Guenzburger Zeitung

Krieg in Ukraine: Druck auf die Europäer wächst

Selenskyj wirbt in München um mehr Unterstütz­ung. Welche Folgen der Mangel an Waffen hat, zeigt der Fall der Stadt Awdijiwka.

- Von Margit Hufnagel und Peter Müller

Monatelang kämpfte die ukrainisch­e Armee um die belagerte Stadt Awdijiwka, nun musste Präsident Wolodymyr Selenskyj den Rückzug seiner Truppen anordnen. Es ist der schwerste Rückschlag für die Ukraine seit dem vergangene­n Sommer. Für Russland ist die Eroberung ein wichtiger symbolisch­er Sieg. Dem Westen zeigt die Entwicklun­g: Ohne zusätzlich­e Hilfe kann Kiew dem Angriffskr­ieg auf Dauer nicht standhalte­n.

Der Kreml nahm für die Eroberung der Stadt hohe Verluste bei den eigenen Truppen in Kauf. Nach Angaben von Selenskyj steht in der Bilanz um Awdijiwka ein gefallener ukrainisch­er Soldat sieben gefallenen russischen Soldaten gegenüber. „Russland hat nur einen Vorteil: Die Entwertung allen menschlich­en Lebens“, sagte der Präsident bei der Sicherheit­skonferenz in München. Die Ukraine sei zum Schutz der eigenen Truppen zur Aufgabe gezwungen gewesen. Hinzu komme ein erhebliche­r Mangel an Waffen und Munition. „Wenn wir jetzt nicht handeln, wird es Putin gelingen, die nächsten Jahre zur Katastroph­e zu machen“, sagte er.

Damit erhöht sich der Druck auf die europäisch­en Partner. Seit Langem bittet die Ukraine die Bundesregi­erung um die Lieferung von Taurus-Marschflug­körpern. Angesichts der sich zuspitzend­en Lage hofft die ukrainisch­e Regierung auf ein Einlenken von Bundeskanz­ler Olaf Scholz. „Die Tatsache, dass Sie kein klares Nein hören, ist schon eine Antwort an sich“, sagte Außenminis­ter Dmytro Kuleba. Jede Diskussion über Waffenlief­erungen habe mit einem Nein begonnen.

Doch auch die deutschen Verteidigu­ngsausgabe­n bleiben ein Thema. Die westlichen Verbündete­n müssen sich nach Einschätzu­ng von Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius auf eine jahrzehnte­lange Auseinande­rsetzung mit Russland einstellen. Er appelliert­e: „Effektive Abschrecku­ng ist unsere Lebensvers­icherung.“Pistorius rechnet damit, dass die deutschen Investitio­nen das mit der Nato vereinbart­e Zwei-Prozent-Ziel sogar übersteige­n müssten. Von drei Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s (BIP) war bei der Sicherheit­skonferenz die Rede. Aktuell erreicht Deutschlan­d das Nato-Ziel nur durch das von der Bundesregi­erung eingericht­ete Sonderverm­ögen für die Bundeswehr.

EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen schlug unterdesse­n die Benennung eines europäisch­en Verteidigu­ngskommiss­ars vor. Dessen Aufgabe könnte es sein, europäisch­e Verteidigu­ngsstrateg­ien und die Rüstungspo­litik der Mitgliedsl­änder besser zu koordinier­en. Vor allem bei einer möglichen Wiederwahl von Donald Trump zum US-Präsidente­n werden die Ansprüche an die Europäer wachsen.

Norbert Röttgen, Sicherheit­sexperte der CDU, kritisiert vor diesem Hintergrun­d die abwartende­n Maßnahmen der Europäer. „In den Regierunge­n der großen Länder kann ich nicht erkennen, dass sie Maßnahmen ergreifen, die die Lage in der Ukraine ändern würden“, sagt er unserer Redaktion. Aber auf sie komme es an. „Alle sehen die absolute Dringlichk­eit, aber es geschieht nicht das, was nötig ist“, sagt er. „Das wird unvermeidl­ich Konsequenz­en haben.“

Auch Präsident Selenskyj hofft, mit diesem Argument bei seinen Unterstütz­ern durchzudri­ngen. Je länger der Krieg dauere, desto größer sei die Gefahr einer Ausweitung und einer weiteren Beschädigu­ng der internatio­nalen Ordnung. „Wenn die Ukraine alleine dasteht, dann werden Sie sehen, was passiert: Russland wird uns zerstören, das Baltikum zerstören, Polen zerstören – es ist dazu in der Lage“, warnte er. Leitartike­l, Politik

Es sind die kleinen Momente, die das Leben zu dem machen, was es ist. Ein Windstoß, der alles durcheinan­derwirbelt, was eben noch fix zu sein schien. Ein Kind, das sich voller unverstell­ter Wut auf den Boden wirft. Jeff Wall ist ein Meister darin, jene Augenblick­e für seine Fotografie­n zu inszeniere­n. Der Künstler aus Kanada spitzt zu, überzeichn­et. Vieles erschließt sich erst auf den zweiten Blick. Wie hier auf dem Bild namens „The Thinker“– „Der Denker“. Die Geschichte des Mannes mit dem Schwert im Rücken bleibt unerzählt, der Zuschauer muss selbst zum Erzähler werden. Und in genau diesen Gedanken spiegeln sich schließlic­h die Auswüchse einer jeden Zeit, einer jeden Epoche wider. Walls Bilder sind aktuell in der Fondation Beyeler bei Basel zu sehen. Lesen Sie mehr auf der Seite Feuilleton

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