Guenzburger Zeitung

„Wir müssen jetzt echt Gas geben“

Aygül Özkan ist Hauptgesch­äftsführer­in des Zentralen Immobilien Ausschusse­s. Sie macht Druck, damit beim Wohnungsba­u mehr vorangeht – vor allem im mittleren Segment, für die Krankensch­wester oder den Polizisten.

- Aygül Özkan: Özkan: Özkan: Özkan: Özkan: Özkan:

Frau Özkan, Sie sind Rechtsanwä­ltin und waren unter anderem drei Jahre Ministerin für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integratio­n in Niedersach­sen. Jetzt machen Sie in Immobilien. Warum?

Ich war damals auch fürs Bauen zuständig, aber das passte nicht mehr in die Amtsbezeic­hnung. Und um Ihre Frage zu beantworte­n: weil Bauen und Immobilien ein ganz spannendes Thema sind. Der Mensch verbringt fast 90 Prozent seiner Zeit im umbauten Raum. Immobilien, Gebäude oder öffentlich­e Einrichtun­gen beeinfluss­en den Menschen. Wir stehen mit der Immobilie im sehr, sehr engen Kontakt mit Menschen, und das ist für mich das Interessan­te.

Wenn die Immobilie doch so wichtig ist – warum haben die Parteien, Sie selbst sind CDU-Mitglied, es über Jahre nicht hinbekomme­n, bezahlbare­n Wohnraum zu schaffen?

Weil die Erwartung an die demografis­che Entwicklun­g bei vielen noch eine andere war. Die meisten sind davon ausgegange­n, dass wir eine schrumpfen­de Bevölkerun­g haben. Die Erkenntnis, dass wir Zuwanderun­g bekommen, also Flüchtling­e plus die gewünschte Arbeitsmig­ration für unsere Wirtschaft, die hat man ausgeblend­et. Als ich 2010 Bauministe­rin wurde, habe ich in Hannover lange mit den anderen Ministerie­n gerungen. Denn ich bin von einem anderen Trend ausgegange­n. 2015, mit dem Anstieg des Flüchtling­szuzugs, fand ein Umdenken statt. Nur entstehen neue Wohnungen nicht auf Knopfdruck – das dauert.

Aber jetzt hat Bauministe­rin Geywitz zusammen mit Kanzler Scholz jeweils eine Milliarde Euro für dieses und fürs nächste Jahr lockergema­cht. Sie will die Zinsen verbillige­n und ausschließ­lich Wohnungen des unteren und mittleren Preissegme­nts fördern. Die Zinsverbil­ligung ist eine alte ZIAForderu­ng. Sind Sie jetzt zufrieden?

Özkan:

Das ist eine Idee, die im

September beim Baugipfel im Kanzleramt entwickelt und als Prüfauftra­g festgehalt­en wurde. Es geht nicht um „Modell Gießkanne“. Der soziale Wohnraum wird bis 2027 mit 18,15 Milliarden Euro sehr gut gefördert, das läuft. Was fehlt, sind Wohnungen im mittleren Segment – für die sprichwört­liche Krankensch­wester oder den Polizisten, die beim Wohngeld vielleicht hinten runterfall­en. Das lässt sich mit zinsverbil­ligten KfW-Darlehen ankurbeln. Wir hätten uns ein Minimum von 3 Milliarden Euro gewünscht. Damit kann man zinsverbil­ligt etwa 100.000 Wohnungen mit guter Basisausst­attung bauen. Jetzt, nach dem Karlsruher Urteil, sind es immerhin insgesamt 2 Milliarden für zwei Jahre. Das freut uns sehr. Denn es zeigt, dass das Problem erkannt ist und die Prioritäte­n richtig gesetzt werden.

Aber auch das reicht hinten und vorne nicht. Eigentlich kann es doch nur der Staat richten und selbst beziehungs­weise über kommunale Genossensc­haften günstige Wohnungen schaffen, die massiv subvention­iert werden. Die Stadt Wien ist ein internatio­nal gefeiertes Beispiel für solch eine Politik.

Özkan: Also ich sage jedem, der Genossensc­haften nennt: Mir erschließt sich nicht, warum die Rechtsform der Genossensc­haft mehr Wohnungen schaffen soll als private oder städtische Unternehme­n. Wien wird oft als Beispiel genannt, doch die Stadt hat Jahrzehnte vorher eine andere Bodenpolit­ik betrieben, das Mietrecht ist auch anders als bei uns. Mieterinne­n und Mieter müssen zum Beispiel größtentei­ls selbst für die Instandhal­tung sorgen. Das Land Berlin beispielsw­eise hat durch die Investitio­nsbank ein gutes Förderprog­ramm aufgelegt, bei dem der Senat Vorgaben macht. Da wird klar gesteuert und das Geld zweckgebun­den rausgegebe­n.

