War’s das, Herr Schuhbeck?
Über eine Million Euro Steuern soll der frühere Sternekoch hinterzogen haben. Zu Prozessbeginn im Münchner Justizpalast wirkt der 73-Jährige deutlich mitgenommen. Sein Mitangeklagter belastet ihn schwer. Seine Verteidiger mutmaßen, er könnte selbst das Op
München Ist er es wirklich? Der Mann, der an diesem Oktobermorgen vor der Anklagebank im Sitzungssaal 134 im Münchner Justizpalast auf den Beginn der Hauptverhandlung wartet, hat schon rein äußerlich nicht mehr viel zu tun mit dem zünftigen bayerischen Fernsehkoch, als den die meisten Menschen ihn kennen. Alfons Schuhbeck, 73, wirkt, als wäre er in den vergangenen 14 Monaten um Jahrzehnte gealtert. Das einst fast kugelrund scheinende Gute-Laune-Gesicht ist schmal und faltig geworden. Die tief in ihren Höhlen liegenden Augen zeugen von Trauer, vielleicht sogar Scham. Der vormals spitzbübische Blick geht über die Fotografen und Kameraleute hinweg ins Leere.
Eine Viertelstunde lang geht das so. Schuhbeck, der früher von Fernsehkameras gar nicht genug bekommen konnte, erträgt es schweigend, als Angeklagter auf dem Präsentierteller zu stehen. Was danach kommt, ist ohnehin sonnenklar. Häme, Spott und vielleicht ein bisserl Mitgefühl – echt oder geheuchelt – werden über ihn hereinbrechen, gepaart mit mehr oder weniger gelungenen Wortspielen in der Boulevardpresse. Die Bild-Zeitung hat zum Prozessauftakt schon mal eine Richtung vorgegeben mit der Schlagzeile: „Dieses Gericht schmeckt Schuhbeck gar nicht.“Sogar die ansonsten weitgehend humorlose Justiz macht da im Rahmen ihrer Möglichkeiten mit. Das Strafverfahren läuft unter dem Kennwort „Ingwer“, benannt nach der Wurzel, die bekanntlich der beste „Spezi“des Fernsehkochs war.
Eigentlich sollte Schuhbeck die Situation vor Gericht nicht fremd sein. Bereits 1994 saß er wegen eines Betrugsdelikts auf der Anklagebank. Auch damals schien es schon so, als würde dem rasanten Aufstieg ein tiefer Fall folgen. Dieses Mal könnte es wirklich so sein. Der mitangeklagte Jürgen W., ein 57-jähriger EDV-Fachmann, belastet ihn schwer.
Schuhbeck, geboren als Alfons Karg in Traunstein, hatte es vom Feldküchenkoch bei der Bundeswehr und Kantinenwirt in München zum Sternekoch (1983) und zum Koch des Jahres bei den Restaurant-Kritikern des Gault-Millau (1989) gebracht. Am Anfang seiner Karriere stand ein Glücksfall: Auf den kinderlosen Gastwirt Sebastian Schuhbeck hatte der junge Mann, der mit seiner Rockband „Die Scalas“einst zufällig durch das oberbayerische Waging kam, einen derart guten Eindruck gemacht, dass er ihn adoptierte und ihm seine Dorfwirtschaft am Waginger See vererbte. Zum Glück kam harte Arbeit: Schuhbeck lernte bei Großmeistern der modernen Küche und übernahm 1980 das „Kurhausstüberl“. Und dann stellte sich in atemberaubend kurzer Zeit ein fast märchenhafter Erfolg ein: Die Dorfwirtschaft entwickelte sich zum Geheimtipp und seine Künste am Herd katapultierten den jungen, energiegeladenen Koch in eine neue Welt. Die Schönen und Reichen aus München und Salzburg gingen in Waging ein und aus. Aus dem Sternekoch wurde erst ein Prominentenkoch, dann ein Fernsehkoch – bis ihn zum ersten Mal Staatsanwälte ins Visier nahmen. Schuhbeck wurde zu einem Jahr Gefängnis auf Bewährung und einer Geldstrafe in Höhe von 250.000 Mark verurteilt.
