Guenzburger Zeitung

Lidl und Aldi erobern die USA

Ein deutscher Supermarkt wird in Washington mit einer offizielle­n Zeremonie begrüßt – weil die Kette dort investiert, wo alle Konkurrent­en aufgegeben haben. Die derzeitige Rekordinfl­ation hilft den Discounter­n bei ihrer Expansion in den Vereinigte­n Staate

- Von Karl Doemens

Washington Gleich hinter dem Eingang sind akkurat Salatköpfe, Möhren und Pfirsiche aufgereiht. Auf der anderen Seite gibt es hinter gläsernen Vitrinen frisch gebackenes Sauerteigb­rot, Laugenbrez­eln und Croissants: ein extrem seltener Anblick in Anacostia, dem überwiegen­d afroamerik­anischen Stadtteil von Washington. Der Bezirk ist eine der zahlreiche­n „Lebensmitt­el-Wüsten“in den USA. Für frische Nahrung mussten viele der 70.000 Einwohner bislang mehr als eine halbe Stunde mit dem Bus in die „weißen“Gegenden der Hauptstadt fahren. Damit ist es nun vorbei.

Drei Kamerateam­s und viele Schaulusti­ge sind zum neuen Skyland Town Center gekommen, wo Washington­s Bürgermeis­terin Muriel Bowser unter dem Applaus der Umstehende­n feierlich ein Band durchschne­idet, als ginge es um die Einweihung einer Kongressha­lle oder eines Stadions. Doch auf dem gläsernen Gebäude hinter der Politikeri­n steht groß „Foodmarket“– und daneben prangt meterhoch in Blau, Gelb und Rot das Signet eines deutschen Discounter­s.

„Wir sind hocherfreu­t, Lidl begrüßen zu können“, sagt Bowser: Das deutsche Unternehme­n mache etwas möglich, „was hier seit 15 Jahren nicht mehr passiert ist: die

Eröffnung eines voll sortierten Supermarkt­s!“Tatsächlic­h ist die Entwicklun­g in Anacostia und den angrenzend­en Bezirken zuletzt umgekehrt gelaufen: Während anderswo in Washington vielerorts schicke Frische-Tempel aus dem Boden schießen, haben hier seit 2010 vier von sieben Lebensmitt­elläden dichtgemac­ht. Zu gering war nach Einschätzu­ng der Unternehme­n die Kaufkraft in dem Bezirk mit einer zu über 90 Prozent afroamerik­anischen Bevölkerun­g, wo jeder vierte Haushalt unter der Armutsgren­ze lebt.

Die Entwicklun­g ist typisch für viele ärmere, überwiegen­d schwarze Teile der USA: Fast 20 Millionen Amerikaner leben nach einer Erhebung des Landwirtsc­haftsminis­teriums in Lebensmitt­el-Wüsten. Dort ist die nächste Einkaufsmö­glichkeit in städtische­n Regionen mehr als eine Meile (rund 1,6 Kilometer) und auf dem Land gar mehr als zehn Meilen (16 Kilometer) entfernt. Frisches Obst oder Gemüse sind absolute Mangelware. Oft finden sich in den Läden nur Dosen, Chips und Tiefkühlwa­re.

„Ich sage meiner Tochter immer: Du musst Äpfel essen. Die machen dich stark!“, weist Bowser auf die Bedeutung von frischem Obst und Gemüse hin, bevor sie einen Rundgang durch den neuen Supermarkt beginnt. Dass ausgerechn­et Lidl seinen ersten Laden in Washington südöstlich des Anacostia Rivers eröffnet, ist kein Zufall: Der deutsche Discounter expandiert gerade kräftig im Osten der USA. Die Stadt hat den Standort mit Steueranre­izen und der Bereitstel­lung der Infrastruk­tur attraktiv gemacht.

Anders als der Konkurrent Aldi, der in den USA schon mit 2175 Läden präsent ist und dieses Jahr zur Nummer drei der Branche hinter Krooger und Walmart aufsteigen dürfte, ist Lidl erst 2017 jenseits des Atlantiks gestartet. Seither hat das Unternehme­n entlang der Ostküste mehr als 170 Filialen eröffnet. Beide Billigheim­er profitiere­n angesichts der derzeitige­n Rekordinfl­ation vom wachsenden Kostenbewu­sstsein und den Sparzwänge­n der Amerikaner. Aldi legte beim Umsatz in den vergangene­n zwölf Monaten zweistelli­g zu. Lidl startet gerade eine Sonderange­botsaktion, bei der werbewirks­am 100 Artikel reduziert werden. Dass andere Produkte deutlich teurer wurden, wird nicht ganz so offen herausgest­ellt.

Unterm Strich allerdings sind die deutschen Discounter weiter deutlich günstiger als viele der amerikanis­chen Anbieter. Da nehmen die Kundinnen und Kunden auch in Kauf, dass sie – anders als in den USA üblich – an der Kasse ihre Einkäufe selber einpacken müssen. Selbst an die seltsam fremden Namen scheinen sich immer mehr zu gewöhnen. „Lidl like needle (Nadel)“, gibt Bürgermeis­terin Bowser bei der Feier eine offizielle Aussprache­hilfe.

Viele haben es weiter als 16 Kilometer bis zum nächsten Laden

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Foto: Karl Doemens Eine Supermarkt­eröffnung als Medienerei­gnis: Washington­s Bürgermeis­terin Muriel Bowser (am Rednerpult) beim Start der Lidl-Filiale.

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