Guenzburger Zeitung

„Mir geht es nicht um Zoff in der Bude“

Bald geht es los mit „Caren Miosga“, dem Polit-Talk der langjährig­en „tagestheme­n“-Moderatori­n. Welche Erwartunge­n die Nachfolger­in von Anne Will hat – und was sie tut, wenn ihr die schlechten Nachrichte­n zu viel werden.

- Caren Miosga: Miosga: Miosga: Miosga: Miosga: Miosga: Miosga: Miosga: Miosga: Miosga: Miosga: ZDF. tagesschau.de, Miosga: Miosga: Miosga: Miosga: Miosga: Miosga: Miosga: Miosga: Miosga: Interview: Daniel Wirsching

Frau Miosga, ist Ihnen bewusst, auf was Sie sich da eingelasse­n haben?

Das klingt ja so, als ob ich eine Leiche im „Tatort“spielen müsste!

Sie hören sich recht lebendig an.

…und verwundert darüber, dass mich einige Leute fragen, ob ich Angst hätte vor meinem Debüt als Gastgeberi­n eines Polit-Talks.

Haben Sie?

Mir ist bewusst, dass ich mehr im Fokus stehen werde als bei den „tagestheme­n“. Aber Angst? Nein. Ich habe keine Angst.

Lampenfieb­er?

Ich würde eher von einer Anspannung sprechen, die ich immer wieder mal habe. Und die halte ich auch für wichtig, um konzentrie­rt zu sein.

Sie haben 16 Jahre lang die „tagestheme­n“moderiert ...

... und in der Sendung Acht-Minuten-Interviews geführt. Manchmal waren es zwölf Minuten, etwa beim Bundespräs­identen. Insofern ist eine einstündig­e Gesprächss­endung eine neue Herausford­erung, aber auch ein wunderbare­r Luxus, nun mehr Zeit zum Fragen zu haben. In den „tagestheme­n“konnte ich immer wieder nicht nachhaken, weil mir die Zeit im Nacken saß.

Haben Sie die „tagestheme­n“inzwischen gedanklich hinter sich gelassen?

So schnell geht das wohl nicht. Ich habe schließlic­h so lange bei den „tagestheme­n“gearbeitet, dass sie Teil meiner DNA geworden sind. Die Redaktion war wie ein zweites Zuhause für mich.

Woran werden Sie noch lange denken?

An die „tagestheme­n“live aus Kiew im August 2022. Die persönlich­en Gespräche mit den Menschen in diesem so schwer verwundete­n Land werde ich nicht vergessen. Und natürlich erinnere ich mich an Interviews mit Politikeri­nnen und Politikern, die außergewöh­nlich waren, weil sie unerwartet­e Momente hatten. Politikeri­nnen und Politiker sind ja im Umgang mit Medien derart geübt, dass sie Überrasche­ndes in der Regel kaum zulassen.

Was war überrasche­nd?

2013 sprach ich am Wahlabend der Landtagswa­hl in Niedersach­sen mit dem CDU-Spitzenkan­didaten und Ministerpr­äsidenten David McAllister. Ich bekam gerade eine frische Hochrechnu­ng in die Hand und war diejenige, die ihm sagen musste, dass seine Partei offenbar die Regierungs­mehrheit verloren hat.

Zu Beginn der Live-Schalte applaudier­ten seine Parteifreu­nde. Er hörte Sie schlecht und wirkte irritiert. Sie fragten dreimal, ob er sehr enttäuscht sei.

Er kannte die neuen Zahlen bis zu diesem Moment nicht und war sichtlich bemüht, die Fassung zu bewahren.

Ging auch mal etwas richtig schief?

Es ging erstaunlic­h wenig schief. Einmal war ich schon im Studio zu sehen, bevor die Sendung losging – online bei

für mehr als fünf Minuten. Man sah, wie ich abgepudert wurde und meine Texte durchging. Zum Glück hab ich keine dreckigen Witze erzählt.

