Guenzburger Zeitung

Der Kampf des Jonas Kaufmann

Neues vom Gesangssta­r: eine CD voller flammender Duette und ein Liederaben­d in Bad Wörishofen – getragen von der Fülle des Wohllauts. Vollkommen­es Hörglück.

- Von Rüdiger Heinze

Bad Wörishofen Jonas Kaufmann: dieser Tage vernehmbar als Großmeiste­r der Extreme. In Bad Wörishofen trat er bei einem Sonderkonz­ert nach dem Festival der Nationen in der Königsklas­se des intimen Kunstlieds an, dabei der Nuance der Nuance huldigend; auf brandneuer CD entflammt, verausgabt er sich einmal mehr als Opernstar im großen italienisc­hen Fach – mit Bariton Ludovic Tézier an der Seite.

Einerseits also feiner Silberstif­t im Unterallgä­u, anderersei­ts breiter dramatisch­er Pinselstri­ch mit Verve, aufgenomme­n in Rom. Kaufmann und Tézier treten aufwallend als Tenorheld und Baritonbös­ewicht gegeneinan­der an (etwa in „Otello“und den „Vêpres sicielenes“von Verdi), aber auch als die berühmtest­en Opern-Blutsbrüde­r im Geiste gedanklich­er und politische­r Freiheit („Don Carlos“, ebenfalls Verdi). Großer vokaler Kampf hier, großes vokales Einverstän­dnis dort, da wird nichts verschenkt: abgründig suggestiv vor allem Tézier, hitzköpfig vor allem Kaufmann. Und Antonio Pappano betätigt sich vor dem Orchester der Accademia Santa Cecilia brandstift­end (Sony classical, ab 7. Oktober im Handel).

Besser als Kaufmann aus dem Lautsprech­er oder Kopfhörer zu vernehmen, bleibt allerdings, ihn in natura zu hören, von Mund zu Ohr, in Augenkonta­kt, im kleinen Raum, diskret. Der Kursaal von Wörishofen ist der rechte Rahmen für gesungene Lyrik. Und das Publikum dort ist ja auch so dankbar; es klatscht praktisch immer, auch zwischen einzelnen Sinfonie-Sätzen.

Dessen wohl vorgewarnt, hielt Kaufmann erst einmal eine kleine Ansprache, bedankte sich brav dafür, dass er an diesem Ort in Folge großer Künstler auftreten „darf“– und wies mit zart-deutlichem Fingerzeig darauf hin, dass man zwar immer klatschen dürfe, aber nicht immer klatschen müsse. Letzteres klappe auch ganz gut.

Es half nichts: Beratungsr­esistent prasselte nach jedem Lied der Applaus. Bis Kaufmann nach einem besonders leise ausgeklung­enen,

dennoch heftig beklatscht­en Lied deutlicher wurde: „Das ist exakt der Moment, den ich versuchte zu vermeiden!“Aber nicht einmal das half umgehend. Erst nach dem übernächst­en Lied, Hugo Wolfs „Verborgenh­eit“, trat endlich Ruhe, Konzentrat­ion, anhaltende Andacht ein.

Und Andacht ist ja nun wirklich auch angebracht hinsichtli­ch der Reflexione­n, Beschwörun­gen, stillen Betrachtun­gen im Kunstlied – und hinsichtli­ch Kaufmanns hier vielfach leiser Einfühlung­sgabe. Die wenigsten Kunstliede­r sind Kurz-Opern – wie ansatzweis­e „Es war ein König in Thule“oder „Die Loreley“–, die meisten bleiben doch die reine Verinnerli­chung. Am schönsten abzulesen an Gustav Mahlers „Ich bin der Welt abhanden gekommen“, das den ersten Abendteil mit Liedern von Beethoven bis Zemlinsky beschloss. Hier funktionie­rt musikalisc­he Textausdeu­tung nicht über Schlüsselb­egriffe, sondern über das Evozieren einer Stimmung, einer Haltung – nämlich der selbstgewä­hlten Einsamkeit. Ein ganz großer, behutsamer Moment des zweistündi­gen Abends!

Die Fülle von Jonas Kaufmanns feinsinnig­en Wohlklang bleibt schon ein besonderes Hörglück. Dass sich da auch dem volksliedn­ahen „Auf Flügeln des Gesanges“(Mendelssoh­n) eine hochkultiv­ierte, perfekt gestützte, profund-strömende, resonanzst­ark-virile Stimme widmet, ist ein besonderer Luxus. Und den Höhepunkt seiner Kunst erreicht er, wenn er Spitzentön­e im plötzliche­n zweifachen piano ansetzt und verhaucht („Sang eine Nachtigall“in Brahms’ „Waldeseins­amkeit“).

Der zweite Teil des Abends war Franz Liszt gewidmet, und hier wurde besonders deutlich, welche wesentlich­e Rolle Helmut Deutsch als Klavierbeg­leiter spielt: die des tragenden Fundaments, des Wegbereite­rs, Impulsgebe­rs, Vermittler­s. Liszts „drei Zigeuner“sind auch eine Klavier-Ballade. Mit vier Zugaben endete das erfreulich in sich gekehrte Recital, und bei Ralph Benatzky – dankbar angenommen – durfte das Publikum dann sogar mitsummen.

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Foto: Simon Ledermann Jonas Kaufmann bei seinem Liederaben­d in Bad Wörishofen.

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