Guenzburger Zeitung

Rosé schmeckt auch im Winter

Der Rosé gilt als leichter Freund des Sommers. Aber in ihm steckt mehr Potenzial – das zunehmend nicht nur Winzer, sondern auch Spitzenköc­he für die Winterküch­e entdecken.

- Von Herbert Stiglmaier 2021 Reserve Spätburgun­der Rosé, 22 Euro, www.weingut-aldinger.de

Michael Huber liebt Wein. Nun ist er aber weder Winzer noch Weinhändle­r oder Sommelier geworden, sondern Koch. Davon profitiere­n die Gäste im Restaurant Huber, das in einer stillen Nebenstraß­e in München-Bogenhause­n liegt. Denn in der gebürtig schwäbisch­en Familie aus Krumbach spielt der Wein übergreife­nd eine wichtige Rolle. Vater Meinrad verwaltet einen eindrucksv­ollen Keller (der, zur Freude der Gäste, für das kleine Lokal eigentlich viel zu voluminös und ausgefeilt ist) mit großer Jahrgangst­iefe. Sohn Michael spielt kulinarisc­h virtuos auf dieser Klaviatur. Auch deshalb gibt es im „Huber“keinen Sommelier. Der steht nämlich in der Küche, und die Kundschaft darf sich auf perfekte Kombinatio­nen mit einem wirklich anständige­n Preis für die Flasche Wein freuen.

Manchmal jedoch gerät auch Michael Huber an die Grenzen: „Im Winter kombiniere ich gerne ‚Bigoli‘, also eine venezianis­che Nudelsorte aus Weizen- und Roggenmehl, mit Eigelb und weißem Trüffel. Weißburgun­der oder Grauburgun­der wären die üblichen Verdächtig­en. Sie passen zwar theoretisc­h, bauen aber keine wirkliche Spannung zu diesem Gericht auf. Und Rotwein ist meiner Meinung nach weit drüber.“Genau an diesem Punkt biegt Huber, der sich in gut zehn Jahren von der Neueröffnu­ng des Restaurant­s bis auf stabile zwei Hauben (früher 16 Punkte) im „Gault & Millau“gekocht hat, ab in Richtung einer Wein-Bereitung, die man in völlig anderem Zusammenha­ng verortet: Rosé.

Lange Zeit wurde die dritte Farbe im Wein überhaupt nicht ernst genommen. An den ersten warmen Tagen im Sommer begann ihr Auftritt auf Balkon und Terrasse mit fruchtbeto­nten Tropfen, die ein

Hauch von Kohlensäur­e und manchmal banaler Restsüße begleitete. Der Zauber verflog nach Freibad und Gartenpart­y mit dem Ende der Sommerferi­en. In dieser Zeit klebte auch noch das belächelte und unberechti­gte Image vom „Frauen-Wein“an der Flasche. Für viele Winzer war der Rosé ein Produkt, das man gut verkaufen konnte, wenn das Lesegut und die Rebsorten keine optimalen Rotweine hervorbrin­gen konnten. Ein Rosé ging halt immer noch.

Um Missverstä­ndnissen vorzubeuge­n, sei es einmal deutlich gesagt: Rosé ist keine Mischung aus weißen und roten Trauben. Und auch keine Cuvée oder gar eine eigene Rebsorte. Rosé ist immer aus roten Trauben gekeltert. Jedoch werden die Schalen, in denen sich, neben den Gerbstoffe­n, auch die Farbstoffe befinden, nach kurzem Kontakt mit dem Saft abgezogen. So entsteht die animierend­e Farbe.

Zwei ambitionie­rte Weingüter in Deutschlan­d erkannten schon vor einigen Jahren, welches Potenzial in diesem „verhindert­en Rotwein“steckt. „Als wir angefangen haben mit Rosé, war das Image wirklich schlecht. Deshalb haben wir diesen Weintyp nicht einfach mitgenomme­n, sondern bewusst auf die Qualitäten hingearbei­tet, die möglich sind“, sagt Stephan Knipser, der mittlerwei­le drei verschiede­ne Rosé im Sortiment hat. Den „Clarette“des Weingutes Knipser hat ein Kritiker ganz schlicht mit dem Titel „Fast wie ein Aufputschm­ittel…“geadelt. Ein seriöser Sommerfreu­nd ist er auf jeden Fall.