Aus der Bahn geworfen aber hat ihn dieses Urteil nicht. Die Prominenten dinierten weiterhin bei ihm. Der FC Bayern machte ihn zu seinem Mannschaftskoch. Er kochte für Charlie Chaplin und die Beatles, für Bundeskanzlerin Angela Merkel und sogar für Queen Elizabeth II. Mit jeder Koch-Show im Fernsehen wuchs seine Popularität. Er demonstrierte den Hobbyköchen landauf landab, wie man der bayerischen Küche etwas mehr Leichtigkeit verpasst. Seine Kochbücher gingen weg wie die warmen Semmeln. Und rund um das „Platzl“im Herzen Münchens baute er sich in direkter Nachbarschaft zum Hofbräuhaus ein stattliches Imperium auf: Die Restaurants „Südtiroler Stuben“, „Orlando“und „Schuhbecks Fine Dining“, dazu eine Kochschule und eine Eisdiele sowie einen Gewürz-, einen Tee- und einen Müsliladen. Das brachte dem Koch, der längst zum Chef eines verzweigten Firmengeflechts mutiert war, den wenig schmeichelhaften Beinamen „Platzlhirsch“ein.
Doch spätestens seit dem Juli 2021 wurde offenbar, dass das Imperium wankt. Schuhbeck musste beim Amtsgericht München Insolvenz anmelden. Investoren retteten Teile seiner Unternehmen. Er gab der Corona-Krise und ausbleibenden Staatshilfen die Schuld für den Niedergang. Gerüchte über nachlassende Geschäfte und Millionenschulden aber gab es schon zuvor. Und seit dann auch noch Steuerfahnder und Staatsanwälte genauer hinschauten und im November 2021 Anklage wegen Steuerhinterziehung in Millionenhöhe erhoben, steht Schuhbeck vor den Trümmern seines Lebenswerks.
Jetzt wird ihm in dem Gerichtssaal der Prozess gemacht, in dem vor acht Jahren auch sein berühmter Spezl, der frühere Bayern-Manager Uli Hoeneß wegen Steuerhinterziehung zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden war. Einen Stuhl weiter sitzt der Mitangeklagte Jürgen W. Oder sollte man sagen – der Kronzeuge?
Es dauert eine kleine Weile, bis es richtig spannend wird. Die Staatsanwältin verliest die zehnseitige Anklageschrift mit langen Zahlenreihen: Daten, Summen, Fristen. Unterm Strich steht der Vorwurf, Schuhbeck habe in den Jahren 2009 bis 2016 als Geschäftsführer von drei seiner Unternehmen in 20 tatmehrheitlichen Fällen Einkommens-, Umsatz- und Gewerbesteuer in Höhe von insgesamt 2.366.232 Euro verkürzt und dadurch für sich oder für seine Gesellschaften Steuervorteile in Höhe von 1.138.345 Euro erlangt. Im Restaurant Orlando soll er „zur Verschleierung der tatsächlichen Verhältnisse“ein eigens von dem EDV-Fachmann Jürgen W. programmiertes „Tool“(Werkzeug) eingesetzt haben, um die Einnahmen in der Buchhaltung im Nachhinein kleiner zu rechnen und so die Steuern zu verkürzen. In den Südtiroler Stuben soll er, allerdings ohne das Tool zu verwenden, in ähnlicher Weise vorgegangen sein.
Die Richterin berichtet von einer Besprechung Anfang Juni dieses Jahres, in der die Verteidiger Markus Gotzens und Sascha König offenbar auszuloten versuchten, ob sie mit einem Teilgeständnis ihres Mandanten bezüglich des Orlando eine Gefängnisstrafe abwenden können. Der Hintergrund: Würden Gericht und Staatsanwaltschaft sich im Gegenzug bereit erklären, die Teile der Anklage fallen zu lassen, welche die Südtiroler Stuben und eine Holding-Firma betreffen, könnte die Schadenssumme unter eine Million Euro gedrückt werden. Das ist nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs die Grenze, unter der eine Strafaussetzung zur Bewährung noch möglich ist. Gericht und Staatsanwaltschaft aber lehnten einen derartigen Deal ab. Es bleibe ein „hinreichender Tatverdacht“.
