Guenzburger Zeitung

„Unsere Demokratie ist in Gefahr“

Bei der Demonstrat­ion auf dem Marktplatz zeigt sich der Kreis Günzburg bunt und geschlosse­n gegen Rechtsextr­emismus. Die Rednerinne­n und Redner finden deutliche Worte.

- Von Rebekka Jakob Kommentar

„Ich bin überwältig­t, glücklich und dankbar, dass so viele gekommen sind, um ein Zeichen zu setzen.“Simone Riemenschn­eiderBlatt­er ist die Erleichter­ung anzusehen, als sie zum Beginn der Kundgebung auf der Bühne vor dem Mikrofon steht. Für die Organisato­ren – die Volkshochs­chule Günzburg hatte die Schirmherr­schaft übernommen – war kaum abschätzba­r, wie viele Menschen dem Aufruf des neu gegründete­n Bündnisses für Demokratie gegen Hass und Hetze folgen würden und an diesem Samstagnac­hmittag auf den Günzburger Marktplatz kommen. Die Veranstalt­er sprechen von mehr als 2000 Menschen, die das gemeinsame Anliegen unterstütz­en.

40 Gruppierun­gen, Parteien, Vereine, Firmen, Religionsg­emeinschaf­ten und Organisati­onen zählte der Zusammensc­hluss neun Tage nach seiner Gründung. „Und wir werden immer mehr“, so Simone Riemenschn­eider-Blatter. Damit ist auch klar, dass es nicht bei der einen Demonstrat­ion bleiben wird – das Bündnis hat bereits weitere Veranstalt­ungen in Planung, wie am Rande der Kundgebung zu erfahren war.

„Über 2000 Menschen hier haben Farbe bekannt“, sagte Landrat Hans Reichhart. „Sie haben Farbe bekannt dafür, was unseren Landkreis, unsere Heimat, schon seit

Jahrhunder­ten ausmacht. Wir sind und wir waren schon immer eine Region, in der Menschen aus verschiede­nen Teilen Bayerns, Deutschlan­ds und der ganzen Welt zusammenge­kommen sind und oft auch neue Heimat gefunden haben und finden.“

Auch Oberbürger­meister Gerhard Jauernig (SPD) erinnerte daran, dass der Landkreis seit jeher von Neuankömml­ingen und Vielfalt geprägt ist. Seine Eltern seien als Heimatvert­riebene nach Günzburg gekommen und hier heimisch geworden. Sein Vater, der im Alter von 93 Jahren starb, habe ihm auf den Weg gegeben: „Merk dir eines: niemals wieder!“Dass heute so viele Menschen nach Günzburg gekommen seien, um Gesicht zu zeigen, mache ihn stolz. „Jedes einzelne Gesicht ist ein Zeichen gegen Hass und Rechtsextr­emismus in unserem Land“, so Jauernig.

Wie es Menschen heute geht, die in Günzburg heimisch geworden sind, obwohl sie anderswo auf der Welt geboren wurden, zeigte Ximena Zárate, Mitarbeite­rin der Volkshochs­chule in ihrer Ansprache auf. „Wir sind alle nach Deutschlan­d gekommen mit Hoffnungen, Träumen und dem Wunsch nach einem friedliche­n Leben.“Sie selber könne bei den Wahlen in Deutschlan­d nicht abstimmen, appelliert­e aber an die Teilnehmen­den der Demo: „Bitte zeigt nicht nur weiter Gesicht für die Demokratie, sondern nehmt auch euer demokratis­ches Recht wahr, zu wählen. Nur so können wir verhindern, dass die Falschen an die Macht kommen.“Ähnlich äußerte sich Yener Özer, Sprecher der Alevitisch­en Gemeinde in Günzburg. „Deutschlan­d ist bunt und bleibt bunt“, sagte Özer, der seit fast 50 Jahren in Deutschlan­d lebt. „Rechtsextr­emismus hat in unserer Stadt keine Chance.“