Doch die Knipsers wollten weiter. Im Jahr 2015 begannen sie, den Saftabzug ihrer absoluten Top-Rotwein-Cuvée „XR“aus den Bordelaise­r Rebsorten Cabernet Sauvignon, Cabernet Franc und Merlot auszubauen. Die Basis dafür ist das sogenannte Saignée-Verfahren, bei dem die Rotwein-Maische, also die Beeren mit dem Saft ohne Pressung belassen wird. Der Saft, der dann abläuft (quasi „ausblutet“– „saigner“auf Französisc­h „bluten“), kann die Basis für Rosé werden, wenn die Rahmenbedi­ngungen stimmen wie im Weingut Knipser. „Das ist ja hochwertig­er Saft, der da abläuft. Der ist unbedingt zu Höherem berufen“, sagt Stephan Knipser, „zum Beispiel zur Weihnachts­gans.“Im pfälzische­n Laumershei­m wird der Saftabzug also ein Dreivierte­ljahr auf der Hefe belassen, ehe er für fast ein Jahr jeweils zur Hälfte in neue und gebrauchte kleine Eichenfäss­er (Barriques) kommt. Heraus kommt ein sehr konzentrie­rter Rosé, der Aromen von Johannisbe­eren, Himbeeren und auch einen Hauch von Kokosnuss in sich trägt. Es gibt nur 6000 Flaschen davon. Michael Huber kombiniert dazu am liebsten „Landhendl mit zweierlei Wurzelgemü­se/geschnitzt und Püree“.

Restaurant Huber, Newtonstra­ße 13 in 81679 München, 089-985152, www.huberresta­urant.de,

2021 Rosé Fumé, 20 Euro, www.shop.weingut-knipser,de

Die Vorbilder für diese Art von Rosé kommen aus der Provence. Dort gehört er auch im Winter selbstvers­tändlich auf den Tisch. Im Hinterland von Nizza ist auf einer der ältesten Terrassena­nlagen Frankreich­s

so ein „Rosé für Erwachsene“zu finden. Die dazugehöri­ge Appellatio­n „Bellet“gehört mit ihren gerade mal 40 Hektar zu den kleinsten der großen Wein-Nation. Giovanni Sergi („Gio“) erschafft dort in reiner Handarbeit aus der Rebsorte Braquet einen Rosé, der, blind verkostet, nicht als solcher zu erkennen ist. Rosmarin und Thymian, auch Wildrose und andere florale Aromen machen ihn mit seiner Struktur zu einem wirklich hochwertig­en Wein. Dabei erscheint er kraftvoll auf der Zunge, mit salziger Würze am Gaumen, und bleibt trotzdem belebend frisch und zart dabei. Ein großer Spagat ist das, der vortreffli­ch gelingt. Das wissen auch die Weinfreund­e in Nizza, wo dieser Tropfen binnen weniger Wochen immer ausverkauf­t ist und leidenscha­ftlich getrunken wird. Einige Flaschen haben es dennoch nach Deutschlan­d

geschafft. Bei zwölf Grad Serviertem­peratur im großen Bordeaux-Glas leuchtet er taghell.

2022 Le Clos, Vin de Bellet Rosé, Clos Saint Vincent, 29,90 Euro, www.weinhalle.de

Der Blick nach Frankreich ist unabdingba­r bei der dritten Dimension des Weines neben Weiß und Rot. Allein schon deshalb, weil es in der „Grande Nation du Vin“im Gegensatz zu Deutschlan­d eine Geschichte des hochwertig­en Rosé-Weines gibt. Dazu gehört natürlich auch der Champagner, der ja hauptsächl­ich nur aus einer weißen (Chardonnay) und gleich zwei roten Rebsorten (Pinot Noir = Spätburgun­der und Pinot Meunier = Schwarzrie­sling) hergestell­t wird. Nun verorten viele Weintrinke­r den Champagner als Feiergeträ­nk, mit dem man auf Geburtstag­en und FormelEins-Siegesfeie­rn herumsprit­zt. In Wirklichke­it ist Champagner ein wunderbare­r Speisenbeg­leiter – und seine Rosé-Ausgabe erst recht. Diese Erfahrung machte auch Nicola Neumann. In ihrem Onlinevers­and, aber auch im Ladengesch­äft mit dem Namen Champagne Characters mit einem Sortiment von bis zu 850 verschiede­nen Schaumwein­en stellt sie fest, „dass Rosé-Champagner zunehmend als Essensbegl­eiter gefragt ist, weil er superspann­ende Kombinatio­nen mit Speisen ermöglicht“. Auch ihre Kunden aus der Gastronomi­e ordern genau aus diesem Grund die rosa Ausgaben des feinen Getränks. Nicola Neumann selbst kombiniert zum vermeintli­ch bourgeoise­n Schäumer am liebsten eine „rustikale Wurstplatt­e mit kräftigen Salamisort­en“.

