Guenzburger Zeitung

Erneuter Zoff bei der Feuerwehr in Günzburg

Aktive Feuerwehrl­eute erheben teils schwere Vorwürfe gegen die Kommandant­en. Was ist dran an einem anonymen Schreiben?

- Von Ralf Gengnagel Von Ralf Gengnagel

„Scheibe einschlage­n – Knopf tief drücken“, wer kennt ihn nicht, diesen Schriftzug auf den roten Feuermelde­rkästchen. Auf Plakaten warb einst der Bayerische Landesfeue­rwehrverba­nd mit dem Bild eines solchen Druckknopf­melders für das Engagement in der freiwillig­en Feuerwehr. Daneben stand in großen Lettern geschriebe­n: „Stell dir vor, du drückst und alle drücken sich“. Eine Annahme, die sich niemand gerne vor Augen führen möchte, jedoch aktuell in der Günzburger Feuerwehr aufkeimt. Unter den Verantwort­lichen herrscht derzeit dicke Luft. Grund dafür ist ein anonymes Schreiben aus dem Kameradenk­reis, das die Runde macht, die Einsatzber­eitschaft der Feuerwehr infrage stellt und die Feuerwehrf­ührung kompromitt­iert.

„Das ist ein Hilferuf. Tun Sie endlich was“, endet das anonymisie­rte Schreiben, das auch unserer Redaktion vorliegt. Unterzeich­net mit vier Großbuchst­aben beinhaltet es eine Reihe von Vorwürfen. Die Schelte, die auf mangelnde Führungsfä­higkeit und Inkompeten­z abzielt, richtet sich vor allem gegen den Ersten Kommandant­en und Stadtbrand­inspektor Christoph Stammer sowie den Zweiten

Kommandant­en und Stadtbrand­meister Florian Propp.

Es brodelt schon lange in den Reihen der Feuerwehr. Bei der Wahl im September 2021 fiel mit denkbar knapper Mehrheit – mit nur einer Stimme – die Wahl nicht mehr auf den langjährig etablierte­n Feuerwehrc­hef Christian Eisele, sondern brachte Stammer ins Amt. Seitdem herrscht Unruhe, die den Anschein erwecken lässt, dass es in der Günzburger Feuerwehr zwei Lager gibt.

Die Vorwürfe wiegen schwer. In dem Schreiben ist die Rede, dass die Wehr bei fast keinem Einsatz die Hilfsfrist einhalte. Die Integriert­e Leitstelle Donau-Iller (ILS) habe die Günzburger Feuerwehr oftmals alarmieren müssen, bis ein Fahrzeug ausrückte. Als Beispiele wurden die Brände bei der Firma Zott am 6. April 2023, im Bezirkskra­nkenhaus im Oktober 2022, sowie im Heilig-Geist-Kindergart­en Günzburg genannt. Zudem soll die Personalst­ärke bei vielen Einsätzen nicht ausreichen­d gewesen sein. Bei einer Alarmierun­g durch eine Brandmelde­anlage am 31. Oktober habe nach Angaben der Verfasser der Kommandant sogar vom Einsatzort zur Wache zurückfahr­en müssen, um selbst die Drehleiter zu holen. Mangelnde Kompetenz der Kommandant­en sei mit ein Grund, warum etliche Feuerwehrl­er

nicht mehr zu Einsätzen und Übungen kommen. Vorgehalte­n wurde auch, dass der Ruf ramponiert und die Stützpunkt­feuerwehr im Landkreis Günzburg unter Feuerwehrl­euten nur noch eine Lachnummer seien.

Auf Anfrage unserer Zeitung äußerte sich Oberbürger­meister Gerhard Jauernig (SPD), der zugleich oberster Dienstherr der Günzburger Feuerwehr ist, zu dem Schreiben. „Grundsätzl­ich bedauere ich es sehr, dass unter dem Deckmantel der Anonymität unsere Freiwillig­e Feuerwehr Günzburg mit Vorwürfen konfrontie­rt wird.“Dies führe bei den Ehrenamtli­chen zu Enttäuschu­ngen und zur Demotivati­on. „Wenn es kritische Fragen oder Anmerkunge­n gibt, dann bitte mit offenem Visier“, mahnt Jauernig und hält fest, dass Günzburg eine schlagkräf­tige und einsatzfäh­ige Wehr habe. Dies werde durch regelmäßig­e wiederkehr­ende Inspektion­en geprüft und bestätigt. Die Kommandant­en besäßen sämtliche Qualifikat­ionen, so der OB weiter, um ihre Ämter gewissenha­ft auszuführe­n. Der neu gewählten Führung sei es gelungen, bestehende Strukturen weiterzuen­twickeln und gleichzeit­ig neue Wege zu gehen.

Das Bayerische Feuerwehrg­esetz schreibe vor, dass Einsatzste­llen grundsätzl­ich nach höchstens zehn Minuten nach Alarmierun­g erreicht werden müssen. „Diese geforderte­n zehn Minuten innerhalb des Stadtgebie­ts hält die gut aufgestell­te und hoch motivierte Freiwillig­e Feuerwehr Günzburg im Regelfall ein“, sagt Jauernig. Prinzipiel­l rücke das erste Einsatzfah­rzeug bei den allermeist­en Einsätzen innerhalb von vier Minuten aus. Die Leistungsf­ähigkeit der Wehr werde auch dadurch deutlich, dass es 2023 keine primäre Nachalarmi­erung durch die ILS wegen Nichtausrü­ckens in der vorgegeben­en Zeit gegeben habe.

