„Unsere Demokratie ist in Gefahr“
Bei der Demonstration auf dem Marktplatz zeigt sich der Kreis Günzburg bunt und geschlossen gegen Rechtsextremismus. Die Rednerinnen und Redner finden deutliche Worte.
„Ich bin überwältigt, glücklich und dankbar, dass so viele gekommen sind, um ein Zeichen zu setzen.“Simone RiemenschneiderBlatter ist die Erleichterung anzusehen, als sie zum Beginn der Kundgebung auf der Bühne vor dem Mikrofon steht. Für die Organisatoren – die Volkshochschule Günzburg hatte die Schirmherrschaft übernommen – war kaum abschätzbar, wie viele Menschen dem Aufruf des neu gegründeten Bündnisses für Demokratie gegen Hass und Hetze folgen würden und an diesem Samstagnachmittag auf den Günzburger Marktplatz kommen. Die Veranstalter sprechen von mehr als 2000 Menschen, die das gemeinsame Anliegen unterstützen.
40 Gruppierungen, Parteien, Vereine, Firmen, Religionsgemeinschaften und Organisationen zählte der Zusammenschluss neun Tage nach seiner Gründung. „Und wir werden immer mehr“, so Simone Riemenschneider-Blatter. Damit ist auch klar, dass es nicht bei der einen Demonstration bleiben wird – das Bündnis hat bereits weitere Veranstaltungen in Planung, wie am Rande der Kundgebung zu erfahren war.
„Über 2000 Menschen hier haben Farbe bekannt“, sagte Landrat Hans Reichhart. „Sie haben Farbe bekannt dafür, was unseren Landkreis, unsere Heimat, schon seit
Jahrhunderten ausmacht. Wir sind und wir waren schon immer eine Region, in der Menschen aus verschiedenen Teilen Bayerns, Deutschlands und der ganzen Welt zusammengekommen sind und oft auch neue Heimat gefunden haben und finden.“
Auch Oberbürgermeister Gerhard Jauernig (SPD) erinnerte daran, dass der Landkreis seit jeher von Neuankömmlingen und Vielfalt geprägt ist. Seine Eltern seien als Heimatvertriebene nach Günzburg gekommen und hier heimisch geworden. Sein Vater, der im Alter von 93 Jahren starb, habe ihm auf den Weg gegeben: „Merk dir eines: niemals wieder!“Dass heute so viele Menschen nach Günzburg gekommen seien, um Gesicht zu zeigen, mache ihn stolz. „Jedes einzelne Gesicht ist ein Zeichen gegen Hass und Rechtsextremismus in unserem Land“, so Jauernig.
Wie es Menschen heute geht, die in Günzburg heimisch geworden sind, obwohl sie anderswo auf der Welt geboren wurden, zeigte Ximena Zárate, Mitarbeiterin der Volkshochschule in ihrer Ansprache auf. „Wir sind alle nach Deutschland gekommen mit Hoffnungen, Träumen und dem Wunsch nach einem friedlichen Leben.“Sie selber könne bei den Wahlen in Deutschland nicht abstimmen, appellierte aber an die Teilnehmenden der Demo: „Bitte zeigt nicht nur weiter Gesicht für die Demokratie, sondern nehmt auch euer demokratisches Recht wahr, zu wählen. Nur so können wir verhindern, dass die Falschen an die Macht kommen.“Ähnlich äußerte sich Yener Özer, Sprecher der Alevitischen Gemeinde in Günzburg. „Deutschland ist bunt und bleibt bunt“, sagte Özer, der seit fast 50 Jahren in Deutschland lebt. „Rechtsextremismus hat in unserer Stadt keine Chance.“
Sorgen um die Zukunft äußerten die Schülersprecherinnen der Gymnasien Maria-Ward und Dossenberger (Günzburg) sowie St. Thomas (Wettenhausen), Elena, Sara und Theresa. „Die aktuelle Lage macht mir Angst“, so Schülerin Elena. „Es frustriert mich, dass wir nicht mehr miteinander reden.“Auch Theresa forderte Gesprächsbereitschaft bei den Erwachsenen ein, einen Austausch
mit Eltern, Großeltern, aber auch Gleichaltrigen. „Unsere Demokratie ist in Gefahr.“Bereits in der Schule beginne für sie die Demokratie, erklärte Sara – und rief mit einem Zitat von Aktivistin Luisa Neubauer zum Handeln auf: „Demokratie hat man nicht, Demokratie lebt man.“Das wohl ungewöhnlichste Duo auf der Bühne bildeten
Eva Heißwolf als Sprecherin der Wirtschaftsvereinigung und der Günzburger DGB-Chef Werner Gloning, die in ungewohnter Einigkeit auftraten. „In der Regel kommen wir aus verschiedenen Lagern, haben verschiedene Interessen und diskutieren und streiten im demokratischen Sinn miteinander“, so Gloning. Diese Demokratie lassen sich aber weder die Gewerkschaftler noch die Wirtschaft nehmen. „Deswegen stehen wir heute hier zusammen.“
Eva Heißwolf machte deutlich: „Unsere Vielfalt ist unsere Stärke.“Die Realität mache Sorgen, schüre auch Ängste und werfe bange Fragen auf. Aber: „Es gibt keine einfache Antwort auf diese Fragen, und das dürfen wir uns auch von keinem vormachen lassen.“Gewohnt deutlich wurde Werner Gloning in seinem Part der Ansprache, der dazu aufrief, sich genau anzuschauen, was die AfD in ihrem Parteiprogramm fordere. Politik im Sinne der Arbeitnehmer und der Rentner sei dies nicht, und auch in Bezug auf die Flüchtlingsthematik gebe es deutlich bessere Ansätze, wie die Bekämpfung von Fluchtursachen. „Wir brauchen eine faire Globalisierung“, so Gloning.
Als Vertreter der christlichen Kirchen wandten sich auch die Pfarrer Frank Bienk (evangelisch) und Christoph Wasserrab (katholisch) an die Versammlung. Ihrem Appell, sich für die Demokratie einzusetzen und Hass und Hetze keinen Raum zu geben, folgte die Aufforderung, gesprächsbereit und hoffnungsvoll zu bleiben. „Wir sind als Menschen Kinder der Liebe, des Lichts und der Zukunft – und nicht des Niedergangs“, so Wasserrab.
Nicht nur auf der Bühne, auch unter den Teilnehmenden auf dem Marktplatz wurde Zusammenhalt demonstriert, während auf der Bühne Dörte Trauzeddel und Vera Hupfauer vom Neuen Theater Burgau eindringliche Texte, etwa aus „Populismus für Anfänger“, vortrugen. Die Musiker Felix Böhm und Tatjana Schwarz animierten zum Mitsingen – erst bei der Europahymne, dann bei Bob Dylans „Blowin’ in the Wind“, dem antifaschistischen „Bella Ciao“und zum Schluss mit John Lennons „Imagine“, bei dem sich alle unter hakten oder an den Händen fassten.
Ungewohnte Einigkeit auf der Bühne