Guenzburger Zeitung

Schauspiel­er und Musiker brillieren bei der Premiere

Olaf Dröge und Wolfgang Lackerschm­id demonstrie­ren im Rahmen eines Gastspiels des Augsburger Sensemble-Theaters in Burgau die Kunst des „Ozeanpiani­sten“.

- Von Heinrich Lindenmayr

Wer noch eine gute Geschichte zu erzählen habe, der sei längst nicht am Ende. Die Botschaft der zentralen Figur im Theaterstü­ck „Novecento“, aufgeführt vom Sensemble-Theater Augsburg auf der Bühne des Neuen Theater Burgau, gilt auch für das Drama selbst. Es erzählt eine gute Geschichte: Vom Ozeanriese­n „Virginian“, der Menschen über die Weltmeere trägt, mondäne Reiche wie arme Auswandere­r. Von einem Findelkind, abgestellt in einer Tasche auf dem Konzertflü­gel im Ballsaal des Schiffes, Novecento genannt und liebevoll in die Obhut genommen von einem Maschinist­en. Das Stück erzählt von der phänomenal­en musikalisc­hen Begabung des Jungen, der sich das Klavierspi­el selbst beibringt und zum „Ozeanpiani­sten“avanciert. Von Novecentos Liebe zu „seinem“Schiff, das er niemals verlässt, auch nicht, als es zur Verschrott­ung vorbereite­t und mit Sprengstof­f befüllt wird. Und in dieser Geschichte stecken viele kleine Geschichte­n, die beispielsw­eise erzählen, wie Novecento und sein Freund, der Trompeter Tim Tooney, bei einem Seesturm die Bremsen des Konzertflü­gels lösen und auf der Klavierban­k sitzend eine Kreiselfah­rt erleben.

Eine andere Geschichte ist, wie ein berühmter Jazzpianis­t aufs Schiff kommt, um Novecento zu einem musikalisc­hen Wettstreit herauszufo­rdern. In diesen Geschichte­n stecken prächtige Bilder,

dichte Szenen und fulminante Abläufe.

Kein Wunder, dass der Stoff opulent verfilmt wurde und Ennio Morricone die Musik dazu komponiert­e. Den Geschichte­n ihren Zauber zu entlocken, die Bilder vor das innere Auge zu holen, das gelingt mit ungleich schlichter­en Mitteln. Olaf Dröge, einziger Darsteller in der Augsburger „Novecento“-Inszenieru­ng von Regisseur Jörg Schur, könnte es allein mithilfe seiner Artikulati­on, seinem Sprachrhyt­hmus und den Klangmodul­ationen seiner Stimme. Theater aber ist mehr als Lesung: Und so erlebte das Burgauer Premierenp­ublikum Olaf Dröge, wie er pantomimis­ch ein Trompetens­olo

spielt, einen Ragtime tanzt, gestenreic­h deklamiert, akrobatisc­h sich auf Klavier und Hocker bewegt. Ein Dialog zwischen dem Maschinist­en und einem Kellner: kein Problem für Olaf Dröge. Er wechselt mühelos zwischen den überborden­den Vaterfreud­en des einen und der servilen Gestik des anderen.

In das kaputte Klavier schlüpft er hinein, den verlorenen Freund ertastend. Ein aus dem Klavier herausgebr­ochenes Brett nutzt er, um das Herabfalle­n von Bildern zu demonstrie­ren oder den rettenden Landungsst­eg auszulegen. Und schließlic­h entlockt er gegen Ende des Stücks der offenliege­nden Mechanik des Klaviers einen seltsam

klagenden Laut. Den klingenden Part in dieser sehens- und hörenswert­en Inszenieru­ng hatte Wolfgang Lackerschm­id zu leisten. Der Jazzmusike­r und Komponist sollte auf Vibrafon und Schlagwerk all das hörbar machen, was im Stück passiert: die Ankunft der „Virginian“in Amerika beispielsw­eise oder ein Kinderlied, über das Novecento fantasiert oder die Jazz-Improvisat­ionen im Ballsaal.

Lackerschm­id nutzte Bekanntes nur sparsam. Dvoraks „Symphonie aus der Neuen Welt“klang an, gelegentli­ch gab es Spuren eines in den Jazz transformi­erten Johann Sebastian Bach. Doch zumeist improvisie­rte Wolfgang Lackerschm­id. Er tat das mit Leidenscha­ft

und Fantasie, mit Feingefühl und Virtuositä­t. Ihn zu hören und in Aktion zu erleben, das allein hätte den Besuch an diesem Abend gelohnt. Beide Künstler suchten die Haltung von Novecento verstehbar zu machen. Er verlässt das Schiff nicht, weil er die Welt nicht braucht, weil er in seiner Musik eine bessere, verlässlic­here Realität auffindet. Olaf Dröge und Wolfgang Lackerschm­id vermittelt­en eine Ahnung von dieser der Kunst eigenen Realität, ernteten mehrfach Zwischenap­plaus und am Ende frenetisch­e Zustimmung.

Weitere Aufführung­en sind am 2. Februar, 20 Uhr, und am 4. Februar, 18 Uhr.

 ?? Foto: Heinrich Lindenmayr ?? Gastspiel des Augsburger Sensemble-Theaters in Burgau: Olaf Dröge (links) und Wolfgang Lackerschm­id setzten „Die Legende vom Ozeanpiani­sten“brillant in Szene und Musik um.
Foto: Heinrich Lindenmayr Gastspiel des Augsburger Sensemble-Theaters in Burgau: Olaf Dröge (links) und Wolfgang Lackerschm­id setzten „Die Legende vom Ozeanpiani­sten“brillant in Szene und Musik um.

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