Nico darf wieder mit seinem Bruder spielen
Es gibt gute Nachrichten für den Dreijährigen aus Waltenhausen, doch ganz aufatmen kann die Familie nicht. Nach Monaten durften Nico und seine Mutter aus der Klinik.
Inzwischen kann er locker bis zehn zählen und das Abc sagt er auch schon auf – zwar ab dem „O“nicht mehr in der richtigen Reihenfolge, aber als ob das für die Eltern von Nico Baumgärtner irgendetwas zur Sache tut. Seit kurz vor Weihnachten ist die vierköpfige Familie wieder vereint, nachdem der Dreijährige mehrere Monate im Krankenhaus verbringen musste. Wir haben ihn zu Hause besucht und erfahren, wie es nach der zweiten Stammzellspende weiterging.
Sie schreien und lachen, rasen auf ihren Laufrädern um die Wette und ihre Hosen sind voller Dreck vom Spielen im Garten. „Eigentlich bräuchten wir Einwegklamotten“, sagt Sarah Glogger, die Mutter von Luca und Nico, und lacht. Wenn man von der Terrasse auf dem Grundstück der Familie Glogger/Baumgärtner aus in den Garten blickt, spielt sich dort eine ganz normale Szene zwischen einem fünf- und einem dreijährigen Bruder ab. Dass sich Nico und Luca rund 13 Wochen nicht gesehen haben, davon merkt man nichts. Sarah
Glogger erinnert sich: „Als Nico aus dem Krankenhaus gekommen ist, war es schon erst einmal komisch. Ich dachte, sie fallen sich in die Arme, doch sie sind nur still auf ihren Laufrädern nebeneinanderher gefahren.“Auch sie hat eine harte Zeit hinter sich – und kann bis heute nicht befreit in die Zukunft schauen. „Ich habe mir angewöhnt, nicht mehr so viel im Voraus zu planen. Wer weiß, was noch alles passiert“, sagt die 28-Jährige, ihr Blick auf ihren Söhnen. Die vergangenen Monate haben der Familie alles abverlangt. Nach jeder kleinen Höhe folgte eine mindestens doppelt so extreme Tiefe.
Es war Ende Mai, als Nico am Abend auf einmal heftiges Nasenbluten bekam. Am nächsten Morgen wachte der Bub in einem Blutbad auf. Es folgte eine Not-Operation, später eine lebensverändernde Diagnose: Nico leidet an einer Erkrankung des Knochenmarks, dem myelodysplastischen Syndrom (MDS). Ursache für die Entstehung des MDS ist genetische Veränderung der Blut-Stammzellen. Der Bub benötigte dringend gesunde Zellen. Im Juli gab es eine gute Nachricht, eine Spenderin wurde gefunden, einige Wochen später folgte der Rückschlag: Die Knochenmarkspende ist fehlgeschlagen, die neuen Zellen sind nicht angewachsen. Später bekam Nico dann noch hohes Fieber, fast sieben Wochen hielt es an.
Ende September fand schließlich ein zweiter Versuch statt, dieses Mal eine Stammzellen-, keine Knochenmarktransplantation. „Es hat geklappt“, sagt Sarah Glogger. Die Zellen haben sich inzwischen gut entwickelt. Aktuell läuft die „Einlernphase“, die sogenannte Immunsubversion bei Nico. Das heißt, seine engste Familie ist weiterhin sein einziger Kontakt, er muss vorsichtig sein, beim Spielen, Essen und viele Medikamente nehmen. Doch es geht aufwärts. Endlich.
„Zwischen den beiden Spenden wurde Nico ja noch ein Stück der Lunge rausoperiert“, berichtet seine Mutter. Das war ein weiterer Rückschlag. Wegen eines Pilzes sei diese komplett verklebt gewesen. Innerhalb eines halben Jahres habe der Dreijährige sieben Vollnarkosen erleben müssen. „Es ist unfassbar, wie er alles mitgemacht hat. Man hat gemerkt, dass er es irgendwann sofort kapiert hat, wenn es in den OP-Vorbereitungsraum ging.“Für die Mutter war es das Allerschlimmste, dass ihr Sohn nicht nach draußen gehen konnte, erzählt sie.
Sie wirkt gefasst, doch auch an ihr und ihrem Mann ging diese Zeit nicht spurlos vorbei. Sie kämpfte dafür, dass sie mit ins Zimmer ihres kleinen Kindes durfte, ihr Mann, der sich zu dieser Zeit um den Haushalt und Luca kümmerte, kochte jeden Tag und brachte Essen nach Ulm. Allein nur die Fahrtkosten haben die Familie finanziell belastet, konnten beide Elternteile ihren Job nicht mehr wahrnehmen.
Es war Gloggers Bruder, der schließlich eine Spendenkampagne für Nicos Familie einrichtete. Das Spendenziel war auf 15.000 Euro gesetzt, letztlich sind in wenigen Tagen mehr als 33.000 Euro zusammengekommen. „Wir schämen uns fast etwas dafür“, sagt Glogger, „aber sind auch so gerührt und dankbar.“Viele fremde Personen hätten Geld gespendet.
Eine Art Tagebucheintrag aus der Sicht von Nico hat sein Onkel zur Online-Spendenkampagne verfasst, ein Auszug aus der letzten Passage lautet: „Der Papa hat heute einen Bollerwagen dabei für mich, und ja es ist so weit, ich darf heute zum ersten Mal mein Zimmer verlassen und das Krankenhaus auch, raus an die Sonne für ein paar Minuten: Die neue Stammzellenspende hat funktioniert. So fühlt sich das also an, wenn man zum ersten Mal nach zwölf Wochen frische Luft atmen darf, die Bäume sehen so schön bunt aus, die Sonnenstrahlen auf der Haut fühlen sich so warm und gut an.“
Es war der 1. Dezember, als Nico die Kinderklinik verlassen durfte und Mitte Dezember, als er aus der Station mit seiner Mama ins benachbarte Elternhaus konnte und seine Familie wiedergesehen hat. Für die Eltern ist es ein schönes Gefühl, dass die beiden Söhne die Feiertage gemeinsam verbringen können. „Auch für Luca war es eine schwere Zeit, seit Mai kann er aufgrund der Ansteckungsgefahr nicht mehr in den Kindergarten“, berichtet die 28-Jährige. Langsam kehre wieder etwas mehr Normalität ein: Die Brüder dürfen wieder zusammen im Stockbett schlafen, gemeinsam Kaba trinken, mit den Weihnachtsgeschenken spielen und durch den Garten flitzen.