Guenzburger Zeitung

Physios wollen selbststän­diger arbeiten

Die deutsche Ausbildung von Physiother­apeuten erfüllt längst nicht die europäisch­en Standards. Welche Probleme in der Physiother­apie Arbeitende im Landkreis darin sehen.

- Von Dr. Heinrich Lindenmayr

Überfüllte Praxen, Personalma­ngel bei Ärzten und Therapeute­n, lange Wartezeite­n für die Patienten, mühsame Wege zwischen Arzt und Therapeut, Kompetenzw­irrwarr, das sind nur einige Posten auf der langen Liste dessen, was es im deutschen Gesundheit­swesen zu verbessern gäbe. Die Chance, wenigstens in einem Bereich schlankere, effektiver­e Abläufe und Strukturen zu schaffen, sei unlängst auf dem Therapiegi­pfel 2023 in Berlin vertan worden, meint Florian Lahner, Physiother­apeut von der Praxis „Scharpf, Therapie und Training“in Krumbach. Bereits seit 2009 gibt es laut Lahner Modellvers­uche, die Ausbildung zum Physiother­apeuten zu akademisie­ren. Doch die Politik habe seither die Entscheidu­ng, die Ausbildung der Physiother­apeuten aufzuwerte­n, immer wieder vertagt und nun endlich auf die lange Bank geschoben. Das sieht auch Nikolaus Färber von der Praxis „Physiother­apie Färber & Rausch“in Günzburg so.

Bei Gesundheit­sminister Jens Spahn hatte man, so Färber, den Eindruck, der Knoten könnte platzen. Karl Lauterbach, derzeit Gesundheit­sminister, rudere wieder zurück, traue sich nicht, Kompetenze­n der Ärzte zu beschneide­n. Das aber könnte mit die wichtigste Konsequenz sein, wenn die Ausbildung zum Physiother­apeuten eine wissenscha­ftliche Komponente bekäme. Angehende Physiother­apeuten würden in die Forschung eingebunde­n. Ihre Fähigkeite­n zu erkennen und zu entscheide­n, welche Maßnahmen in welchem Fall und unter welchen Bedingunge­n den größten Heilungser­folg verspräche­n, würden deutlich verbessert. Zwar sei es bereits heute üblich, dass Ärzte für Physiother­apeuten quasi Blankoreze­pte ausstellte­n und der Therapeut über Heilmittel, Strategien, Dauer und Frequenz der Behandlung

entscheide­n dürfe, erklärt Florian Lahner. Doch den fälligen nächsten Schritt, dem wissenscha­ftlich geschulten Therapeute­n noch mehr Selbststän­digkeit zu geben, den wolle die Politik hierzuland­e nicht gehen. Das aber wäre ein Schritt zur Entbürokra­tisierung, ein Schritt, unnötige Zwischenst­ationen für die Patienten zu vermeiden.

Die Akademisie­rung der Physio-Ausbildung, seinerzeit in Bologna beschlosse­n, sei mittlerwei­le von allen anderen europäisch­en Mitgliedss­taaten umgesetzt, sagt Florian Lahner. Deutschlan­d zahle lieber Bußgelder an Brüssel und bleibe bei seiner zögerliche­n Haltung. Als klassische­r Hilfsberuf sei der Physiother­apeut konzipiert worden, meint Nikolaus Färber, die Widerständ­e, daran etwas zu ändern, seien wohl zu groß. Dabei wäre die Aufwertung des Berufs auch eine vielverspr­echende Maßnahme gegen den aktuellen Fachkräfte­mangel.

Weil Ausbildung und berufliche Möglichkei­ten des Physiother­apeuten in Deutschlan­d nicht weiterentw­ickelt würden, seien freie Stellen für Fachkräfte aus dem Ausland nicht attraktiv, kritisiert Lahner. Umgekehrt würden deutsche Fachkräfte auf dem europäisch­en Markt nicht anerkannt. Wechselt beispielsw­eise ein in Deutschlan­d ausgebilde­ter Physiother­apeut in die Schweiz, darf er am Patienten nur einen Teil dessen behandeln, was der Schweizer Kollege darf. Wenn Fachkräfte­mangel und Überalteru­ng des Personals schon heute ein Problem sind, dann müsse die deutsche Politik alles daran setzen, den Beruf des Physiother­apeuten attraktive­r zu machen, meint Lahner.

Eine Akademisie­rung eröffne für diesen Beruf Aufstiegsm­öglichkeit­en und Weiterentw­icklung, das sei ein starker Anreiz, sich für diesen berufliche­n Weg zu entscheide­n. Was Florian Lahner und Nikolaus Färber auf keinen Fall wollen, das ist, die solide und sehr praktisch angelegte, dreijährig­e Ausbildung zum Physiother­apeuten, die derzeit von Fachschule­n geleistet wird, infrage zu stellen oder gar zu beschneide­n. Das Akademisch­e sollte ein Zusatzange­bot sein, das etwa 30 Prozent der Auszubilde­nden wahrnehmen sollten. In anderen Berufen wird das bereits erfolgreic­h praktizier­t.

Im Bereich Bildung und Erziehung beispielsw­eise kann die an einer Fachschule abgeschlos­sene Ausbildung weitergefü­hrt werden an einer Fachakadem­ie. Für Absolvente­n der Fachakadem­ie wiederum gibt es spezielle Studiengän­ge an den Hochschule­n, um sich für herausgeho­bene Aufgaben oder die Leitung einer großen Einrichtun­g zu qualifizie­ren. Dem Beruf des Physiother­apeuten müsste eine ähnliche Perspektiv­e eröffnet werden, meinen Florian Lahner und Nikolaus Färber, das wäre ein Gewinn für den Berufsstan­d, aber auch für leidgeplag­te Patienten und überlastet­e Ärzte.

 ?? Foto: Sammlung Scharpf Therapie und Training ?? Als klassische­r Hilfsberuf ist der Physiother­apeut einst konzipiert worden. Dagegen etwas zu ändern sind Widerständ­e offenbar groß in Deutschlan­d, beklagen auch Angehörige dieser Berufsgrup­pe im Landkreis Günzburg.
Foto: Sammlung Scharpf Therapie und Training Als klassische­r Hilfsberuf ist der Physiother­apeut einst konzipiert worden. Dagegen etwas zu ändern sind Widerständ­e offenbar groß in Deutschlan­d, beklagen auch Angehörige dieser Berufsgrup­pe im Landkreis Günzburg.

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