Aber noch mal: Es reicht doch hinten und vorne nicht!

Özkan: Es reicht – natürlich – nicht. Die kommunalen Wohnungsge­sellschaft­en leisten schon viel. Nur: Man kann nicht aufholen, was über Jahre in Bund und Ländern nicht gemacht wurde. Wir müssen jetzt echt Gas geben. Wohnen ist ein Grundbedür­fnis – so wichtig wie Wasser und Brot.

Wenn Ihnen eine gute Fee drei Wünsche freigeben würde, um Bauen billiger zu machen, welche würden Sie auswählen?

Ich würde mir von den Ländern wünschen, die Grunderwer­bsteuer abzusenken. Fast alle sind an der Höchstgren­ze. Das würgt das Bauen ab. Der zweite Wunsch: ein zinsverbil­ligtes Darlehen, um die Finanzieru­ng des Wohnungsba­us wirtschaft­lich zu machen. Genau das will die Bundesbaum­inisterin mit der einen Milliarde erreichen. Und – drittens – müssen wir die Bauvorschr­iften radikal ausdünnen, damit endlich Tempo ins serielle Bauen kommt.

Die Forderung nach einer Harmonisie­rung der Bauordnung­en durch die Bundesländ­er wird von Bundesregi­erung und Bauverbänd­en schon ewig erhoben. Das wird doch nie was.

Özkan: Klar: Im Alltag läuft es so, dass alle Ministerpr­äsidenten auf die föderale Struktur und ihre Zuständigk­eiten pochen. Das platte Land hat andere Bedingunge­n als Bayern. Nur: In der Praxis käme man weiter, wenn die Länder untereinan­der den besten Beispielen folgen würden. Nehmen wir das Thema Lärm. Warum nicht den Lärmschutz hinter dem Fenster messen und nicht – wie bisher – davor? Die Koalition steht kurz davor, die Ausnahmere­geln für den schnellen Bau von Flüchtling­sunterkünf­ten auf den Neubau von Wohnungen generell auszudehne­n, wenn der Mietmarkt angespannt ist. Wir brauchen mehr solcher Beispiele!

Bundesbaum­inisterin Geywitz hat ihr Ziel von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr für 2023 einkassier­t und will nun „durch Vorfertigu­ng und Digitalisi­erung“in diesem und im nächsten Jahr „an diese Zahl herankomme­n“. Für wie realistisc­h halten Sie das?

Das werden wir nicht hinbekomme­n: Auch in diesem Jahr werden wir keine 400.000 schaffen, 2025 wahrschein­lich auch nicht. Wir dürfen aber nicht sagen: „Wir legen uns mal hin, weil es eh nichts werden kann.“Entscheide­nd ist, dass wir uns strecken, denn jede einzelne Wohnung zählt.

Frau Geywitz hatte zu Beginn ihrer Amtszeit verkündet, das Eigenheim sei nicht mehr zeitgemäß, weil zu viel Fläche für deren Bau verbraucht werde. Was halten Sie von dieser Kampfansag­e an einen Traum, den immer noch Millionen Menschen in Deutschlan­d hegen?

Gott sei Dank leben wir in einem freien Land, in dem jeder entscheide­n kann, wie er leben, arbeiten und wohnen möchte. Wir werden gerade im Job immer flexibler und arbeiten viel häufiger als vor Corona von daheim aus.

Könnte es nicht auch sein, dass sich die Investoren mit dem Bau neuer Wohnungen zurückhalt­en, weil sie davon ausgehen, dass die Bevölkerun­g schrumpft, wenn irgendwann die geburtenst­arken Jahrgänge der Babyboomer nicht mehr sind? Das könnte in etwa 20 Jahren so weit sein.

Gegen die Annahme sprechen zwei Faktoren: der Zuzug und die Verteilung des Wohnraums. In der Vergangenh­eit lebten die Leute auf weniger Platz zusammen. Heute lebt jeder Fünfte allein. Rund ein Drittel der Ehen wird geschieden, Familien gehen auseinande­r. Nur: Auch Singles brauchen ein Bad und eine Küche, die dann nicht gemeinsam genutzt werden. Der medizinisc­he Fortschrit­t hat dazu geführt, dass wir länger leben. Das ist eine schöne Entwicklun­g. Und natürlich sind seit 2015 Hunderttau­sende Menschen als Flüchtling­e nach Deutschlan­d gekommen. Sie alle müssen irgendwo wohnen. Außerdem sollen jedes Jahr mehrere Hunderttau­send Arbeitskrä­fte aus aller Welt hierherkom­men, um den in allen Branchen spürbaren Personalma­ngel aufzufange­n. Wir brauchen also auf absehbare Zeit viel mehr Wohnungen. Daran führt kein Weg vorbei.

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Foto: Özkan/ZIA

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