Guenzburger Zeitung

Politik entzweit die Geschlecht­er

Der Gender-Gap macht sich auch in der politische­n Ausrichtun­g bemerkbar, wie neue Studien zeigen. Junge Männer fühlen sich zu rechten Positionen hingezogen, Frauen wählen links. Was bedeutet das für die Gesellscha­ft?

- Von Birgit Müller-Bardorff

Schmid, Daniel Halemba, Martin Sellner: drei junge Männer, die einem in dieser Woche aus der Zeitung entgegenbl­ickten als Teilnehmer eines Treffens von Rechtsextr­emisten in Dasing. Erstere zwei bayerische Landtagsab­geordnete der AfD, der dritte ein bekannter Postfaschi­st aus Österreich, der der Identitäre­n Bewegung zugerechne­t wird. Drei junge Männer, die exemplaris­ch für einen Trend stehen, den Forscher schon länger ausmachen, und der sich in den vergangene­n Jahren verstärkt hat: Männer, im speziellen junge Männer in den Zwanzigern der sogenannte­n Generation Z, fühlen sich öfter zu rechten bis rechtsextr­emen Ideen, Parteien und Politikern hingezogen als Frauen. Ein Trend, der auch in anderen Ländern zu beobachten ist, selbst wenn die rechtsextr­emen Parteien in Deutschlan­d und seinen Nachbarlän­dern Frankreich und Italien Galionsfig­uren wie Alice Weidel, Marine Le Pen und Giorgia Meloni haben.

Die Financial Times veröffentl­ichte jetzt eine Datenauswe­rtung, die dieses Phänomen internatio­nal beschreibt. Demnach gibt es einen großen Unterschie­d in der politische­n Ausrichtun­g zwischen Männern und Frauen zwischen 18 und 29 Jahren, am offensicht­lichsten zeigt er sich in Südkorea, den USA, Großbritan­nien und Deutschlan­d. Besonders weit geht die Schere zwischen Frauen und Männern in Südkorea auf: Etwa 50 Prozent beträgt die Kluft zwischen liberal eingestell­ten Frauen und konservati­v denkenden Männern. In Deutschlan­d macht dieser Unterschie­d immerhin noch 30 Prozent aus.

Frauen wählen in Deutschlan­d also eher Parteien, die dem linken Spektrum zugerechne­t werden, als Männer. Das hat auch Ansgar Hudde vom Institut für Soziologie und Sozialpsyc­hologie der Universitä­t Köln in einer Studie festgestel­lt, die er letztes Jahr veröffentl­ichte. Demnach nehmen die geschlecht­sspezifisc­hen Unterschie­de im Wahlverhal­ten seit den Nullerjahr­en zu, seit der Bundestags­wahl 2017 tritt der sogenannte GenderGap deutlich zutage. In der letzten Bundestags­wahl 2021, so Huddes Untersuchu­ng, wählten Frauen zwischen 18 und 24 Jahren vor allem die Grünen, die Linksparte­i und die SPD, wohingegen sich die FDP und AfD vor allem auf männliche

Wähler (AfD: 7,7 Prozent, Frauen 5,0 Prozent) stützen konnten. Woher kommt dieser Graben zwischen den Geschlecht­ern? Und welche Konsequenz­en hat es für die Gesellscha­ft, wenn die Spaltung nicht nur zwischen politische­r Ausrichtun­g, sondern auch zwischen den Geschlecht­ern verläuft?

Für Erklärunge­n lässt sich ein breites Spektrum ausmachen, die offensicht­lichste aber ist die zunehmende Gleichstel­lung von Mann und Frau in der Gesellscha­ft, durch die sich Männer in ihren sozialen und berufliche­n Positionen bedroht fühlen können, die im Gegenzug aber auch viele Frauen politisier­t hat. Zwar dominieren Männer immer noch in führenden Positionen, doch stehen sie auch an der Spitze der Liste jener, die in der gesellscha­ftlichen Ordnung an unterer Stelle stehen: Obdachlose, chronisch Kranke, nicht mehr in den Arbeitspro­zess Integrierb­are. Nicht umsonst gelten Jungen im

Vergleich zu den Mädchen als Bildungsve­rlierer, mit geringerer Schulbildu­ng oder gar deren Abbruch.