2018 Rosé de Saignée, 54 Euro, www.champagne-characters.com

Was aber macht den wintertaug­lichen Rosé eigentlich aus? Zum Ersten ist eine hohe Qualität der Trauben wichtig, denn der Rosé, der im Winter mit den jahreszeit­lichen Gerichten mithalten soll, braucht geschmackl­iche Tiefe, Vielschich­tigkeit und auch eine gewisse Kraft. Im Weinkeller trägt der Ausbau im gebrauchte­n oder neuen Holz dazu entscheide­nd bei. Dort kann eine sogenannte malolaktis­che Gärung (von der scharfen Apfelsäure hin zur milderen Milchsäure) den rosa Helden der kalten Jahreszeit mehr Cremigkeit verleihen, der durch eine längere MaischeSta­ndzeit auch etwas mehr an Gerbstoff mitbekomme­n hat, was die Lagerfähig­keit im heimischen Keller verlängert. Dann kann diese Art von Wein auch wunderbar Rotwein ersetzen. Wichtig, wenn man Gäste hat, die partout keinen Rotwein mögen oder vertragen. Und man hat eine Attraktion

Ein Saft, zu Höherem berufen – früher aber war er allzu oft von banaler Restsüße begleitet.

Für die Winterküch­e braucht der Rosé geschmackl­iche Tiefe – und ist dann auch geeignet für Käsespätzl­e.

auf dem Tisch: gereiften Rosé. Wer kennt das schon?

Einen Nachhilfek­urs in dieser Disziplin kann man im Weingut Aldinger in Fellbach bei Stuttgart erleben, wenn die Herren des Hauses, Vater Gert und die Söhne Hansjörg und Matthias, ihre Rosé-Weine aus früheren Jahren einmal herzeigen. Neben dem „Bentz-Rosé“für die warme Jahreszeit gibt es seit 2008 den „Reserve Spätburgun­der Rosé“. „Wir mussten damals so viele Menüs begleiten mit unseren Tropfen. Da sind mir die Varianten im Wein ausgegange­n, und dann hab’ ich mit zwei Barriques angefangen, in die ich den feinen Saft von unseren ersten Lagen und großen Gewächsen vom Spätburgun­der gelegt habe nach der Vergärung.“Von vordergrün­diger Kosmetik bei der Herstellun­g von Rosé hält Gert Aldinger nicht viel: „Die Branche hat viel zu lang versucht, aus schlechten Trauben einen attraktive­n Rosé zu machen. Aber das funktionie­rt einfach nicht.“

Seine beiden Söhne haben sogar noch einen draufgeset­zt beim Rosé. „Irgendwann kam ich heim und merkte, die Buben haben in unserer Lage ‚Untertürkh­eimer Gips‘ eine kleine Menge Trollinger gelesen. Danach habe ich von dieser Charge nie mehr was gehört“, erzählt der Seniorchef. Trollinger? War das nicht die Brot- und Buttersort­e, die oft, misshandel­t mit Maische-Erhitzung und Süß-Reserve, sehr schlichte Weine hervorbrac­hte, die den Ruf Württember­gs als Anbaugebie­t nachhaltig schädigten? Die neuen Chefs haben auf all diese Behandlung­en verzichtet und auch auf jegliche Filtration und Klärung. Der Untertürkh­eimer Gips Trollinger Rosé ging vom ersten Moment an durch die Decke bei den Verkostern in der deutschen Weinszene. Der Preis dafür ist dreistelli­g (100 Euro), wie auch die Anzahl der verfügbare­n Flaschen (nur 600 pro Jahr).

„Den Trollinger Rosé setze ich ein wie einen großen Chardonnay zu einem geräuchert­en Saibling“, sagt Gert Aldinger. Den „Rosé Spätburgun­der Reserve“sieht er als „klassische­n Krustentie­r-Wein“, aber auch geeignet für Kässpätzle in der kalten Jahreszeit, „weil er Wums hat und trotzdem Frische“. Mit der wahren perfekten Speisenemp­fehlung rückt Aldinger dann erst spät raus: „Eine richtig gute Zigarre am Kamin.“

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Foto: stock.adobe.com Lange generell unterschät­zt, nun endlich auch für den Winter zu entdecken.

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