischt-Vorsitzender Jürgen Zimmermann. Anstatt dringendst notwendiger Maßnahmen für Bestandsstrecken favorisiere die Bahn Neubau- und Hochgeschwindigkeitsstrecken und lege den Fokus auf gewinnbringenderen Fernverkehr auf Kosten der Region und des Schienenpersonennahverkehrs. Die Bahn müsse Dienstleister für die Bürgerinnen und Bürger und nicht allein auf Profit ausgerichtet sein. Zimmermanns Forderung nach Verlässlichkeit, Pünktlichkeit und Nutzen im ländlichen Raum anstatt eines CO2-intensiven und milliardenschweren Neubaus sorgte für Beifall. Verkehrsexperte Herbert König, ehemaliger Geschäftsführer des Augsburger Verkehrsverbunds und der Münchener Verkehrsgesellschaft, bezeichnete das Projekt als wirtschaftlichen Irrsinn: Ja zum Bahnausbau für mehr Leistungsfähigkeit, aber dort, wo es erforderlich sei, so König. Die Bestandsstrecke verfüge über hohes Potenzial, welches noch nicht einmal untersucht worden sei. Zudem gäbe es Möglichkeiten, diese mit integriertem Lärmschutz und in bestimmten Abschnitten mit Neubaustrecken zu kombinieren. König forderte gleichzeitig, die Vorgaben des Bundes für den Deutschlandtakt zu überdenken. Man könne auch mit anderen Fahrzeiten als mit 26 Minuten zwischen Augsburg und Ulm Konzepte realisieren, die möglicherweise sogar Verbesserungen mit sich brächten. Eine gleichwertige Alternativplanung für einen Ausbau der Bestandsstrecke würde zudem für einen fairen Vergleich mit den derzeitigen Varianten sorgen.
Also auch keine schwäbische Eisenbahnromantik am Samstag: Dentatus vom Eichberg alias Peter Mader hatte das Lied von der „Schwäbischen Eisenbahn“etwas zeitgemäßer getextet und eines seiner „Versla“zur schwäbischen Heimat gab es obendrein. Also: „Trasse, Trasse trullala“– bis der „Krach di narrisch macht“und schon gar keine solche, die „bloß das Kammeltal versaut“.
So sah es jedenfalls Dentatus, aber auch die meisten der etwa 350 Besucherinnen und Besucher, die zu der Veranstaltung gekommen waren.