Wenn der Umbruch gelingt
Der Klimawandel auf der Theaterbühne: Vor fast auf den Tag genau einem Jahr in Graz uraufgeführt, bringt das Theater Ulm „was zündet, was brennt“der in Berlin lebenden österreichischen Autorin Magdalena Schrefel als deutsche Erstaufführung auf die Podiumsbühne. Eine große Leistung vollbringt der monologerfahrene Markus Hottgenroth, denn der als Pipeline-Wachmann vorgesehene Stephan Clemens erkrankte kurzfristig, und Hottgenroth setzt die Rolle nach nur zwei Probentagen um.
Auf der Podiumsbühne, die von einer – zugleich das Publikum trennenden – Ölpipeline geteilt wird (Ausstattung: Maike Häber) beginnt „was zündet, was brennt“fast philosophisch: Markus Hottgenroth stellt, verkleidet mit einem aufgeblasenen Plastikkostüm als Tyrannosaurus Rex, die Grundfrage: „Bin ich ich?“Ein absurder Kreislauf ließ den Dinosaurier, der wie seine Artgenossen in der Kreidezeit vor etwa 68 bis 66 Millionen Jahren lebte und starb, unter Abschluss von Sauerstoff und unter Druck zu Erdöl werden – aus dem in der Gegenwart der Plastik-Dino hergestellt wurde. Ja, ist er, verändert zwar, oder ist er nicht? Diese Passage ist nicht nur für Regisseurin Magdalena Heffner die Lieblingspassage.
Dann schwenkt das Drei-Personen-Stück in den Handlungsort – nach Österreich eigentlich, in dessen einzige Raffinerie Schwechat bei Wien. In die dringen zwei junge Klima-Aktivistinnen ein, indem sie in Loch in den Zaun schneiden. Miami (Stefanie Schwab) und Dina (Adele Schlichter) sind euphorisch, wollen der Raffinerie den Ölhahn zudrehen, werden aber vom Security-Mann
„Was zündet, was brennt“: Ein Stück am Puls der Zeit ist am Ulmer Theater als deutsche Erstaufführung zu sehen. Es geht um den Klimawandel, seine schlimmen Folgen und die Ziele der Aktivistinnen und Aktivisten.
geschnappt, der sie der Polizei übergeben möchte. Ihm schlägt Dina einen Deal vor: Überzeugen sie ihn von der Richtigkeit ihres Tuns, lässt er sie handeln. Überzeugen sie ihn nicht, übergibt er sie der Polizei. In den Szenen, in denen Magdalena Schrefel (die durch eine Ausbildung in International Project Management in NGOs and Social Movements persönliche Erfahrung einbringen kann) die beiden Aktivistinnen erzählen lässt, schlägt das Stück weite Bögen. Es berichtet von den Anfängen der Erdölförderung, von Green Banking, von der Entwicklung der Klimaforschung und den Motiven der beiden Frauen für ihre Forderung, fossile Energieträger grundsätzlich in der Erde zu belassen. So entwickelt sich ein Teppich von Geschichten, nicht kausal zusammenhängend, nicht logisch aufeinanderfolgend, aus denen heraus Greta Thunbergs 2019 beim
Weltwirtschaftsforum in Davos gesprochenes „I want you to panic!“zu spüren ist. Auch Widersprüchlichkeit der Aktivistinnen selbst ist ein – wenn auch eher unterschwelliges – Thema, denn sie tragen Kunstfaser-Mützen, nutzen das Auto, wie es Magdalena Schrefel von sich selbst im Begleittext erzählt. Die Autorin sieht die Inszenierung als „Raffinierungsprozess“.
Über Tarnung bis zuletzt gelingt im Stück Aktivisten weltweit im gleichen Moment der Umbruch: Überall auf der Welt wird gleichzeitig die Luft aus Autoreifen gelassen, werden Prozesse von Hackern unterbrochen, werden Autobahnen gestürmt und Flughäfen blockiert. Es sei nie darum gegangen, jeden einzelnen Hahn zuzudrehen, sondern die Meinung für sich zu entscheiden, sagen die Aktivistinnen. Moral rechtfertigt damit Anarchie und Gewalt.
Wie beim „Fegefeuer der Eitelkeiten“des endzeitlichen Bußpredigers Savonarola werden die Gegenstände auf einen Haufen getragen, die gebrandmarkt werden: Kinderspielzeug und Bobbycar aus
Plastik, Bildschirm und Regenschirm, Straßen-Absperrpylone und Sporttaschen. Menschen freuen sich an den Stimmen zukünftiger Generationen von Eisbären und Rentieren, freuen sich einer Zukunft, die die Zukunft der Gegenwart hinter sich gelassen hat. Zu Ende gedacht: Die Produktion von Medikamenten und Medizinprodukten wie Infusionsschläuche oder Linsen benötigt Erdöl, und ohne Fahrzeug kommen weder Notarzt noch Feuerwehr. Die Produktion von Stahl benötigt Kohlenstoff, und auch die Glasfaserrotorblätter von Windrädern beinhalten Erdöl.
Das Stück mag Gedanken anregen zur Reduzierung der Nutzung kohlenstoffhaltiger Energieträger. Der im Stück beschriebene Umbruch aber würde unzählige Menschenleben kosten. Die nächsten Vorstellungen sind am 17., 19., 25. und 27. Januar.