Erneuter Zoff bei der Feuerwehr in Günzburg
Aktive Feuerwehrleute erheben teils schwere Vorwürfe gegen die Kommandanten. Was ist dran an einem anonymen Schreiben?
„Scheibe einschlagen – Knopf tief drücken“, wer kennt ihn nicht, diesen Schriftzug auf den roten Feuermelderkästchen. Auf Plakaten warb einst der Bayerische Landesfeuerwehrverband mit dem Bild eines solchen Druckknopfmelders für das Engagement in der freiwilligen Feuerwehr. Daneben stand in großen Lettern geschrieben: „Stell dir vor, du drückst und alle drücken sich“. Eine Annahme, die sich niemand gerne vor Augen führen möchte, jedoch aktuell in der Günzburger Feuerwehr aufkeimt. Unter den Verantwortlichen herrscht derzeit dicke Luft. Grund dafür ist ein anonymes Schreiben aus dem Kameradenkreis, das die Runde macht, die Einsatzbereitschaft der Feuerwehr infrage stellt und die Feuerwehrführung kompromittiert.
„Das ist ein Hilferuf. Tun Sie endlich was“, endet das anonymisierte Schreiben, das auch unserer Redaktion vorliegt. Unterzeichnet mit vier Großbuchstaben beinhaltet es eine Reihe von Vorwürfen. Die Schelte, die auf mangelnde Führungsfähigkeit und Inkompetenz abzielt, richtet sich vor allem gegen den Ersten Kommandanten und Stadtbrandinspektor Christoph Stammer sowie den Zweiten
Kommandanten und Stadtbrandmeister Florian Propp.
Es brodelt schon lange in den Reihen der Feuerwehr. Bei der Wahl im September 2021 fiel mit denkbar knapper Mehrheit – mit nur einer Stimme – die Wahl nicht mehr auf den langjährig etablierten Feuerwehrchef Christian Eisele, sondern brachte Stammer ins Amt. Seitdem herrscht Unruhe, die den Anschein erwecken lässt, dass es in der Günzburger Feuerwehr zwei Lager gibt.
Die Vorwürfe wiegen schwer. In dem Schreiben ist die Rede, dass die Wehr bei fast keinem Einsatz die Hilfsfrist einhalte. Die Integrierte Leitstelle Donau-Iller (ILS) habe die Günzburger Feuerwehr oftmals alarmieren müssen, bis ein Fahrzeug ausrückte. Als Beispiele wurden die Brände bei der Firma Zott am 6. April 2023, im Bezirkskrankenhaus im Oktober 2022, sowie im Heilig-Geist-Kindergarten Günzburg genannt. Zudem soll die Personalstärke bei vielen Einsätzen nicht ausreichend gewesen sein. Bei einer Alarmierung durch eine Brandmeldeanlage am 31. Oktober habe nach Angaben der Verfasser der Kommandant sogar vom Einsatzort zur Wache zurückfahren müssen, um selbst die Drehleiter zu holen. Mangelnde Kompetenz der Kommandanten sei mit ein Grund, warum etliche Feuerwehrler
nicht mehr zu Einsätzen und Übungen kommen. Vorgehalten wurde auch, dass der Ruf ramponiert und die Stützpunktfeuerwehr im Landkreis Günzburg unter Feuerwehrleuten nur noch eine Lachnummer seien.
Auf Anfrage unserer Zeitung äußerte sich Oberbürgermeister Gerhard Jauernig (SPD), der zugleich oberster Dienstherr der Günzburger Feuerwehr ist, zu dem Schreiben. „Grundsätzlich bedauere ich es sehr, dass unter dem Deckmantel der Anonymität unsere Freiwillige Feuerwehr Günzburg mit Vorwürfen konfrontiert wird.“Dies führe bei den Ehrenamtlichen zu Enttäuschungen und zur Demotivation. „Wenn es kritische Fragen oder Anmerkungen gibt, dann bitte mit offenem Visier“, mahnt Jauernig und hält fest, dass Günzburg eine schlagkräftige und einsatzfähige Wehr habe. Dies werde durch regelmäßige wiederkehrende Inspektionen geprüft und bestätigt. Die Kommandanten besäßen sämtliche Qualifikationen, so der OB weiter, um ihre Ämter gewissenhaft auszuführen. Der neu gewählten Führung sei es gelungen, bestehende Strukturen weiterzuentwickeln und gleichzeitig neue Wege zu gehen.
Das Bayerische Feuerwehrgesetz schreibe vor, dass Einsatzstellen grundsätzlich nach höchstens zehn Minuten nach Alarmierung erreicht werden müssen. „Diese geforderten zehn Minuten innerhalb des Stadtgebiets hält die gut aufgestellte und hoch motivierte Freiwillige Feuerwehr Günzburg im Regelfall ein“, sagt Jauernig. Prinzipiell rücke das erste Einsatzfahrzeug bei den allermeisten Einsätzen innerhalb von vier Minuten aus. Die Leistungsfähigkeit der Wehr werde auch dadurch deutlich, dass es 2023 keine primäre Nachalarmierung durch die ILS wegen Nichtausrückens in der vorgegebenen Zeit gegeben habe.
