Der Klang von Günzburg hat ihn inspiriert
Der Komponist Wei Guo Mao hat mehr als 300 Werke geschaffen – die meisten davon in Günzburg. Die Familie des Landrats spielte auf seinem Lebensweg eine wichtige Rolle.
„Ich habe Günzburg sehr viel zu verdanken“, sagt Wei Guo Mao. Der Komponist aus Günzburg übergibt etwa 100 Partituren an die Bayerische Staatsbibliothek, 60 davon befinden sich bereits in deren Besitz. Seine Heimatstadt hätte dem 66-Jährigen viel Ruhe gegeben und dazu beigetragen, dass er mehr als 300 Werke schreiben konnte. In den vergangenen 37 Jahren seines Schaffens hat er viele junge Geigentalente professionell ausbilden können. In der Großen Kreisstadt rief er auch Ende der 90er ein Jugendstreichorchester namens Intonation ins Leben, das noch heute musiziert. Doch bis dahin war es für den gebürtigen Chinesen ein weiter Weg.
Mao erzählt, dass er bereits als Jugendlicher großer Fan klassischer Literatur und Musik gewesen sei. So prägten ihn etwa das Buch „Les Misérables“von Victor Hugo und Künstler wie Beethoven oder Mozart. Zu diesem Zeitpunkt lebte er noch in China und hatte nur ebendiese klassische Vorstellung von europäischer Kunst. Denn auch heute begrenzt das Regime sehr stark, welche Werke in sein Land kommen. So formte sich Maos Traum, in Europa ein großer klassischer Komponist zu werden. Doch in Deutschland angekommen stellte sich für den heute 66-Jährigen heraus, dass dieses Ziel schwerer zu erreichen ist, als er erwartet hatte.
An den Hochschulen wurde laut Mao in den 80er-Jahren vermittelt, dass „die Klassik eine Sackgasse“sei. Die großen Künstler hätten schon alles Erdenkliche umgesetzt. Alles, was nun in der klassischen Musik folge, wären nur Kopien oder sogar Plagiate. Das stellte ihn vor eine große Entscheidung – passe ich mich an und gehe mit der Zeit oder gehe ich meinen eigenen Weg. Und Mao ist sich treu geblieben.
Zunächst hatte der Komponist 1986 zwei Studiengänge in Aussicht: Komposition in Freiburg und Violine in Hamburg. Nachdem die Aufnahmeprüfung in Freiburg nicht seinem Können entsprochen hatte – er hatte schlicht keine Ahnung von den abgefragten Inhalten –, fing er an zu recherchieren. Er fand schnell einen Studiengang in Augsburg, der ihm ebenfalls gefiel. Und da erinnerte er sich an eine Person, die er einige Jahre zuvor kennengelernt hatte: Hans Reichhart senior. Denn Mao, der in China Deutsch studiert hatte, arbeitete, um seine Sprachkenntnisse aufzubessern, als Reiseführer. Auf einer dieser Reisen war ihm die Familie Reichhart begegnet, sie tauschten Nummern aus. Er kramte sein Notizheftchen heraus und rief kurzerhand dort an.
„Der kleine Hans ist damals ans Telefon gegangen und hat gesagt ,Papa, da ruft ein Mann aus China an‘“, erinnert sich Mao und lacht. Die Familie Reichhart hatte ihn zwischenzeitlich aufgenommen und ihn wie ein Familienmitglied behandelt. Auch heute sei er noch sehr eng mit ihnen verbunden. Die Zeit bei den Reichharts hat den Komponisten sehr geprägt. Denn in dieser Zeit lernte er zum ersten Mal kennen, was Religion für Europäerinnen und Europäer bedeutet, und besuchte gemeinsam mit der Familie die Kirche. Auch deshalb komponierte Mao einige geistliche Werke. Nach seinem Studium in Augsburg zog es ihn nach Günzburg. Während er als Geigenlehrer sein Geld verdiente, nutzte er jede freie Minute, um zu komponieren. Die Themen seiner Kompositionen sind so vielfältig wie das Leben selbst. Egal, ob die Coronapandemie, Fußball oder sogar eine Hymne auf Günzburg – Mao verarbeitet alltägliche Themen in seiner Musik.
Zwei seiner Partituren haben für den Komponisten eine besondere Bedeutung: eine große Messe in lateinischer Sprache und die literarische Symphonie, eine Widmung an Victor Hugo und dessen Buch „Les Misérables“. Letztere nahm das Günzburger Stadtarchiv auch in seine Sammlung auf. „Das war eine große Ehre für mich“, sagt Mao. Dieses Stück wartet aktuell noch auf seine Uraufführung, denn es ist sehr anspruchsvoll. Noch hätte sich kein passendes leistungsstarkes Orchester gefunden. Der Komponist stellte diesbezüglich sogar beim Kultusministerium eine Anfrage, bislang ohne Erfolg. Mittlerweile habe er die unterschiedlichsten Stücke geschrieben, lediglich eine Oper fehlt noch in seinem Repertoire.
Mao ist sich sicher, dass er auch der Stadt Günzburg seinen Erfolg zu verdanken hat. In anderen Städten wie etwa Hamburg oder Stuttgart hätte der Komponist nicht die Ruhe gehabt, die er benötigte. Er glaubt, dass das Leben in der Großstadt Einfluss auf seinen Musikstil gehabt hätte und er womöglich von seiner klassischen Linie abgewichen wäre. Denn dort seien die Künstlerinnen und Künstler experimenteller und freier mit ihren Werken.
Doch in der schwäbischen Stadt hat sich der 66-Jährige eine musikalische Schutzmauer bauen können und ist sich selbst in den vielen Jahren seines Schaffens treu geblieben.