Sorgen um die Zukunft äußerten die Schülerspr­echerinnen der Gymnasien Maria-Ward und Dossenberg­er (Günzburg) sowie St. Thomas (Wettenhaus­en), Elena, Sara und Theresa. „Die aktuelle Lage macht mir Angst“, so Schülerin Elena. „Es frustriert mich, dass wir nicht mehr miteinande­r reden.“Auch Theresa forderte Gesprächsb­ereitschaf­t bei den Erwachsene­n ein, einen Austausch

mit Eltern, Großeltern, aber auch Gleichaltr­igen. „Unsere Demokratie ist in Gefahr.“Bereits in der Schule beginne für sie die Demokratie, erklärte Sara – und rief mit einem Zitat von Aktivistin Luisa Neubauer zum Handeln auf: „Demokratie hat man nicht, Demokratie lebt man.“Das wohl ungewöhnli­chste Duo auf der Bühne bildeten

Eva Heißwolf als Sprecherin der Wirtschaft­svereinigu­ng und der Günzburger DGB-Chef Werner Gloning, die in ungewohnte­r Einigkeit auftraten. „In der Regel kommen wir aus verschiede­nen Lagern, haben verschiede­ne Interessen und diskutiere­n und streiten im demokratis­chen Sinn miteinande­r“, so Gloning. Diese Demokratie lassen sich aber weder die Gewerkscha­ftler noch die Wirtschaft nehmen. „Deswegen stehen wir heute hier zusammen.“

Eva Heißwolf machte deutlich: „Unsere Vielfalt ist unsere Stärke.“Die Realität mache Sorgen, schüre auch Ängste und werfe bange Fragen auf. Aber: „Es gibt keine einfache Antwort auf diese Fragen, und das dürfen wir uns auch von keinem vormachen lassen.“Gewohnt deutlich wurde Werner Gloning in seinem Part der Ansprache, der dazu aufrief, sich genau anzuschaue­n, was die AfD in ihrem Parteiprog­ramm fordere. Politik im Sinne der Arbeitnehm­er und der Rentner sei dies nicht, und auch in Bezug auf die Flüchtling­sthematik gebe es deutlich bessere Ansätze, wie die Bekämpfung von Fluchtursa­chen. „Wir brauchen eine faire Globalisie­rung“, so Gloning.

Als Vertreter der christlich­en Kirchen wandten sich auch die Pfarrer Frank Bienk (evangelisc­h) und Christoph Wasserrab (katholisch) an die Versammlun­g. Ihrem Appell, sich für die Demokratie einzusetze­n und Hass und Hetze keinen Raum zu geben, folgte die Aufforderu­ng, gesprächsb­ereit und hoffnungsv­oll zu bleiben. „Wir sind als Menschen Kinder der Liebe, des Lichts und der Zukunft – und nicht des Niedergang­s“, so Wasserrab.

Nicht nur auf der Bühne, auch unter den Teilnehmen­den auf dem Marktplatz wurde Zusammenha­lt demonstrie­rt, während auf der Bühne Dörte Trauzeddel und Vera Hupfauer vom Neuen Theater Burgau eindringli­che Texte, etwa aus „Populismus für Anfänger“, vortrugen. Die Musiker Felix Böhm und Tatjana Schwarz animierten zum Mitsingen – erst bei der Europahymn­e, dann bei Bob Dylans „Blowin’ in the Wind“, dem antifaschi­stischen „Bella Ciao“und zum Schluss mit John Lennons „Imagine“, bei dem sich alle unter hakten oder an den Händen fassten.

Ungewohnte Einigkeit auf der Bühne

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Fotos: Ernst Mayer Unter dem Motto „Für Demokratie - jetzt - gegen Haas und Hetze“haben auf dem Marktplatz in Günzburg am Samstag 2000 Menschen demonstrie­rt.
 ?? ?? Daniel Gastl, Vorstandsv­orsitzende­r der Sparkasse Günzburg-Krumbach, war ebenfalls unter den Demonstrie­renden.
Daniel Gastl, Vorstandsv­orsitzende­r der Sparkasse Günzburg-Krumbach, war ebenfalls unter den Demonstrie­renden.

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