Punk-Ikone mit Power
Billy Idol begeistert seine Fans in der Olympiahalle mit Hits aus den 1980er Jahren. So energiegeladen wie früher ist der 66-Jährige nicht mehr, aber er hat immer noch Spaß – und liefert sogar einen kleinen Scheiß-Drauf-Moment.
München Er zieht die Oberlippe hoch, greift sich in den Schritt und streckt die Faust nach oben. Nach wenigen Sekunden liefert Billy Idol das, was seine Fans sehen wollen. Die Posen des Punkrockers sind legendär – genauso wie seine wasserstoffblonde Stachelfrisur. Auch die trägt der Brite beim Konzert in der Münchner Olympiahalle so selbstverständlich wie Lederjacke und Nietengürtel, als wäre die Zeit stehen geblieben damals in den 1980er Jahren, als Idol einen Hit nach dem anderen landete, mit rebellischer Haltung die Musikindustrie aufmischte und den Punkrock salonfähig machte.
Seit fast 40 Jahren steht Idol auf der Bühne. Die Olympiahalle füllt er nicht mehr vollständig, aber seine Auftritte sind ein Erlebnis – nicht nur für eingefleischte Fans. Zwar springt er nicht mehr so energiegeladen wie früher über die Bühne. Seine Bewegungen reduzieren sich auf Kopfnicker, Kniewipper oder einen sanften Fußkick. Aber musikalisch liefert Idol ab – auch dank der Unterstützung seines langjährigen Gitarristen Steve Stevens.
Hits wie „Dancing with myself“, „Mony“oder „Flesh for Fantasy“sitzen. Idol nudelt das nicht runter. Der Brite ist immer noch um eine gute Show bemüht und hat Spaß dabei. Selbstinszenierung ist seine Stärke. Das war schon so, als Idol in den 1970er Jahren mit seiner ersten Punkband „Generation X“durch die Londoner Clubs zog. Er war sexy, wild und aufsässig. Ein Musiker und Frauenheld, der meist um sich selbst kreiste und trotzdem alle mitriss.
In der Olympiahalle flimmern Videos über die Leinwand. Die schlichte Industriekulisse oder blinkende Großstadtszenerie wirken in ihrer Ästhetik aus der Zeit gefallen. Aber das passt zum Rest der Show. Auch manche Fans tragen noch immer die 80er-JahreFöhnfrisur und schwelgen in Erinnerungen an die rebellische Jugend, als die Band „One hundred punks“anstimmt.
Idol selbst hatte den Höhepunkt seiner Karriere Ende der 1980er erreicht. Zeitweise machte er vor allem mit Drogenexzessen und Sexorgien von sich reden. Er saß mehrfach vor Gericht und verletzte sich bei einem Motorradunfall schwer. Seine Eskapaden hat der 66-Jährige musikalisch verarbeitet. „Running from the ghost“heißt der neue Song, veröffentlicht vor eineinhalb Wochen auf der EP „The Cage“. Die Geister der Vergangenheit verfolgen ihn.
Es sei kein Spaß gewesen, von den Drogen loszukommen, lässt er seine Fans wissen. Doch der Punkrocker hat es geschafft. Seit einem Entzug Anfang der 1990er Jahre ist er clean. Gesittet nippt er heute auf der Bühne an der Wasserflasche. Als er das Lied über seine Drogenvergangenheit anstimmt – musikalisch erinnert es an „Thunderstruck“von AC/DC –, braucht Idol zwei Anläufe, nicht weil er zugedröhnt ist, sondern weil er den Ton nicht trifft. Er nimmt’s gelassen, lacht auf und singt weiter.
Immer wieder klingt eine schiefe Note durch, gerade bei den neueren Liedern. Aber man kann es dem Punkrocker nicht verübeln, man schaut ihm immer noch gerne zu. Idol ist sich dessen bewusst. Viermal wechselt er die Klamotten und steht am Ende immer mit aufgeknöpftem Hemd auf der Bühne. Dabei fühlt er sich gar nicht so fit am Abend. „Ich bin erkältet, die letzten Tage waren schrecklich“, krächzt er mit nasaler Stimme. „Aber die Zeit hier auf der Bühne ist es wert.“Dann liefert er einen kleinen Scheiß-drauf-Moment: Er fasst sich an die Nase und rotzt zweimal kräftig auf die Bühne. Punkrock, Baby!
Gitarrist Steve Stevens haut virtuose Soli und rockige Riffs raus – mal verzerrt, mal akustisch – und wirkt wie der heimliche Star der Show. Gerade als er ein spanisches Gitarrensolo mit „Stairway to Heaven“-Elementen dudelt, unterbricht er abrupt und brüllt, was das hinter ihm soll. Ratlose Blicke im Publikum. Meint er da jetzt den Rauch aus der Nebelmaschine oder etwas anderes? Als der Mann dann über die Bühne stürmt und beinahe stolpert, weil das Verstärkerkabel zu kurz ist, wirkt es wie eine ungewollte Slapstick-Einlage. Aber der Moment ist schnell überspielt; Stevens ist einfach großartig an der Gitarre.
Am Ende spielen sie ihn dann doch noch. Den Song, auf den alle gewartet haben und der Idol 1983 nach oben katapultierte. „Rebel Yell“. Markantes Intro, eingängiger Refrain und alle grölen mit – auch nach 40 Jahren. Alle wollen more, more, more und bekommen es. Als Zugabe wirft sich Idol noch mal in Schale. Nach „Born to Lose“und dem Klassiker „White Wedding“verabschiedet sich der Punkrocker – mit erhobener Faust. Er ist noch der Alte, wenn auch nicht mehr so energiegeladen.