Merkel gegen Merz: Das Machtspiel wiederholt sich
CDU-Chef Friedrich Merz könnte eigentlich in aller Ruhe Oppositionspolitik gestalten. Wenn da nicht Angela Merkel wäre. Die Alt-Kanzlerin funkt ihm ständig dazwischen. Vor allem in der Russland- und Flüchtlingspolitik.
Berlin Einst bedeutete das Internet für Angela Merkel „Neuland“. Da war die CDU-Politikerin noch Bundeskanzlerin, es schob sich ein „außer Dienst“hinter die Amtsbezeichnung und siehe da: Merkel hat plötzlich eine eigene Internetseite. Zehn Monate nach ihrem Auszug aus dem Kanzleramt tastet sie sich langsam in die Öffentlichkeit zurück. Die 68-Jährige hat noch Pläne, doch die stoßen im KonradAdenauer-Haus auf Unbehagen. CDU-Parteichef Friedrich Merz sieht sich plötzlich mit einer Politikerin konfrontiert, die er längst aufs Altenteil abgeschoben glaubte.
Merz hat gerade die Flüchtlingspolitik als Thema für sich entdeckt. Für den Begriff „Sozialtourismus“entschuldigte sich der Sauerländer. Bis heute ist allerdings nicht klar, ob er ihn absichtlich oder versehentlich benutzte. Denn zunächst verbreiteten seine
Leute die entsprechende Meldung noch eifrig. Erst nach dringlichen Interventionen aus der UnionsBundestagsfraktion und aus der CSU zog Merz zurück. Um dann im Interview mit dem Nachrichtenportal T-Online diese Woche nachzulegen. Deutschland spanne ein im europäischen Vergleich sehr großes soziales Netz, sagte Merz. Mit dem Bürgergeld lohnt es sich auch für Zuwanderer häufig nicht mehr, eine einfache Tätigkeit aufzunehmen. „Und genau das zieht die Menschen aus vielen Ländern erst richtig an, es schafft einen sogenannten Pull-Faktor“, so Merz.
Der CDU-Chef weiß, dass er vor allem am rechten Rand seiner Partei für solche Äußerungen viel Zustimmung erhält. Während Merkel zum hohen Flüchtlingszuzug 2015 sagte: „Wir schaffen das“– und dafür
in Kürze den mit 150.000 Dollar dotierten Preis des UN-Flüchtlingshilfswerkes erhält –, signalisiert er: Wir schaffen das nicht. Der Fraktionsvorsitzende blickt dabei auf die Kommunen, die bei der Aufnahme von Flüchtenden an Kapazitätsgrenzen stoßen. Doch es gibt in dieser Frage auch die Merkel-Fans. Viele in der CDU erinnern sich mit Stolz daran, dass ihre
ehemalige Parteichefin den Angriffen von CSU-Chef Horst Seehofer und anderen trotzte und eine Flüchtlingspolitik machte, die das „C“im Parteinamen betonte. Diese Stimmen sind so zahlreich und stark, wie sich unter anderem auf dem CDU-Bundesparteitag in Hannover zeigte, dass Merz sie nicht ignorieren kann. „Hilfe ist ein Gebot des christlichen Men
schenbilds“, sagte er im T-OnlineInterview. Dem langen Schatten Merkels entkommt er nicht.
Merkel funkt dem Parteivorsitzenden auch in der Russland-Politik dazwischen. Mehrfach hat sie erklärt, sie werde sich für ihre Russland-Politik „nicht entschuldigen“. Zuletzt verteidigte sie diese beim Gründungsfest der „Bundeskanzler-Helmut-Kohl-Stiftung“in
Berlin sowie beim 1100-jährigen Stadtjubiläum in Goslar. Eine neue gesamteuropäische Sicherheitsarchitektur könne es nur „unter der Einbeziehung Russlands geben“, sagte sie dort und löste vielfach politisch korrektes Kopfschütteln aus. Doch einer großen Zahl von CDU-Mitgliedern geht das runter wie Öl, sie haben schon damals Merkels Moskau-Kurs unterstützt und tun das heute noch.
Der CDU-Wirtschaftsflügel mahnt, auch das wurde auf dem Parteitag deutlich, eine zu starke Isolation treibe die Russen in Chinas Arme und lasse eine neue Wirtschaftsmacht entstehen. Merz hingegen versucht den harten Konfrontationskurs gegen Moskau, fordert Sanktionen und schwere Waffen für die Ukraine. Ob sich der Transatlantiker damit auf lange Sicht behaupten kann, muss abgewartet werden.
Der Chef dürfte sich also gerade an alte Zeiten erinnern. 2005 hatte er sein Direktmandat erneut mit Bravour geholt, doch die kurz vor
Merz signalisiert: Wir schaffen das – nicht
Autogrammwünsche auf der Internetseite anmelden
der Wahl zur Kanzlerin stehende Merkel hatte für ihn in der Regierung keine Verwendung. Jetzt steht Merz an der Spitze und das Machtspiel wiederholt sich. Die Alt-Kanzlerin ist formal zwar in der schwächeren Position, mit der Partei will sie nichts mehr zu tun haben, lehnt eine Ehrenmitgliedschaft ab. In der öffentlichen Wahrnehmung ist ihre Position ungleich stärker, es wird da jedes Wort gehört und gewogen.
Im Zuge ihrer neuen Charmeoffensive heißt Merkel auf ihrer Internetseite Autogrammjäger willkommen. Entsprechende Wünsche würden „bei Zusendung eines frankierten Rückumschlages an die nebenstehende Adresse gerne erfüllt“. Von Merz wird sie einen solchen Umschlag sicherlich nicht bekommen.