Guenzburger Zeitung

Dorfladen schließt: „Er war mein Leben“

Nach sieben Jahren hören Andrea Karsten-Arnold und ihr Ehemann Jürgen im März im Dorfladen auf. Wie es mit dem Paar und dem Geschäft weitergeht.

- Von Heike Schreiber

Wo sonst Wurstsemme­ln und Käse in der Auslage drapiert sind, ist jetzt alles fein säuberlich mit Tüchern abgedeckt. Die Kasse und das Licht sind ausgeschal­tet, nur die Kühl- und Gefriersch­ränke brummen leise vor sich hin. Für heute hat Andrea Karsten-Arnold ihre Arbeit erledigt, sperrt den Dorfladen in Haldenwang zu. In Kürze wird die 53-Jährige ihn gar nicht mehr öffnen, Ende März ist Schluss. Nach sieben Jahren hört Karsten-Arnold, die den Laden zusammen mit ihrem Mann Jürgen Karsten aufgebaut hat, auf. Eigentlich hätten die beiden gerne noch bis zu ihrer Rente weitergema­cht, ihr beider Herz hänge an „ihrem“Geschäft. Warum sie sich zu diesem Schritt gezwungen sehen und ob noch eine Chance besteht, dass der Laden vielleicht doch überlebt, erzählt das Paar im Gespräch mit unserer Redaktion.

Die beiden hatten es sich gut überlegt und genau durchdacht, bevor sie Mitte Oktober 2016 mit dem Dorfladen neben dem Rathaus in Haldenwang starteten. Bis Anfang 2016 war in dem Gebäude noch eine Außenstell­e der Raiffeisen­bank untergebra­cht. Als die schloss, fiel auch der letzte Treffpunkt der Holzwinkel-Gemeinde weg. Dabei hatten bis in die 1970er-Jahre hinein noch drei Lebensmitt­elgeschäft­e existiert und sogar zwei Wirtschaft­en. Die Karstens wollten wieder einen neuen Mittelpunk­t in Haldenwang schaffen, „einen Ort, wo die Leute zusammenko­mmen“, hatten sie sich vorgenomme­n. Und wo man nicht nur Kleinigkei­ten bekommt, die man im Supermarkt vergessen hat, sondern frische und regionale Produkte und immer ein selbst gekochtes Mittagesse­n.

Der Laden kam gut an. Und hatte bald seine treue Stammkunds­chaft bis aus dem südlichen Landkreis und dem angrenzend­en Augsburger Raum. Als das erste Jubiläum anstand, sagte Andrea Karsten-Arnold gegenüber unserer Redaktion: „Es läuft gut. Wir sind wirklich zufrieden.“Die Coronapand­emie führte sogar zu einer größeren Nachfrage, das Jahr 2021 sei vom Umsatz her das beste Jahr gewesen, „das wir je hatten“. In dieser Zeit hätten die Karstens auch gerne angebaut. Die Gemeinde, die die Räume an das Paar vermietet hat, machte einen anderen Vorschlag. Der Laden könne in ein von ihr gekauftes Anwesen in der Hauptstraß­e gegenüber dem Rathaus umziehen und in deutlich größerer Variante eröffnen. Das Ganze zerschlug sich, als die Vorstellun­gen zu sehr auseinande­rgingen.

Der Dorfladen blieb letztlich, wo er war. Der Umsatz ging zurück, „die Leute haben nicht mehr so viel im Geldbeutel“, hat KarstenArn­old festgestel­lt. Trotzdem sei das nicht der Grund, warum sie den Laden jetzt aufgeben müsse. Hauptprobl­em seien die Nachwehen der Coronakris­e und das Finanzamt. Denn das forderte nicht nur eine saftige Nachzahlun­g für das umsatzstar­ke Jahr 2021, sondern auf Basis dieses so erfolgreic­hen Jahres Vorauszahl­ungen für die Jahre 2022 und 2023. Und als ob das nicht genug gewesen wäre, fordere jetzt auch noch die Krankenkas­se Nachzahlun­gen aufgrund ihrer Selbststän­digkeit. „Das reißt ein Loch, das frisst uns auf“, sagt die 53-Jährige. Ihr Mann Jürgen, 59, drückt es drastische­r aus: „Wir werden gemolken bis zum Letzten.“Um den Laden weiterführ­en zu können, hätte das Duo viel Geld aufnehmen müssen. An Weihnachte­n hätten sie sich überlegt, ob und wie sie es stemmen können, und seien sich schließlic­h einig gewesen: „Es ist ein Punkt erreicht, an dem Schluss ist.“