Das bestätigte auf Nachfrage unserer Redaktion Reiner Wolf, der Leiter der ILS Donau-Iller. „Sollte nach einer Alarmierung innerhalb von fünf Minuten keine Bestätigung erfolgen, werde die alarmierte Feuerwehr über Funk angesprochen.“Erfolge keine Rückmeldung, würden die Alarmierung wiederholt und zusätzlich die nächstgelegenen Feuerwehren alarmiert. Aus Datenschutzgründen dürfe die ILS nur in speziellen Fällen genauere Einsatzdokumentationen herausgeben, so Wolf. Rund 300 Einsätze seien es gewesen, in denen die Günzburger Wehr im Jahr 2023 alarmiert wurde. Die Frage, ob es zutreffend sei, dass es Einsätze gab, bei denen die Drehleiter mangels Personals nicht ausrückte, konnte Wolf nicht nachvollziehen.
Selbst der vorgehaltene Einsatz am 31. Oktober 2023 sei nach Aktenlage ordnungsgemäß verlaufen.
Jauernig konkretisierte die Einsatzzahlen. Die Feuerwehr Günzburg habe 2023 bei 448 Einsätzen – im Stadtgebiet Günzburg, auf der A8 sowie unterstützend auch bei überörtlichen Einsätzen – Hilfe geleistet. Im vergangenen Jahr wurden 89 Übungen abgehalten. Dabei habe die Wehr ihre Fähigkeiten und Kompetenz eindrucksvoll unter Beweis gestellt, so Jauernig. „Ich möchte nur an den Großbrand im Heilig-Geist-Kindergarten im vergangenen Jahr oder den Brand einer Wohnanlage in der Belvederestraße erinnern, dort waren 47 eingesetzte Kräfte der Feuerwehr Günzburg anwesend.“
Ferdinand Munk, Feuerwehrreferent der Stadt und langjähriges Mitglied des Deutschen Feuerwehrverbandes, fand deutliche Worte: „Aus jahrzehntelanger Erfahrung im Feuerwehr- und Blaulichtwesen kann ich sagen, dass diese Vorwürfe haltlos sind und ich der Meinung bin, dass hier nur böses Blut geschürt werden soll.“Auch Kreisbrandrat Stefan Müller versicherte, dass die Feuerwehrführung gut qualifiziert sei und im Landkreis wertgeschätzt werde. Solche Querelen würden eine lebenswichtige Arbeit konterkarieren.
Feuer hat eine enorme Zerstörungskraft. Das wissen vor allem Feuerwehrmänner- und -frauen, die nicht umsonst oft als „Helden“betitelt werden. Sie lernen, dass eine Brandbekämpfung noch lange nicht zu Ende ist, wenn man keine Flammen mehr sieht. Glutnester müssen gesucht werden, damit sich diese nicht wieder entzünden und sich zu einem erneuten Flächenbrand entfachen.
Eine vergleichbar brenzlige Situation droht der Günzburger Feuerwehr durch die Querelen im internen Kreis aktiver Kameradinnen und Kameraden. Auch wenn nur eine kleine Zahl oder ein Grüppchen an der Qualität und der Einsatzfähigkeit zweifelt, kann dies großen Schaden nehmen. Unsicherheit wird gesät, das Vertrauen in der Bevölkerung geschwächt. In der Feuerwehr erleben Kameradinnen und Kameraden Extremsituationen, in denen zwischen Leben und Tod oft nur Minuten liegen. Da muss man sich blind vertrauen können. Darum ist der Umgang unter- und miteinander entscheidend. Loyalität ist gerade deswegen bei der Feuerwehr nicht nur ein Wort.
Der Weg in die Öffentlichkeit sollte bei Unmut „ultima ratio“sein, und zwar nur dann, wenn zweifelsfrei Dienstvergehen, Verfehlungen oder gravierende Mängel auf einem dienstlichen Beschwerdeweg auf fruchtlosen Boden fallen. Wie intakt der Chorgeist der Günzburger Feuerwehr tatsächlich ist, können freilich nur diejenigen beurteilen, die ihn auch leben. Eines ist jedoch sicher. Auch wenn die Feuerwehr bei Einsätzen zur Stelle ist und ihr Handwerk beherrschen mag – worauf es schlussendlich auch ankommt – sorgen immer fortwährende und schwelende Querelen für ein dahinschmelzendes Vertrauen. Der oberste Dienstherr der Feuerwehr muss Sorge dafür tragen, dass sich die Bevölkerung nicht zu 100 Prozent, sondern zu 110 Prozent auf diejenigen verlassen können, die helfen, wenn die Not am größten ist. Daher muss langfristig Ruhe einkehren bei der Günzburger Feuerwehr.