„Frauen schimpfen und fluchen nicht anders als Männer“
Die gebürtige Ukrainerin Oksana Havryliv berichtet, wie ihre Landsleute den russischen Präsidenten verwünschen. Als Mutter weiß die Sprachwissenschaftlerin aber auch Rat für den alltäglichen Umgang – zwischen Eltern und Kinder etwa.
Frau Havryliv, Sie stammen aus der Ukraine und gelten als die führende Schimpfwort-Expertin im deutschsprachigen Raum. Wie wird Fluchen zum Beruf?
Alles begann mit einem Witz in einem Heurigenlokal. Nach meinem Germanistikstudium in der Ukraine kam ich 1994 im Rahmen eines Austauschprogramms nach Wien. Ich saß mit Nachwuchswissenschaftlern aus aller Welt in einem Weinlokal und fragte in die Runde, ob jemandem ein Thema für meine Doktorarbeit einfallen würde. Wir hatten alle schon etwas getrunken. Dann bekam ich den nicht ernst gemeinten Ratschlag, doch über Schimpfworte zu promovieren.
So wurde aus einem Witz Wirklichkeit.
Genau, dachte ich mir doch: Warum sollte ich nicht über Schimpfworte eine Doktorarbeit schreiben. Und so machte ich es dann eben. Seitdem habe ich mehr als 100 wissenschaftliche Beiträge und drei Bücher über das Thema verfasst und das deutsch-ukrainische Schimpfwörterbuch herausgegeben. Im Titel meines letzten Buches steckt sogar eine Beschimpfung, heißt es doch: „Nur ein Depp würde dieses Buch nicht kaufen.“
Apropos Depp: Wer ist aus Sicht der Ukrainerinnen und Ukrainer der aktuell größte Depp des Universums?
Natürlich Putin. Doch meine Landsleute schimpfen noch viel derber über ihn. Sie nennen ihn einen „wahnsinnigen Zwerg“, und es hat sich eine kreative Wortkreuzung durchgesetzt: Ukrainer bezeichnen Putin als „Putler“, sie sehen in ihm eine Mixtur aus Putin und Hitler.
Wie schmähen sie Putin denn noch?
Sie verwenden für ihn häufig das ukrainische Schimpfwort „chujlo“. In vielen slawischen Sprachen wird der Begriff als besonders vulgäre Bezeichnung für das männliche Glied eingesetzt.
Warum schreiben Sie Putin, Russland und Weißrussland in Ihrem Buch klein?
Das mache ich aus Solidarität mit meinen Landsleuten. In der Ukraine gibt es die orthografische Regelung, dass Namen von erbärmlichen Personen kleingeschrieben werden. Für Länder besteht diese Regel nicht. Doch unsere Sprachwissenschaftler
zeigen sich offen, dass auch Namen von Ländern wie Russland und Weißrussland, die Abscheu verdienen, kleingeschrieben werden.
Russland ist in Ihrer Heimat zum Schimpfwort geworden.
So ist es. Und viele sprechen von „Raschisten“, was eine Kombination aus „Russia“, dem englischen Wort für Russland, und „Faschisten“ist. In der Ukraine sind Verwünschungen populär. Und so wünschen sich dort viele Bürger, die Russen mögen in der Hölle schmoren. Und sie sollten am eigenen Leibe erleben, was die Ukrainerinnen und Ukrainer erleben.
Ihre Eltern leben noch in der Ukraine.
Sie leben im Westen der Ukraine. Ich habe sie seit zwei Jahren nicht mehr besucht. Jedes Mal, wenn ich sie anrufe, sagen sie: „Bleibt, wo ihr seid. Wir wurden schon wieder bombardiert.“So bleiben wir in Wien.
Das Wienerische ist ein mit deftigen Schimpfworten gesegneter Dialekt. Wie erleben Sie als Ukrainerin den dortigen Schmäh- und Fluch-Kosmos?
Havryliv: Wenn Wiener und Ausländer aufeinanderprallen, kann es lustig werden. Dann entstehen schon mal Missverständnisse. So erzählte mir eine Bekannte über einen ihrer aus der Ukraine kommenden Sprachschüler eine Geschichte. Er berichtete ihr, sein Arbeitgeber sei an sich in Ordnung, doch zum Abschied sage er immer wieder „Fick di“zu ihm.
Ein sonderbarer Abschiedsgruß.
Havryliv: Der Arbeitgeber sagte „Pfiat di“. Das hat der Ukrainer missverstanden und war irritiert. Zum Glück konnte meine Bekannte Aufklärung schaffen.
Wann ist ein Wort ein Schimpfwort?
Havryliv: Jedes aggressiv gebrauchte Wort kann ein Schimpfwort sein. Eine große Gruppe der Schimpfworte geht auf das Tierreich zurück. Menschen schmähen sich nicht nur als Ochse, Ziege, Hund oder Esel, sie bezichtigen sich auch, eine Natter, Giftkröte, Filzlaus oder Zecke zu sein. Dann werden Worte aneinandergereiht. So kommt es zur Zimtziege und Schnapsdrossel. Begriffe aus dem Kosmos des Fäkal und Analen sind nach wie vor über alle Generationen hinweg sehr populär und dominieren die Schimpfwort-Welt im deutschsprachigen Raum. Das lässt sich von Wolfgang Amadeus Mozart bis zu Dieter Bohlen verfolgen. Vielleicht brauchte Mozart, der so schöne Musik komponiert hat, einen vulgären Ausgleich mit allerlei Scheiß- und Furzworten.
Je nach Situation können Schimpfworte anders wirken.
Havryliv: Auf diesen Zusammenhang stoße ich in meiner Arbeit immer wieder. So beobachte ich, wie zwei Freunde, die aus dem Nahen Osten kommen, sich anlächeln und als „Scheiß-Kanak“begrüßen. Die Freunde empfinden das nicht als Beleidigung. Sie haben Freude am Spiel mit verbotenen
„Menschen schmähen einander am häufigsten beim Autofahren – zumal es der Gemeinte dann nicht mitbekommt.“
Worten. Indem sie sich „ScheißKanak“nennen, demonstrieren sie, dass ihre Freundschaft so eng ist, dass sie auch ein solch schlimmes Wort verkraften kann. So werden Schimpfworte unter Spezeln scherzhaft in die Begrüßung integriert und als Zeichen der Wertschätzung interpretiert. „Servus, du Arsch“ist ein Beispiel dafür. Das ist typisch für Männer.
Halten sich wenigstens Frauen beim Begrüßen zurück?
Was die Begrüßung betrifft, halten sich Frauen mit Schimpfworten und Drohungen zurück. Freundinnen können aber untereinander auch sehr derb sein, ohne dass dies zum Bruch führt. So sagt schon mal eine Frau beim Kleider-Probieren zu einer anderen: „Du schaust aus wie eine dicke Kuh.“Dabei ist es sehr subjektiv, was Frauen als beleidigend empfinden. Ältere Frauen sagten mir in Interviews, sie würde es besonders treffen, wenn sich einer abschätzig über ihr Alter oder ihr Äußeres auslässt. Dabei würde es sie weniger hart treffen, Hure genannt zu werden.
Warum das denn?
Wer offensichtlich unwahre Dinge sagt, kann schimpfen, ohne dass es die betroffene Person als beleidigend empfinden muss. Eine Frau sagte mir: „Das trifft mich nicht so, weil ich weiß, dass ich keine Hure bin.“Wer jedoch eine korpulente Person dick nennt, beleidigt sie, zumal wenn man weiß, dass die Betroffene mit ihrem Körpergewicht hadert.
Als Beobachter privater Fernsehsender und sozialer Medien lässt sich ein seltsamer Trend beobachten: Da begrüßen sich Frauen, oftmals Rapperinnen, gegenseitig als „Bitch“, eben als Miststück oder Schlampe. Sie wirken allerdings nicht beleidigt und outen sich zudem als Feministinnen. Was ist da schiefgelaufen?
Wenn sich junge Frauen lachend als Bitch bezeichnen, versuchen sie, den Begriff umzudeuten. Indem sie das Wort häufiger gebrauchen, nehmen sie ihm auf Dauer die negative Bedeutung und werten es auf, sodass es für Männer nicht mehr interessant ist, Frauen als Bitch abzuwerten. Der beleidigende Kern des Wortes wird abgeschliffen. Das passt dann auch in das feministische Konzept dieser Frauen.
Schimpfen eigentlich alle Menschen?
Manche meiner Interviewpartner behaupteten wirklich, sie würden nicht schimpfen. Dann habe ich nachgehakt und die Gesprächspartner gestanden doch ein, zumindest beim Autofahren zu schimpfen. Nach meinen Erkenntnissen schimpfen Menschen am häufigsten beim Autofahren, zumal die Beschimpften die verbalen Schmähungen meist nicht mitbekommen. Ich kann nicht am Steuer schimpfen, weil ich kein Auto habe.
Ist Schimpfen gut für die Psyche?
Schimpfen ist gut für die Psyche, weil sich dadurch Aggressionen abbauen lassen. Wer schimpft, reagiert seine negativen Emotionen ab. Insofern kann Schimpfen auch gut für die Gesundheit sein. Gerade indirektes Schimpfen bietet sich hier an. Kann der Beschimpfte die Beschimpfungen nicht hören, kann man sich besser abreagieren. Wer direkt einen Menschen verbal herabsetzt, empfindet zwar zunächst eine große Entlastung, spürt dann aber bald eine Belastung, weil sich bei ihm Schuldgefühle, Scham und Unzufriedenheit mit sich einstellen.
Wie schimpft eine Schimpfexpertin? Bekommen ihre Kinder und ihr Mann, der ein bekannter ukrainischer Schriftsteller ist, viel ab?
Mit meinem Mann schimpfe ich nicht, aber mit den Kindern schon. Ich beleidige meine Kinder aber nicht, sondern versuche, neutral zu schimpfen.
Wie schimpft man seine Kinder neutral?
Ich greife die Kinder nicht persönlich an, sondern treffe nur empörend kritische Feststellungen wie „Lässt du wieder deine verdammten Socken herumliegen“oder „Was macht der Teller unter dem Bett?“. Wenn man als Mutter Dampf ablassen muss, sollte man auf eine Situation, also etwa auf herumliegende Socken, abstellen. Es ist jedoch ratsam, den Sohn nicht offensiv einen verdammten Faulpelz zu nennen, auch wenn er es ist. Ich verwende also keine Schimpfworte, rege mich aber in neutraler Sprache mit entsprechender Lautstärke gegenüber meinen beiden Söhnen auf.
Schimpfen und fluchen Frauen anders als Männer?
Frauen schimpfen und fluchen nicht anders als Männer.
Wirklich?
Meine Untersuchungen zeigen, dass sich das Schimpfen und Fluchen von Frauen meist weder quantitativ noch qualitativ unterscheidet. Frauen schimpfen also insgesamt nicht weniger als Männer und greifen auch zu Fäkalausdrücken. Es gibt lediglich Unterschiede, was die Form und die Wahrnehmung des Schimpfens betrifft.