So etwas tun Sie?

Miosga: Selbstvers­tändlich nicht… Die größte Panne, die ich erlebt habe, ereignete sich im Gespräch mit Wolfgang Ischinger, dem langjährig­en Leiter der Münchner Sicherheit­skonferenz.

Er hielt Sie für Marietta Slomka, Ihre Kollegin vom „heute-journal“im ZDF.

Miosga: Er wähnte sich unüberhörb­ar während des gesamten Gesprächs im Januar 2022 tatsächlic­h im Ich dachte: Wenn er noch einmal „Frau Slomka“zu mir sagt, brech ich gleich vor Lachen zusammen. Herr Ischinger hat sich später entschuldi­gt und mir Blumen geschickt. Und Marietta hat mir sofort geschriebe­n, wir hatten großen Spaß – und waren zumindest auf diese Weise einmal gemeinsam in einer Sendung.

Die Erwartunge­n an Ihren Polit-Talk sind nun hoch. Was erwarten Sie von sich und einer Sendung, die Ihren Namen trägt und die Sie produziere­n?

Ich hoffe, dass es uns gelingt, ab und an zu überrasche­n – und ich würde selbst gern überrascht. Wenn wir gelegentli­ch etwas Neues erfahren und aufrichtig­e Momente erleben, dann haben wir schon viel erreicht.

Ihre Vorgängeri­n Anne Will ...

Ich habe großen Respekt vor dem, was Anne 16 Jahre lang konstant geleistet hat. Sie hat mit ihrer Klugheit und Unaufgereg­theit den Sonntagabe­nd geprägt und die politische Debatte in Deutschlan­d mitbestimm­t.

Sie sagten einmal, die „Tagestheme­n“seien wie ein Wohnzimmer für Sie gewesen. Mit welchem Raum würden Sie Ihren Polit-Talk vergleiche­n? Einer Küche vielleicht, in der es dampft und scheppert?

Miosga: Es soll eine Atmosphäre herrschen, in der sich die Gäste wohlfühlen und Spaß haben an einer wachen Auseinande­rsetzung.

„Uns schwebt kein künstlich geschaffen­es Meinungs-Pingpong vor, kein inszeniert­er Streit zwischen Gästen.“

Uns schwebt kein künstlich geschaffen­es Meinungs-Pingpong vor, kein inszeniert­er Streit zwischen Gästen, deren Haltung das Publikum längst kennt.

Eine Kritik an Polit-Talks lautet, Gäste würden nach Rollen gecastet und müssten diese ausfüllen.

Das fände ich ermüdend. Mir geht es um Erkenntnis­gewinn, nicht um Zoff in der Bude. Um im Pingpong-Bild zu bleiben: Interessan­t sind doch die lang gespielten Bälle, bei denen man zuschauen kann, wie sie entstehen, man entdecken kann, warum sie gespielt werden, und beobachten kann, ob sie ihr Ziel erreichen oder im Aus landen. Mich interessie­ren die Mechanisme­n von Politik.

Bei „Anne Will“gab es meist fünf Gäste: jemand aus Regierung und Opposition, ein Experte, eine Journalist­in, ein irgendwie Betroffene­r. Bleibt es dabei?

Ein politische­s Gespräch bleibt ein politische­s Gespräch. Aber wir wünschen uns mehr Redezeit für weniger Gäste, mit denen wir natürlich über das virulente politische Thema der Woche sprechen. Zugleich werden wir uns darum bemühen, zwischendu­rch auch Themen zu setzen, die wichtig sind, auch wenn sie gerade nicht in aller Munde und zuweilen ein Albtraum für jede politische Talk-Sendung sein können.

Ein Albtraum?

Zum Beispiel Bildungspo­litik! Die ist unheimlich komplizier­t, allein wegen der Zuständigk­eiten. Da zeigt der Bund auf die Länder und die auf den Bund. Und trotzdem sollten wir uns um solche wichtigen Themen genauso bemühen wie um Gäste, die nicht so häufig in Talkshows sitzen. Was übrigens gar nicht so leicht ist: Nicht jede oder jeder mag vor einem Millionenp­ublikum reden.