In der Verhandlung geht es jetzt zur Sache. Zwar spricht Schuhbeck nur über seine persönlichen Verhältnisse und schweigt ansonsten. Aber seine Verteidiger überziehen die Staatsanwaltschaft mit Vorwürfen. Sie räumen zwar „Auffälligkeiten“in den ausgewerteten Daten ein. „Damit steht jedoch“, so erklären sie, „mitnichten fest, dass Herr Schuhbeck die Kassen der beiden Restaurants manipuliert hat. Die Ermittlungsbehörden können für die Annahme, dass tatsächlich Herr Schuhbeck die Kassen manipuliert hat, bis zum heutigen Tage kein einziges Indiz, geschweige denn einen Beweis vorlegen.“Zweifel an der Täterschaft von Herrn Schuhbeck seien „mutmaßlich“ignoriert worden.
Und die Ermittler hätten gar nicht erst den Versuch unternommen, wie Schuhbeck die Kasse hätte manipulieren können, „wenn er zu den fraglichen Zeiten oftmals – und nachweislich – überhaupt nicht in Deutschland gewesen ist“. Außerdem sei unklar, wo all die Millionen in bar geblieben sein sollen. Diese Ungereimtheiten müssten jetzt vor Gericht geklärt werden, sagen die Verteidiger und schließen mit dem Satz: „Möglicherweise stellt sich hierbei am Ende des Verfahrens heraus, dass Herr Schuhbeck nicht Täter, sondern selbst Opfer ist, weil nicht (nur) der Fiskus, sondern zuvorderst er betrogen wurde.“
In krassem Gegensatz dazu steht die Darstellung der Vorgänge durch den Mitangeklagten Jürgen W., dem die Staatsanwaltschaft Beihilfe zur Steuerhinterziehung zur Last legt. Er lässt durch seine Anwältin erklären, dass „die Tatvorwürfe im Wesentlichen zutreffend sind“. Er habe das „Tool“im Auftrag von Schuhbeck entwickelt. Ihm sei dabei klar gewesen, dass
Früher konnte Schuhbeck von Fernsehkameras nicht genug bekommen
Das Gericht will sich erst einmal vom „Wumms“erholen
Schuhbeck nachträglich Umsätze löschen und Bargeldeinnahmen verschleiern wollte.
Dies sei nicht über die Kassen, sondern nur über ein Programm möglich gewesen, das nur Schuhbeck habe freischalten können. Das Programm sei auf einem USBStick gespeichert gewesen, den er ausschließlich Schuhbeck gegeben habe. Es sei nur im Orlando, nicht aber in den Südtiroler Stuben zum Einsatz gekommen.
Dass er sich überhaupt darauf eingelassen hatte, Schuhbeck in der Weise zu Diensten zu sein, begründet Jürgen W. mit einem Abhängigkeitsverhältnis. Er sei als Selbstständiger mit einem Unternehmen für Kassensysteme pleite gegangen. Schuhbeck sei einer der Kunden gewesen und habe ihm die Hauptschuld an den Mängeln in der Software gegeben. Gleichzeitig aber habe er ihm, als er „arbeitslos auf der Straße“stand, angeboten, für ihn zu arbeiten. „Ich sagte sofort zu und war dankbar für die Chance, die er mir bot“, so der 57-Jährige.
Diese Aussage macht Eindruck. Die Vorsitzende Richterin entlässt die Verfahrensbeteiligten in die Pause mit den Worten: „Um mit Herrn Scholz zu sprechen, müssen wir uns erst einmal von dem Wumms erholen.“
Alfons Schuhbeck schweigt auch nach der Sitzungspause. Möglicherweise werde er sich noch zur Sache äußern, sagen seine Verteidiger.
Die Verhandlung wird am kommenden Mittwoch fortgesetzt.