Wo ist Platz für ein Sieben-Meter-Kunstwerk?
Weil das Günzburger Pfarrheim St. Martin abgerissen wird, muss auch „Die Schöpfung“von Burga Endhardt-Troendle weichen. Die Schwester der Künstlerin will es verschenken.
Ein Bild sucht ein neues Zuhause. Nicht irgendein Bild, sondern das richtig große Kunstwerk, das die in Günzburg aufgewachsene und 2019 in Buttenwiesen-Frauenstetten verstorbene Künstlerin Burga Endhardt-Troendle für den Saal des Pfarrheims St. Martin in Günzburg um das Jahr 1980 angefertigt hat, muss woanders untergebracht werden. Die Zeit drängt, denn nur noch wenige Wochen verbleiben den Verantwortlichen zum Ausräumen. Verkauft ist das marode Gebäude schon, wann es abgerissen wird, weiß man nicht.
Elisabeth Endhardt-Wolfmeier möchte die verbleibende Zeit nutzen und das Kunstwerk ihrer Schwester gerne an einem neuen Ort wissen. Doch die Liste der Absagen ist lang und wird immer länger. Diese Erfahrung bestätigen Kirchenpfleger Albert Reile und Verwaltungsleiter Michael Klotz. Weder die Pfarreiengemeinschaft Günzburg noch die Stadt Günzburg haben Platz. Abgewinkt hätten auch die Verantwortlichen des Forums am Hofgarten und des
Heimatmuseums. Ergebnislos blieben Anfragen an den Stadtrat und verschiedene Günzburger Schulen. Selbst eine Anfrage im ganzen Bistum hatte keinen Erfolg. Jetzt setzt Elisabeth Endhardt-Wolfmeier auf die Leserinnen und Leser der Zeitung und ihre Kontakte.
„Ich weiß, dass es wegen der Größe von rund sieben Meter Länge und knapp vier Metern Höhe schwierig ist, einen neuen Platz zu finden“, gibt die Schwester der Künstlerin zu. Burga EndhardtTroendles eindrucksvolles Werk zeigt die Schöpfung und hat auch in den rund vierzig Jahren, die es im Pfarrsaal hängt, nichts von seiner Leuchtkraft eingebüßt. Mit Tausenden von Stickstichen wurden die verschiedenfarbigen und zum Teil selbst eingefärbten Leinenoder Halbleinen-Stoffstücke miteinander verbunden. Malerei mit Schere und Nadel könnte man es nennen. Passend gesetzte Klosterstiche, eine Technik, die schon im Mittelalter von Klosterfrauen zur flächigen Befüllung von großen Bereichen genutzt wurde, erzeugen zusätzliche Effekte. Überstrahlt wird Gottes Schöpfung von der Sonne, die von Endhardt-Troendle
mit Goldlahn-Stickerei verziert wurde. Goldlahn ist ein Faden, bei dem der textile Kern spiralförmig von einem schmalen, dünnen Metallstreifen aus Gold oder vergoldetem Silber umsponnen ist und liturgische oder weltliche Prunkkleidung verziert.
Endhardt-Troendle beherrschte diese kunstvollen Sticktechniken aufgrund ihrer Ausbildung zur Paramentenstickerin im Dominikanerinnenkloster St. Ursula Augsburg. Wie es dazu kam, dass ihre Schwester vom damaligen Stadtpfarrer Hans Gündele den Auftrag für das monumentale Bild bekam, weiß Elisabeth Endhardt-Wolfmeier nicht mehr. Sie erinnert sich aber noch gut daran, dass sie selbst und andere Günzburgerinnen im Pfarrsaal mitgestickt haben.
Transportieren lässt sich das Schöpfungsbild leicht. Es ist auf einen Rahmen gespannt und kann demzufolge relativ einfach abgenommen, zusammengefaltet und an seinem neuen Ort wieder aufgespannt werden. Wenn es diesen Ort denn gibt. Kirchenpfleger Albert Reile kommen langsam die Zweifel, denn man habe wirklich viel überlegt und viele gefragt auf der fieberhaften Suche nach einem neuen Platz für die Schöpfung. Reile meint: „Das Bild haben so viele gesehen. Da soll keiner sagen können, man hat das einfach vernichtet.“In den Pfarrsaal, da gingen viele nach der Osternacht oder der Christmette noch hinüber auf einen kleinen Umtrunk. Bei Kirchenchorproben oder im Seniorenfasching blickte so mancher auf das Bild. Bei den Tanzkursen saßen die Jungen auf der Bank unterhalb des Bilds. Wer im Pfarrsaal seine Hochzeit feierte, hat es gesehen, und wie viele beim Blutspenden die Sonne und die Bäume betrachteten, kann keiner sagen. Mit seiner Fröhlichkeit passte es zu festlichen Empfängen der Ehejubilare und den Ministrantentreffen. Burga Endhardt-Troendle blieb nicht bei der Paramentenstickerei, sondern ging anschließend an die Akademie der Bildenden Künste München. Wer sich die Schöpfung aus dem Pfarrheim St. Martin holt, bekommt ein Werk einer Künstlerin, die vielfach ausgezeichnet wurde und deren Werke unter anderem von den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen angekauft worden sind. Ihr früher Tod mit 58 Jahren, der viele betroffen machte, beendete ihr künstlerisches Schaffen.
Das textile Bild der Schöpfung aus dem Pfarrsaal kostet nichts. Wer Interesse hat, kann sich im Pfarrbüro von St. Martin oder bei Elisabeth Endhardt-Wolfmeier (per E-Mail: lendhardt@gmail.com) melden. Ein Einlagern des Kunstwerks, womöglich zusammengefaltet wie ein Bettlaken, kommt für niemand infrage. Kirchenpfleger Albert Reile sieht es so: „Das kommt nie mehr raus.“Man war bei St. Martin ja schon froh, dass Nazarener Figuren, die im Turm der Pfarrkirche gelagert waren, vom Heimatmuseum übernommen wurden und so Platz genug war, um Klapptische und Stühle vom Pfarrheim unterzubringen und behalten zu können. Auch Elisabeth EndhardtWolfmeier möchte das Bild nicht zu Hause in einer Schublade liegen haben. Noch gibt sie die Hoffnung nicht auf.
Die Künstlerin war Stickerin im Kloster St. Ursula Augsburg.