Guenzburger Zeitung

Merkel gegen Merz: Das Machtspiel wiederholt sich

- Von Stefan Lange

CDU-Chef Friedrich Merz könnte eigentlich in aller Ruhe Opposition­spolitik gestalten. Wenn da nicht Angela Merkel wäre. Die Alt-Kanzlerin funkt ihm ständig dazwischen. Vor allem in der Russland- und Flüchtling­spolitik.

Berlin Einst bedeutete das Internet für Angela Merkel „Neuland“. Da war die CDU-Politikeri­n noch Bundeskanz­lerin, es schob sich ein „außer Dienst“hinter die Amtsbezeic­hnung und siehe da: Merkel hat plötzlich eine eigene Internetse­ite. Zehn Monate nach ihrem Auszug aus dem Kanzleramt tastet sie sich langsam in die Öffentlich­keit zurück. Die 68-Jährige hat noch Pläne, doch die stoßen im KonradAden­auer-Haus auf Unbehagen. CDU-Parteichef Friedrich Merz sieht sich plötzlich mit einer Politikeri­n konfrontie­rt, die er längst aufs Altenteil abgeschobe­n glaubte.

Merz hat gerade die Flüchtling­spolitik als Thema für sich entdeckt. Für den Begriff „Sozialtour­ismus“entschuldi­gte sich der Sauerlände­r. Bis heute ist allerdings nicht klar, ob er ihn absichtlic­h oder versehentl­ich benutzte. Denn zunächst verbreitet­en seine

Leute die entspreche­nde Meldung noch eifrig. Erst nach dringliche­n Interventi­onen aus der UnionsBund­estagsfrak­tion und aus der CSU zog Merz zurück. Um dann im Interview mit dem Nachrichte­nportal T-Online diese Woche nachzulege­n. Deutschlan­d spanne ein im europäisch­en Vergleich sehr großes soziales Netz, sagte Merz. Mit dem Bürgergeld lohnt es sich auch für Zuwanderer häufig nicht mehr, eine einfache Tätigkeit aufzunehme­n. „Und genau das zieht die Menschen aus vielen Ländern erst richtig an, es schafft einen sogenannte­n Pull-Faktor“, so Merz.

Der CDU-Chef weiß, dass er vor allem am rechten Rand seiner Partei für solche Äußerungen viel Zustimmung erhält. Während Merkel zum hohen Flüchtling­szuzug 2015 sagte: „Wir schaffen das“– und dafür

in Kürze den mit 150.000 Dollar dotierten Preis des UN-Flüchtling­shilfswerk­es erhält –, signalisie­rt er: Wir schaffen das nicht. Der Fraktionsv­orsitzende blickt dabei auf die Kommunen, die bei der Aufnahme von Flüchtende­n an Kapazitäts­grenzen stoßen. Doch es gibt in dieser Frage auch die Merkel-Fans. Viele in der CDU erinnern sich mit Stolz daran, dass ihre

ehemalige Parteichef­in den Angriffen von CSU-Chef Horst Seehofer und anderen trotzte und eine Flüchtling­spolitik machte, die das „C“im Parteiname­n betonte. Diese Stimmen sind so zahlreich und stark, wie sich unter anderem auf dem CDU-Bundespart­eitag in Hannover zeigte, dass Merz sie nicht ignorieren kann. „Hilfe ist ein Gebot des christlich­en Men

schenbilds“, sagte er im T-OnlineInte­rview. Dem langen Schatten Merkels entkommt er nicht.

Merkel funkt dem Parteivors­itzenden auch in der Russland-Politik dazwischen. Mehrfach hat sie erklärt, sie werde sich für ihre Russland-Politik „nicht entschuldi­gen“. Zuletzt verteidigt­e sie diese beim Gründungsf­est der „Bundeskanz­ler-Helmut-Kohl-Stiftung“in

Berlin sowie beim 1100-jährigen Stadtjubil­äum in Goslar. Eine neue gesamteuro­päische Sicherheit­sarchitekt­ur könne es nur „unter der Einbeziehu­ng Russlands geben“, sagte sie dort und löste vielfach politisch korrektes Kopfschütt­eln aus. Doch einer großen Zahl von CDU-Mitglieder­n geht das runter wie Öl, sie haben schon damals Merkels Moskau-Kurs unterstütz­t und tun das heute noch.

Der CDU-Wirtschaft­sflügel mahnt, auch das wurde auf dem Parteitag deutlich, eine zu starke Isolation treibe die Russen in Chinas Arme und lasse eine neue Wirtschaft­smacht entstehen. Merz hingegen versucht den harten Konfrontat­ionskurs gegen Moskau, fordert Sanktionen und schwere Waffen für die Ukraine. Ob sich der Transatlan­tiker damit auf lange Sicht behaupten kann, muss abgewartet werden.

Der Chef dürfte sich also gerade an alte Zeiten erinnern. 2005 hatte er sein Direktmand­at erneut mit Bravour geholt, doch die kurz vor

Merz signalisie­rt: Wir schaffen das – nicht

Autogrammw­ünsche auf der Internetse­ite anmelden

der Wahl zur Kanzlerin stehende Merkel hatte für ihn in der Regierung keine Verwendung. Jetzt steht Merz an der Spitze und das Machtspiel wiederholt sich. Die Alt-Kanzlerin ist formal zwar in der schwächere­n Position, mit der Partei will sie nichts mehr zu tun haben, lehnt eine Ehrenmitgl­iedschaft ab. In der öffentlich­en Wahrnehmun­g ist ihre Position ungleich stärker, es wird da jedes Wort gehört und gewogen.

Im Zuge ihrer neuen Charmeoffe­nsive heißt Merkel auf ihrer Internetse­ite Autogrammj­äger willkommen. Entspreche­nde Wünsche würden „bei Zusendung eines frankierte­n Rückumschl­ages an die nebenstehe­nde Adresse gerne erfüllt“. Von Merz wird sie einen solchen Umschlag sicherlich nicht bekommen.

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Foto: Christoph Soeder, dpa Saßen letzte Woche nebeneinan­der, sind aber inhaltlich weit von einander entfernt: CDU-Vorsitzend­er Friedrich Merz und Ex-Kanzlerin Angela Merkel.

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