T einfach nur auf schen vertrauen“
Wie kann Pazifismus heute aussehen?
Pazifismus ist die fortwährende Verpflichtung zum Frieden. Aber um diesen Frieden zu garantieren, um zu verhindern, dass es zu Bestialitäten kommt, muss man bereit sein zu kämpfen.
Spätestens die Kriege auf dem Balkan mit ihrem Blutvergießen, den Internierungslagern, den Massenvergewaltigungen haben uns klargemacht, dass ein Wendepunkt erreicht ist. Aber wir haben das – jenseits des Kosovo – nicht ernst genommen. Es ist auch verdammt schwer. Niemand sagt, dass es einfach ist.
Einfach ist es auch in Israel nicht. Die Regierung kämpft gegen die Terrororganisation Hamas. Gleichzeitig wird die Kritik lauter, dass mehr auf den Schutz der Zivilisten in Gaza geachtet werden müsste. Geht das zusammen?
Die grauenvollen Taten der Hamas waren bewusst geplant, um Israel in eine Situation zu bringen, in der das Sicherheitsgefühl
der Bevölkerung in sich zusammenbricht. Wie bekämpft man eine Terrorgruppe, die sich innerhalb ihrer Bevölkerung versteckt? Israel muss die militärische Infrastruktur der Hamas zerstören. Es muss mit aller Härte zurückschlagen. Natürlich ist es humanitär eine gigantische Katastrophe. Aber ich meine, Israel hat keine Alternative. Auch, wenn es schwer auszuhalten ist.
Was würde ein Außenminister Fischer heute im Nahost-Konflikt unternehmen?
Fischer: Die ganze Struktur dieses Konfliktes gründet darauf, dass zwei Völker dasselbe Land beanspruchen. Die Optionen liegen seit der Gründung des Staates Israel auf dem Tisch: Entweder gibt es eine Ein-Staat-Lösung, in der Juden und Palästinenser zusammenleben. Das haben die Beteiligten schon 1947 abgelehnt. Oder eine Zwei-Staaten-Lösung. Das hat die arabische Seite auch damals abgelehnt. An diesen Möglichkeiten hat sich bis heute nichts geändert. Es gibt keine dritte Option. Der Glaube, dass man ohne Rücksicht auf die Palästinenser eine Zukunft gestalten könne, ist seit dem 7. Oktober passé. An diesem Tag ist der Vulkan namens
Nahost explodiert – mit fatalen Folgen. Es gibt keinen Frieden, ohne dass die Palästinenser Hoffnung haben.
Kann der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu einen Teil zur Lösung beitragen?
Nein, im Gegenteil. Netanjahu will keinen palästinensischen Staat. Wenn man in dieser Region Frieden haben will, brauchen wir die Zwei-Staaten-Lösung. Nur so haben die Palästinenser eine Perspektive. Das ist entscheidend. Auch, weil sich die Welt verändert hat. Der NahostKonflikt war schon während des Kalten Krieges ein Problem. Aber es bestand nie die Gefahr, dass er Auslöser eines großen Krieges werden könnte. Das hat sich durch die Einmischung des Iran geändert. Ich habe große Zweifel, dass die Hamas den Überfall auf Israel am 7. Oktober allein bewerkstelligen konnte…
Was will der Iran?
Der Iran hat kein Interesse an den Palästinensern. Für Teheran sind die Palästinenser Mittel zum Zweck, um die eigene regionale Dominanz durchzusetzen. Der Iran ist kein arabisches Land, er ist kein sunnitisches Land. Trotzdem ist es ihm mit viel strategischer Geduld und Skrupellosigkeit gelungen, ein Netzwerk von Terrorgruppen aufzubauen, das ihm sehr viel Einfluss garantiert. Der 7. Oktober hat uns eines gezeigt: Es gibt eine Trennlinie zwischen den Menschen auf der Straße und den Regierungen. Die Regierungen, etwa in Saudi-Arabien, würden gerne Frieden schließen mit Israel. Aber die Straße wird es nicht zulassen. Das befeuert der Iran.
Wird der Iran auch selbst aktiv in den Krieg im Nahen Osten eingreifen?
Fischer: Die Vereinigten Staaten versuchen, das zu verhindern, indem sie zwei Flugzeugträgergruppen ins östliche Mittelmeer geschickt haben. Das war ein wichtiger Schritt, denn das Signal ist in Teheran angekommen. Dort will man keine direkte militärische Konfrontation mit den USA.
