Cleveres Kabarett im Zehntstadel
Das während der Corona-Zeit zusammengestellte neue Ensemble der Münchner Lach- und Schießgesellschaft überzeugt in Leipheim mit seinem ersten Programm.
Die Erwartung des Publikums ist groß am Donnerstagabend im Leipheimer Zehntstadel, weil der Name so groß ist: Münchner Lach- und Schießgesellschaft. In der Vorstellung vieler älterer Menschen hat sich dieses politische Kabarett als Institution gehalten, das den Mächtigen nicht nur auf die Finger schaute, sondern im Nachkriegsdeutschland – gemeint ist hier die Bundesrepublik – kräftig darauf klopfte. Der Sportreporter Sammy Drechsel gründete 1956 mit Dieter Hildebrandt die Lach- und Schießgesellschaft, die so gar nichts mit der Flachwitz-Kunst mancher Comedians in der Gegenwart zu tun hat.
Der Kabarettisten-Übervater Hildebrandt, vor knapp zehn Jahren gestorben, erlebte in einem Nachfolge-Ensemble in den 80erund 90er-Jahren noch einmal Kabarett-Könner mit Jochen Busse, Henning Venske, Renate Küster und Rainer Basedow. Und jetzt haben sich nach einer weiteren Riege, die sich 2018 auflöste, Christl Sittenauer, Frank Klötgen und Sebastian Fritz gefunden.
Gesucht haben sie einander nicht. Die drei wurden gecastet und kannten sich zuvor nicht einmal. Das ist in dieser doch überschaubaren Branche eher ungewöhnlich – und dann doch wieder nicht, wenn man bedenkt, aus welchen Ecken das Trio kommt. Die in der Hallertau aufgewachsene Christl Sittenauer ist im Improvisationstheater zu Hause und hat auch sonst allerlei Beschäftigung und Interessen, denen sie nachgeht – beispielsweise als Dozentin für Bauphysik an der TU München.
Sebastian Fritz hat die Schauspielerei von der Pike auf gelernt und wirkte beispielsweise vor acht Jahren in dem Film über den Hitler-Attentäter Georg Elser als dessen jüngerer Bruder mit. Und Frank Klötgen schließlich hat den Poetry-Slam in Deutschland mit groß gemacht. Was sich reimt, ist gut. Diese Stärke bringt er auch in das erste von den Dreien entwickelte
Programm „Aufgestaut“(Regie: Sven Kemmler) mit – das zumindest in dieser Hinsicht einen Bogen zurückspannt auf die Anfänge der Münchner Lach- und Schießgesellschaft. Denn bereits vor knapp 70 Jahren war die Reimform ein gerne gewähltes Mittel, um kritisierenswerte Zustände in der jungen Demokratie den Zuhörerinnen und Zuhörern nahezubringen.
Die drei, die gerade auf Tournee sind, machen nicht den Fehler, in die verdammt großen Fußstapfen der Altvorderen zu treten. Sie haben ihr eigenes Ding entwickelt, letztlich ein Theaterstück mit absurden Zügen, das immer wieder zur Hauptgeschichte zurückkehrt: Eine Busreise, die als Intro in Liedform empfohlen wird: Am besten ist es, die Koffer zu packen und zu verreisen, um sich – temporär jedenfalls – von all dem Scheiß, mit dem der Alltag bestückt ist, zu verabschieden.
Eine wunderbare Idee an sich, wenn nicht dieser Superstau wäre, in der die Reisegesellschaft nach kurzer Zeit gerät. Nichts geht mehr. Und als ob dieser Stillstand nicht schon genug Katastrophe in einer dynamischen, auf Bewegung und Action getrimmten Welt wäre, tut sich ausgerechnet in jener Autobahn-Idylle ein schwarzes Loch beziehungsweise ein weißer Fleck auf; dergestalt, dass die Mobiltelefone die ständige Verfügbarkeit und Geschwätzigkeit ihrer Nutzer am derzeitigen Standpunkt nicht unterstützen: kein Empfang!