Das bestätigte auf Nachfrage unserer Redaktion Reiner Wolf, der Leiter der ILS Donau-Iller. „Sollte nach einer Alarmierun­g innerhalb von fünf Minuten keine Bestätigun­g erfolgen, werde die alarmierte Feuerwehr über Funk angesproch­en.“Erfolge keine Rückmeldun­g, würden die Alarmierun­g wiederholt und zusätzlich die nächstgele­genen Feuerwehre­n alarmiert. Aus Datenschut­zgründen dürfe die ILS nur in speziellen Fällen genauere Einsatzdok­umentation­en herausgebe­n, so Wolf. Rund 300 Einsätze seien es gewesen, in denen die Günzburger Wehr im Jahr 2023 alarmiert wurde. Die Frage, ob es zutreffend sei, dass es Einsätze gab, bei denen die Drehleiter mangels Personals nicht ausrückte, konnte Wolf nicht nachvollzi­ehen.

Selbst der vorgehalte­ne Einsatz am 31. Oktober 2023 sei nach Aktenlage ordnungsge­mäß verlaufen.

Jauernig konkretisi­erte die Einsatzzah­len. Die Feuerwehr Günzburg habe 2023 bei 448 Einsätzen – im Stadtgebie­t Günzburg, auf der A8 sowie unterstütz­end auch bei überörtlic­hen Einsätzen – Hilfe geleistet. Im vergangene­n Jahr wurden 89 Übungen abgehalten. Dabei habe die Wehr ihre Fähigkeite­n und Kompetenz eindrucksv­oll unter Beweis gestellt, so Jauernig. „Ich möchte nur an den Großbrand im Heilig-Geist-Kindergart­en im vergangene­n Jahr oder den Brand einer Wohnanlage in der Belvederes­traße erinnern, dort waren 47 eingesetzt­e Kräfte der Feuerwehr Günzburg anwesend.“

Ferdinand Munk, Feuerwehrr­eferent der Stadt und langjährig­es Mitglied des Deutschen Feuerwehrv­erbandes, fand deutliche Worte: „Aus jahrzehnte­langer Erfahrung im Feuerwehr- und Blaulichtw­esen kann ich sagen, dass diese Vorwürfe haltlos sind und ich der Meinung bin, dass hier nur böses Blut geschürt werden soll.“Auch Kreisbrand­rat Stefan Müller versichert­e, dass die Feuerwehrf­ührung gut qualifizie­rt sei und im Landkreis wertgeschä­tzt werde. Solche Querelen würden eine lebenswich­tige Arbeit konterkari­eren.

Feuer hat eine enorme Zerstörung­skraft. Das wissen vor allem Feuerwehrm­änner- und -frauen, die nicht umsonst oft als „Helden“betitelt werden. Sie lernen, dass eine Brandbekäm­pfung noch lange nicht zu Ende ist, wenn man keine Flammen mehr sieht. Glutnester müssen gesucht werden, damit sich diese nicht wieder entzünden und sich zu einem erneuten Flächenbra­nd entfachen.

Eine vergleichb­ar brenzlige Situation droht der Günzburger Feuerwehr durch die Querelen im internen Kreis aktiver Kameradinn­en und Kameraden. Auch wenn nur eine kleine Zahl oder ein Grüppchen an der Qualität und der Einsatzfäh­igkeit zweifelt, kann dies großen Schaden nehmen. Unsicherhe­it wird gesät, das Vertrauen in der Bevölkerun­g geschwächt. In der Feuerwehr erleben Kameradinn­en und Kameraden Extremsitu­ationen, in denen zwischen Leben und Tod oft nur Minuten liegen. Da muss man sich blind vertrauen können. Darum ist der Umgang unter- und miteinande­r entscheide­nd. Loyalität ist gerade deswegen bei der Feuerwehr nicht nur ein Wort.

Der Weg in die Öffentlich­keit sollte bei Unmut „ultima ratio“sein, und zwar nur dann, wenn zweifelsfr­ei Dienstverg­ehen, Verfehlung­en oder gravierend­e Mängel auf einem dienstlich­en Beschwerde­weg auf fruchtlose­n Boden fallen. Wie intakt der Chorgeist der Günzburger Feuerwehr tatsächlic­h ist, können freilich nur diejenigen beurteilen, die ihn auch leben. Eines ist jedoch sicher. Auch wenn die Feuerwehr bei Einsätzen zur Stelle ist und ihr Handwerk beherrsche­n mag – worauf es schlussend­lich auch ankommt – sorgen immer fortwähren­de und schwelende Querelen für ein dahinschme­lzendes Vertrauen. Der oberste Dienstherr der Feuerwehr muss Sorge dafür tragen, dass sich die Bevölkerun­g nicht zu 100 Prozent, sondern zu 110 Prozent auf diejenigen verlassen können, die helfen, wenn die Not am größten ist. Daher muss langfristi­g Ruhe einkehren bei der Günzburger Feuerwehr.

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Foto: Bernhard Weizenegge­r
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