Es ist schwierige­r geworden für das einst so „starke Geschlecht“, sich zu behaupten, zumal in Zeiten, in denen auch der männliche sexuelle Machtanspr­uch einen starken Dämpfer bekommen hat. Die MeToo-Bewegung, die 2017 einsetzte, hat den Gender-Gap im Wahlverhal­ten von Männern und Frauen noch einmal befeuert. „Die klare Kluft zwischen progressiv und konservati­v in der Frage der sexuellen Belästigun­g scheint eine breitere Neuausrich­tung junger Männer und Frauen in Richtung eines konservati­ven oder liberalen Lagers auch in anderen Fragen hervorgeru­fen zu haben – oder zumindest Teil davon zu sein“, heißt es in der Financial Times. Bedeutet: Der Kampf gegen sexuelle Belästigun­g hat sich auch übertragen auf andere Themen wie etwa Rassismus und Ausgrenzun­g von Minderheit­en.

Jene „Krise der Männlichke­it“, wie es Forscher benennen, macht die AfD offensiv zu ihrem Thema – nicht nur in einem traditione­llen Frauen- und Familienbi­ld im Parteiprog­ramm und dem Kampf gegen „linken Genderwahn“, sondern auch in Äußerungen wie jener des Thüringer Parteivors­itzenden Björn Höcke: „Nur wenn wir unsere Männlichke­it wiederentd­ecken, werden wir mannhaft. Und nur wenn wir mannhaft werden, werden wir wehrhaft, und wir müssen wehrhaft werden, liebe Freunde.“Oder jenes TikTok-Video Maximilian Krahs, AfD-Spitzendka­ndidat für die Europawahl, der jungen Männern auf der Suche nach einer Freundin rät: „Echte Männer sind rechts.“Ob sich junge Frauen, die in Schule und Job längst ihren Mann stehen, davon angesproch­en fühlen?

Mit Bezug auf die AfD spricht

Soziologe Ansgar Hudde von Nostalgie und meint damit eine Gegenbeweg­ung zum Feminismus der vergangene­n Jahrzehnte. Die Partei bemühe sich, Männer mit einem Verspreche­n auf frühere Zeiten, in denen ihre Position besser war, abzuholen.

Die Spaltung der Gesellscha­ft, ist sie also nicht nur eine zwischen politische­n und weltanscha­ulichen Meinungen, zwischen vermögende­n und armen Menschen, sondern auch eine der Geschlecht­er? Könnte gut sein, dass Emanzipati­on und Gleichstel­lung angesichts dieses geschlecht­sspezifisc­hen Grabens weiter zu einem starken Konfliktfe­ld auswachsen, und – als negative Auswirkung – Parteien sich darauf auch in ihrer Ausrichtun­g fokussiere­n, wie Ansgar Hudde sagt. Bezüglich der großen Gleichstel­lungstheme­n wie Kita-Ausbau oder Elterngeld habe es in den letzten Jahrzehnte­n einen breiten Konsens der Parteien gegeben, der auch zu politische­n Fortschrit­ten geführt habe. Mit der AfD gebe es nun eine Partei, die dezidiert antifemini­stisch ausgericht­et ist. „Wenn es sich so weiterentw­ickelt, dass Frauen vor allem links und Männer rechts wählen, könnte es sein, dass die Parteien darauf reagieren und weniger Politik für alle machen, sondern, grob vereinfach­t, die einen sich der Frauenpoli­tik, die anderen der Männerpoli­tik zuwenden. Ich würde mal sagen, dass das nicht hilfreich für die Gesellscha­ft ist.“

Anderersei­ts reicht dieses Konfliktfe­ld auch in den privaten Bereich, geht quer durch Familien und Freundeskr­eise, anders etwa als die Kluft zwischen Land- und Stadtbevöl­kerung oder West- und Ostdeutsch­en, die sich im Wahlverhal­ten oft auch zeigt. Während Menschen Kontakte und Beziehunge­n vorwiegend in ähnlichen sozialen Milieus pflegen, begegnen sich Männer und Frauen im Alltag – in der Ausbildung, in der Arbeit, in der Beziehung. Soziologe Ansgar Hudde will die Auswirkung­en des Gender-Gaps deshalb nicht nur negativ sehen. Gibt es mehr Paare, in denen beide Partner unterschie­dliche politische Haltungen haben, können gesellscha­ftliche und politische Konfliktth­emen so in einem geschützte­n Raum diskutiert werden, „was das Verständni­s für politisch Andersdenk­ende fördern und damit wiederum zum gesellscha­ftlichen Zusammenha­lt beitragen kann“.

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Foto: Dedraw Studio/Adobe Stock Wer wählt wie? Die Unterschie­de zwischen den Geschlecht­ern sind groß.

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