Schauspieler und Musiker brillieren bei der Premiere
Olaf Dröge und Wolfgang Lackerschmid demonstrieren im Rahmen eines Gastspiels des Augsburger Sensemble-Theaters in Burgau die Kunst des „Ozeanpianisten“.
Wer noch eine gute Geschichte zu erzählen habe, der sei längst nicht am Ende. Die Botschaft der zentralen Figur im Theaterstück „Novecento“, aufgeführt vom Sensemble-Theater Augsburg auf der Bühne des Neuen Theater Burgau, gilt auch für das Drama selbst. Es erzählt eine gute Geschichte: Vom Ozeanriesen „Virginian“, der Menschen über die Weltmeere trägt, mondäne Reiche wie arme Auswanderer. Von einem Findelkind, abgestellt in einer Tasche auf dem Konzertflügel im Ballsaal des Schiffes, Novecento genannt und liebevoll in die Obhut genommen von einem Maschinisten. Das Stück erzählt von der phänomenalen musikalischen Begabung des Jungen, der sich das Klavierspiel selbst beibringt und zum „Ozeanpianisten“avanciert. Von Novecentos Liebe zu „seinem“Schiff, das er niemals verlässt, auch nicht, als es zur Verschrottung vorbereitet und mit Sprengstoff befüllt wird. Und in dieser Geschichte stecken viele kleine Geschichten, die beispielsweise erzählen, wie Novecento und sein Freund, der Trompeter Tim Tooney, bei einem Seesturm die Bremsen des Konzertflügels lösen und auf der Klavierbank sitzend eine Kreiselfahrt erleben.
Eine andere Geschichte ist, wie ein berühmter Jazzpianist aufs Schiff kommt, um Novecento zu einem musikalischen Wettstreit herauszufordern. In diesen Geschichten stecken prächtige Bilder,
dichte Szenen und fulminante Abläufe.
Kein Wunder, dass der Stoff opulent verfilmt wurde und Ennio Morricone die Musik dazu komponierte. Den Geschichten ihren Zauber zu entlocken, die Bilder vor das innere Auge zu holen, das gelingt mit ungleich schlichteren Mitteln. Olaf Dröge, einziger Darsteller in der Augsburger „Novecento“-Inszenierung von Regisseur Jörg Schur, könnte es allein mithilfe seiner Artikulation, seinem Sprachrhythmus und den Klangmodulationen seiner Stimme. Theater aber ist mehr als Lesung: Und so erlebte das Burgauer Premierenpublikum Olaf Dröge, wie er pantomimisch ein Trompetensolo
spielt, einen Ragtime tanzt, gestenreich deklamiert, akrobatisch sich auf Klavier und Hocker bewegt. Ein Dialog zwischen dem Maschinisten und einem Kellner: kein Problem für Olaf Dröge. Er wechselt mühelos zwischen den überbordenden Vaterfreuden des einen und der servilen Gestik des anderen.
In das kaputte Klavier schlüpft er hinein, den verlorenen Freund ertastend. Ein aus dem Klavier herausgebrochenes Brett nutzt er, um das Herabfallen von Bildern zu demonstrieren oder den rettenden Landungssteg auszulegen. Und schließlich entlockt er gegen Ende des Stücks der offenliegenden Mechanik des Klaviers einen seltsam
klagenden Laut. Den klingenden Part in dieser sehens- und hörenswerten Inszenierung hatte Wolfgang Lackerschmid zu leisten. Der Jazzmusiker und Komponist sollte auf Vibrafon und Schlagwerk all das hörbar machen, was im Stück passiert: die Ankunft der „Virginian“in Amerika beispielsweise oder ein Kinderlied, über das Novecento fantasiert oder die Jazz-Improvisationen im Ballsaal.
Lackerschmid nutzte Bekanntes nur sparsam. Dvoraks „Symphonie aus der Neuen Welt“klang an, gelegentlich gab es Spuren eines in den Jazz transformierten Johann Sebastian Bach. Doch zumeist improvisierte Wolfgang Lackerschmid. Er tat das mit Leidenschaft
und Fantasie, mit Feingefühl und Virtuosität. Ihn zu hören und in Aktion zu erleben, das allein hätte den Besuch an diesem Abend gelohnt. Beide Künstler suchten die Haltung von Novecento verstehbar zu machen. Er verlässt das Schiff nicht, weil er die Welt nicht braucht, weil er in seiner Musik eine bessere, verlässlichere Realität auffindet. Olaf Dröge und Wolfgang Lackerschmid vermittelten eine Ahnung von dieser der Kunst eigenen Realität, ernteten mehrfach Zwischenapplaus und am Ende frenetische Zustimmung.
Weitere Aufführungen sind am 2. Februar, 20 Uhr, und am 4. Februar, 18 Uhr.