Würden sich auch in dieser Frage die Vorzeichen ändern unter Trump?
Fischer: Davon müssen wir ausgehen. Die Anhängerschaft von Donald Trump will keine weiteren militärischen Interventionen. Ihr sitzt der Irak-Krieg noch in den Knochen. Die Soldaten kamen hauptsächlich aus den Bundesstaaten des Mittleren Westens der USA, sie mussten die größten Opfer bringen. Das hat die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft verstärkt.
Wir haben eben über Ihre Maxime „Nie wieder Auschwitz“gesprochen. Der Satz damals ging noch weiter: „Nie wieder Faschismus.“Nun erleben wir ausgerechnet in einer Zeit, in der die Grünen und die SPD mitregieren, den beispiellosen Aufstieg der AfD. Wie ist das zu erklären?
Fischer: Die AfD ist eine Nazipartei, Björn Höcke ist ein Nazi. Ich hätte es niemals für möglich gehalten, dass diese Partei in Thüringen eine Mehrheit bekommen könnte bei der Landtagswahl… Nach 1945 hat sich bei uns der Glaube festgesetzt, dass einzig Adolf Hitler und sein Machtzirkel für den Nationalsozialismus verantwortlich waren. Doch offensichtlich schlummert da etwas in manchen Deutschen, das wir übersehen haben. Mich erschüttert das zutiefst.
Ist die AfD ein Ost-Phänomen?
Ich halte das für einen Fehler, das den Ostdeutschen in die Schuhe zu schieben. Erinnern Sie sich an die NPD: Sie kam einmal beinahe in den Bundestag.
Die AfD scheint ja auch eine Art Sammelbecken für Menschen zu sein, die aus ganz unterschiedlichen Gründen unzufrieden sind. Ein großes Thema ist Migration. Die propalästinensischen Demos etwa stießen vielen im Land auf. Wie schätzen Sie das ein?
Wir – auch und vor allem die politisch Linken – haben einen großen Fehler gemacht, indem wir uns von der Union in eine Scheindebatte über eine Leitkultur haben verwickeln lassen. Unsere Leitkultur ist das Grundgesetz. Punkt. Wer hierherkommt, kommt in den Geltungsbereich des Grundgesetzes. Und wer das nicht akzeptiert, der hat sich in der Adresse geirrt. Denn unter den wachsenden Ressentiments leiden doch vor allem diejenigen, die Schutz gesucht haben, die so leben wollen wie wir, die ihren Kindern eine Perspektive geben wollen. Es war ein Fehler, nicht klarzumachen, was es heißt, Deutscher zu werden. Mit diesem Schritt geht jeder einen historischen Vertrag ein. Migration ist nie einfach. Aber Migration bietet uns auch eine Chance.
Inzwischen demonstrieren nicht mehr die Israel-Kritiker, sondern die Bauern, die Mitte der Gesellschaft…
Als alter Demonstrant darf ich Ihnen sagen: Das hätte ich mir mal gewünscht, staatlich subventioniert zur Demo zu fahren. Diese riesigen Traktoren! Diese Leute meinen, sie hätten einen Anspruch darauf, dass ihr Diesel von uns bezahlt wird! Darauf muss man erst mal kommen.
Zeigt nicht diese Debatte auch, dass allein das Wort Klimaschutz so verbrannt ist, dass bei diesem Thema kaum mehr etwas zu machen ist? Die Heizungspläne von Bundeswirtschaftsminister Habeck haben ja auch nicht zur Akzeptanz von Klimaschutz beigetragen.
Wenn wir den Klimaschutz abschreiben würden, würden wir uns selbst abschreiben. Aber natürlich würde ich mir wünschen, dass die Regierung ihr Ohr näher am Volk hat. Der Klimaschutz ist eine Herausforderung, die nicht weggeht, nur weil wir die Augen verschließen und uns die Ohren zuhalten. Im Gegenteil.
Die Krisenlage macht es nicht einfacher, den Leuten diesen Befund zu vermitteln.
Ja nun, das ist Politik. Es ist ein großer Irrtum, zu meinen, Otto und Ottilie Normalverbraucher seien doof. Das sind sie nicht. Das kann ich aus der Summe meiner Lebenserfahrungen sagen. Sie mögen nicht immer politisch präzise analysieren, aber sie sehen genau, was vor sich geht.
Haben Sie manchmal Mitleid mit der heutigen Bundesregierung?
Nein! Niemand wird gezwungen, in eine Regierung einzutreten.
Interview: Margit Hufnagel und Peter Müller