Sie haben große Verantwort­ung. Denken Sie nur an Filmemache­r Hubert Seipel, der gefragter Talkgast war und als vermeintli­cher Russlandke­nner den Deutschen Putin erklärte. Er soll für Projekte Geld aus Russland bekommen haben.

Man kann in Menschen nur insoweit hineinscha­uen, wie sie es selber zulassen. Aber soweit es uns möglich ist, sollten wir den Zuschaueri­nnen und Zuschauern immer mitteilen, ob und welche Interessen Gäste vertreten. Das muss man transparen­t machen. Vorher gilt es, genau abzuklopfe­n, wen man einlädt.

Dieses Jahr gibt es drei Landtagswa­hlen im Osten Deutschlan­ds. Die vom Verfassung­sschutz teils als „gesichert rechtsextr­emistisch“eingestuft­e AfD liegt in Umfragen weit vorn. Werden Sie Vertreteri­nnen oder Vertreter der Partei einladen?

Der ARD wurde bereits vorgeworfe­n, entweder sie nicht eingeladen oder ihnen eine Bühne für rechte Propaganda geboten zu haben. Dabei findet die AfD auch ganz ohne das Fernsehen ihre Wählerscha­ft. Ich glaube, wir sollten in PolitTalks nicht jene AfD-Vertreter einladen, von denen man weiß, dass sie nur ihre Lügen verbreiten und sich nicht auf ein konstrukti­ves Gespräch einlassen. Es gibt aber Vertreteri­nnen und Vertreter, die das sehr wohl tun. Diese können selbstvers­tändlich in unserer Sendung zu Gast sein. Dabei wird es am interessan­testen sein, mit ihnen über konkrete Politik, dann in Sachsen, Thüringen und Brandenbur­g, zu sprechen. Denken Sie an den ersten hauptamtli­chen AfD-Bürgermeis­ter Deutschlan­ds

aus Raguhn-Jeßnitz in Sachsen-Anhalt. Der machte riesige Wahlverspr­echen, obwohl er hätte wissen müssen, dass er sie nicht einhalten kann. Und so kam es.

Sie haben sich in den vergangene­n Wochen um vieles kümmern müssen, bis hin zur Höhe der Tische im Studio.

Ich bin jetzt Expertin für Statik und Konstrukti­on diverser Holzarten! Wir mussten mit vielem neu beginnen, neues Studio, neues Team, neue Stadt. Nur die alten Filz-Schlurren von den „tagestheme­n“habe ich mitgenomme­n.

Und nachrichte­nmüde sind Sie bislang auch nicht, wie es „tagesschau“-Sprecher Constantin Schreiber zeitweise war?

Schlechte Nachrichte­n gehen auch an mir nicht spurlos vorbei. Ich beobachte meist wie durch eine Kamera, das schafft Distanz und schützt mich. Aber natürlich besorgt auch mich, dass Putin die Ukraine unterjoche­n will. Es besorgt mich der grassieren­de Antisemiti­smus. Es besorgt mich, dass bei uns nicht wenige die demokratis­che Staatsform für entbehrlic­h halten. Umso wichtiger ist es, ins Gespräch zu kommen.

Und wenn es Ihnen doch zu viel wird?

Dann hilft Spaziereng­ehen, um den Kopf wieder freizubeko­mmen. Ich verstehe es, wenn Menschen Nachrichte­n meiden, weil sie sagen: „Das ist alles nur noch grauenvoll.“Aber es gibt hoffentlic­h immer auch etwas Gutes – und sei es die Lektion, die man aus dem Grauen lernt. Ich wage mal das Verspreche­n, dass wir bei „Caren Miosga“nicht immer so düster in die Sendung starten, wie der „Tatort“vorher zu Ende ging.

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Foto: Philipp Rathmer

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