So bleibt zwangsweise Zeit für die Kunstfiguren in „Aufgestaut“, sich miteinander zu beschäftigen und untereinander zu kommunizieren, falls das überhaupt noch geht: Das Ehepaar, das sich entfremdet hat und die Sinnhaftigkeit des Zusammenlebens mit Sprachlosigkeit infrage stellt, ist dabei nur ein Beispiel dieses Panoptikums.
Die Mitreisenden entpuppen sich als wahre Freak-Show: Da ist der Arzt, der sich ständig selbst wiederholt und mit gekonnten Wortlogeleien zum Verschwörungstheoretiker avanciert. Oder wie wäre es mit dem Lifecoach auf Geschäftsreisen? Der redet den Leuten nach dem Mund und gibt vermeintliche Denkanstöße für ein besseres Leben, die auf die Vertrauensseligkeit des Gegenübers abzielen – und später vermutlich auf das Beste an ihm und ihr: den Geldbeutel.
Wie wäre es schließlich mit der amtierenden Fleischkönigin aus Franken, die eigentlich vor erlesenem Publikum ein flammendes Plädoyer für den Fleischkonsum halten wollte, dies nun aber mangels rechtzeitiger Ankunft im Bus vor den Mitfahrenden erledigt? Im Angebot wäre dann auch noch ein Tastenwichser, der aus der Deckung der Anonymität heraus seine geistigen Ergüsse in die Welt postet. „Wer Jogginghosen trägt, hat die Kontrolle über sein Leben gänzlich verloren“, schreibt er und bedient sich damit ungeniert eines Zitats von Modezar Karl Lagerfeld. Es sollte sein witzigster und zugleich sein harmlosester Beitrag unterhalb der Gürtellinie sein. Ansonsten brechen sich Chauvinismus und Sexismus Bahn.
Sebastian Fritz, der diese Rolle einnimmt, wollte eine Analogie schaffen zu Franz Kafkas Erzählung „Die Verwandlung“, in der ein Handelsreisender und Tuchhändler plötzlich zu einem „ungeheuren Ungeziefer“verwandelt wird. Die Familie wendet sich von ihm ab, der zum Käfer gewordene Mann geht zugrunde. Und hier sitzt einer vor dem Computer, der seine Einsamkeit und die fehlende Anerkennung mit Hass-Posts auszugleichen versucht. Der Urheber ist selbst erstaunt darüber, was er als anonymes Schwein mit seinen Botschaften und Giftspritzereien im Netz auszulösen vermag.
Wenn ebenfalls im Stau stehende Personen an die Tür des Reisebusses klopfen, weil sie um Getränke bitten, die Tür aber zu bleibt, dann wird die Anspielung auf die Flüchtlingskrise offenkundig. Die wenigsten Hinweise auf unsere Gegenwart sind vordergründig. Klötgen, Fritz und Sittenauer packen das clever und intelligent ein. Das gilt auch für den ganz normalen Wahnsinn, der sich im Inneren des Busses befindet. Gerichtet wird damit ein Spiegel auf die Gesellschaft mit all ihren mehr oder minder skurrilen Vertreterinnen und Vertretern.
Dem großartigen Münchner Karikaturisten Dieter Hanitzsch scheint das Stück ebenso wie den rund 100 Gästen im Zehntstadel gefallen zu haben. Der 89-Jährige zeichnete mit spitzer Feder die drei Darsteller – so wie er vor vielen Jahren die Großen der Lach- und Schießgesellschaft porträtiert hatte. Deren Zeichnungen hängen in der Galerie der Spielstätte in der Münchner Ursulastraße. Und wenn man deren Gesichtsausdruck interpretieren darf, dann scheinen sie Spaß an dem zu haben, was sich unten auf der Bühne abspielt.