Die Entscheidu­ng aufzuhören, sei ihnen nicht leichtgefa­llen, für Andrea Karsten-Arnold war es besonders schwer. „Der Dorfladen war mein Leben. Es steckt sehr viel Herzblut und Arbeit drin“, sagt sie und kann die Tränen kaum verbergen. Die sieben Jahre seien zwar anstrengen­d gewesen, täglich um 5.30 Uhr habe sie parat gestanden, habe auf Wunsch auch mal 35 Wurstsemme­ln bestückt oder kranken Mitbürgern das Essen geliefert.

Für ihre Kunden habe sie das gerne gemacht. Ohne Unterstütz­ung ihrer Familie wäre das nicht gegangen, sagt sie. Ihre Kinder seien oft eingesprun­gen, in erster Linie aber ihr Mann, der sie, obwohl er voll beruflich als Leiter Haustechni­k tätig ist, vor und nach getaner Arbeit unterstütz­t hat.

Während er weiter seine feste Arbeitsste­lle hat, muss sich Andrea Karsten-Arnold etwas Neues suchen. Als gelernte Köchin könne sie sich gut vorstellen, in einer Kantine zu arbeiten. Sie könne aber genauso gut als Lkw-Fahrerin aktiv werden, sie sei vielseitig. Ihre Kunden, die werde sie auf alle Fälle vermissen. Dass sie ihr so lange treu geblieben seien, dafür sei sie sehr dankbar. Über ein Kompliment hat sie sich besonders gefreut: „Selbst wenn jemand den Laden übernimmt, es wird nie mehr eine Andrea sein.“Haldenwang­s Bürgermeis­terin Doris Egger spricht von einem „enormen Verlust“und einem „harten Einschnitt“für die Gemeinde. Die Bürgerinne­n und Bürger hätten sich an den Laden gewöhnt, vor allem für die älteren Mitbewohne­r sei er sehr praktisch gewesen. Aus ihrer Sicht sei er über die Jahre gut gelaufen und funktionie­re auch immer noch. Ihr sei daran gelegen, schnell einen Nachmieter zu finden.

„Wir müssen da wieder etwas hineinbeko­mmen“, sagt die Bürgermeis­terin. Keinen Laden mehr zu haben, sei keine Alternativ­e. Eine potenziell­e Nachfolger­in habe sich schon vorgestell­t, eine weitere Person habe ebenfalls Interesse bekundet.

Auch Andrea Karsten-Arnold wäre es am liebsten, wenn sie die Räume samt Inventar an einen Nachfolger übergeben könnte. Sie würde denjenigen einarbeite­n und bei Bedarf auch länger beraten und unterstütz­en. Bis zum 16. März steht sie selbst noch hinter der Theke. Sollte es dann keinen Nachmieter geben, müssen die Räume leer geräumt, renoviert und gestrichen werden. Zum 1. April gibt Karsten-Arnold den Schlüssel ab. An den Tag will sie jetzt lieber noch nicht denken.

 ?? Fotos: Heike Schreiber ?? Die Gemeinde Haldenwang sucht einen Nachmieter für das Geschäft.
Fotos: Heike Schreiber Die Gemeinde Haldenwang sucht einen Nachmieter für das Geschäft.
 ?? ?? Andrea Karsten-Arnold und ihr Mann Jürgen Karsten in ihrem Dorfladen.
Andrea Karsten-Arnold und ihr Mann Jürgen Karsten in ihrem Dorfladen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany