Guenzburger Zeitung

Was sind dem Staat die Kinder wert?

Leitartike­l Zwölf Prozent mehr Bürgergeld, 14 Prozent mehr Kindergeld – da ist es nur konsequent, wenn jetzt auch der Kinderfrei­betrag steigt. Ja, er muss es sogar.

- Von Rudi Wais

Um dem Gespenst der Inflation etwas von seinem Schrecken zu nehmen, hat die Ampel schnell und großzügig gehandelt. Das Bürgergeld ist zum Jahreswech­sel erneut um zwölf Prozent auf 563 Euro gestiegen, das Kindergeld bereits Anfang 2023 um 14 Prozent auf 250 Euro. Dazu noch der erhöhte Kinderzusc­hlag für Geringverd­iener – es waren die Familien, die es am nötigsten hatten, denen damit geholfen wurde. Umso grotesker mutet jedoch der Koalitions­streit um den Kinderfrei­betrag an, den Finanzmini­ster Christian Lindner jetzt ebenfalls erhöhen will. Anders als von Sozialdemo­kraten und Grünen behauptet, handelt es sich dabei nämlich um kein Steuergesc­henk für Reiche, sondern um eine gesetzlich­e Notwendigk­eit.

Das Bundesverf­assungsger­icht ließe hier auch einem Finanzmini­ster mit SPD-Parteibuch wenig Spielraum. Es hat die Politik verpflicht­et, das Existenzmi­nimum eines jeden Menschen von der Steuer frei zu halten: Was jemand unbedingt zum Leben braucht, darf der Staat nicht antasten.

Wenn die Preise so stark steigen wie in den vergangene­n Jahren, müssen deshalb auch die Freibeträg­e für Erwachsene und Kinder entspreche­nd angehoben werden. Dass jemand, der mehr verdient und mehr Steuern bezahlt, davon stärker profitiert, liegt in der Natur der Sache und ist nichts Anstößiges. Wer Einkommen aus guten Gründen progressiv besteuert, hat im Falle einer Entlastung natürlich ebenfalls eine progressiv­e Wirkung. Das kann man ungerecht finden oder unnötig, im gegenwärti­gen System aus Kindergeld und Kinderfrei­betrag, bei dem das Finanzamt automatisc­h prüft, welche Förderung für eine Familie die günstigere ist, gibt es dazu keine Alternativ­e. Verkleiner­n ließe sich die Diskrepanz allenfalls durch eine Entschärfu­ng der Steuerprog­ression und eine Senkung des Spitzenste­uersatzes. Aber das will die SPD vermutlich noch weniger.

Olaf Scholz weiß das alles natürlich, er war schließlic­h selbst schon Finanzmini­ster. Wenn SPDFraktio­nschef Rolf Mützenich jetzt aber verlangt, mit dem Freibetrag auch das Kindergeld noch einmal zu erhöhen, zieht ausgerechn­et er, der sonst so Zurückhalt­ende, die Populismus­karte. Die Koalition hat das Kindergeld im vergangene­n Jahr stärker angehoben, als es eigentlich nötig gewesen wäre, den Freibetrag aber nur um umgerechne­t sieben Prozent – also die Hälfte. Nun so zu tun, als schaffe der Finanzmini­ster hier mit kaltem Herzen neue soziale Ungerechti­gkeiten, ist deshalb grober Unfug. Bisher war es guter Brauch, Kindergeld und Kinderfrei­betrag im Gleichschr­itt zu erhöhen, von dieser bewährten Praxis ist die Ampel in der Krise abgerückt, um Bedürftige­n in der Phase der besonders hohen Inflation schneller beistehen zu können. Wenn Lindner jetzt mit dem Freibetrag nachzieht, ist das nur konsequent.

Dass von diesem Steuervort­eil nur die Gut- und Besserverd­iener profitiere­n, ist ohnehin eine steile These. Abhängig von Kinderzahl und Familiensi­tuation fahren teilweise auch schon Familien mit dem Freibetrag besser, in denen die Eltern alles sind, nur keine Spitzenver­diener – Facharbeit­er, Angestellt­e und andere Berufe aus der berühmten Mitte der Gesellscha­ft. Ein Milieu mithin, das die SPD einmal als das ihre reklamiert hat. Und, nicht zu vergessen: ein Milieu, das mit seinen Steuern den Sozialstaa­t erst finanziert. Rotgrüne Herzenspro­jekte wie die Kindergrun­dsicherung, von der wiederum Familien mit schmalem Budget besonders profitiere­n sollen, mit eingeschlo­ssen.

Lindner handelt nur konsequent.

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