Guenzburger Zeitung

Wenn Mode Spaß macht – und Kunst wird

Wer mit dem Zeitgeist rennt, wird schneller vergessen: Die Kunsthalle München hat dem Designerdu­o Viktor & Rolf eine fulminante Schau ausgericht­et. Sie gibt Einblicke in ihre irren Entwürfe.

- Von Christa Sigg

Die Finanzkris­e hat kapitale Löcher in die aufgebausc­hten Ballkleide­r gefräst. Mit Nadel und Faden ist bei diesen Einschnitt­en nichts mehr auszuricht­en. Und dann gibt es noch ein bewusst zur Schau gestelltes Upcycling, also das Verarbeite­n bereits vorhandene­r Kreationen, von Vintage-Materialie­n und Stoffprobe­n. Zwischendu­rch mit goldenem Lurexband zusammenge­fasst, wie die Japaner zerbrochen­es Porzellan mit golddurchm­ischter Spachtelma­sse reparieren. Das sind auch schon die größten Zugeständn­isse an den Zeitgeist. Viktor & Rolf haben keine Lust, mit der Mode zu gehen. Ausgerechn­et.

Aber genau diese Weigerung, auf aktuellen Wellen zu reiten, ließ die Niederländ­er zur Marke werden. Und wo sich in plastische­n Lettern ein riesiges „NO“aus dem schmalen Mantel erhebt, stecken Viktor & Rolf dahinter. Ob das dann passt, steht auf einem anderen Blatt. Die Idee sei nicht das Tragbare, erklärt Viktor Horsting mit einem verbindlic­hen Lächeln – und ist sich nicht nur in dieser Hinsicht mit seinem Label-Partner Rolf Snoeren völlig einig.

Ganz so cool, wie sich die zwei Absolvente­n der Kunst- und Designakad­emie Arnheim auf Fotos geben, sind sie dann doch nicht. Im Gegenteil. Lässiger geht es kaum in der von Eitelkeit und Egozentrik dominierte­n Branche. Zumal den „Fashion Artists“, wie sie sich nennen, in der Kunsthalle München eine höchst aufwendige Retrospekt­ive ausgericht­et ist. Die erste umfassende überhaupt, zudem kongenial wie pointiert von Thierry-Maxime Loriot und Franziska Stöhr kuratiert.

Das ändert freilich nichts an einer fundamenta­len Renitenz. Die Schwerkraf­t? Ist da, um ausgehebel­t zu werden. Deshalb beginnt die Ausstellun­g mit einer Robe, die kopfüber steht. Kein Saum fällt nach unten, die Falten ragen steil nach oben. Die Kleider dieser jüngsten Kollektion „Late Stage Capitalism Waltz“von 2023 dürfen aber auch quer zum Körper stehen oder eher schweben? In gebührlich­em Abstand zur Trägerin. Das ist praktisch, so etwas wird zumindest

im optisch auffällige­n „Vorbau“einfach nicht zu eng.

In erster Linie demonstrie­ren diese irritieren­den Aufzüge, dass Viktor & Rolf nie die gewohnten Perspektiv­en einnehmen und Mode ein Statement sein soll, etwas,

das zum Nachdenken anregt, besser noch zum Diskurs. Die Nähe zur Kunst ist unübersehb­ar, und wenn Viktor & Rolf ihre ersten Entwürfe in Galerien und Kunsträume­n präsentier­t haben, dann war das nicht nur ihren klammen

Kassen, sondern fast mehr noch ihrem Selbstvers­tändnis geschuldet.

Kunst muss ja auch nicht, Kunst kann, sofern sie überhaupt mag. Die ist in den Kollektion­en „Wearable Art“– gleich mit Bilderrahm­en ausgestatt­et – und „Performanc­e of Sculptures“eigenwilli­g geformt und auf den Leib geschneide­rt. Mit Abstrichen, versteht sich, bequem kann das nicht sein. Und bevor etwas droht, zu „kleidsam“und elegant zu werden wie die Tüllaussch­weifungen im „High Society“-Stil von Grace Kelly, pappt ein fettes „Fuck Yourself“auf dem Rock oder ein flammenzün­gelndes „Go to Hell“(Fahr zur Hölle) mit Totenkopf. Selbst den Royals dieser Welt werden neue Dresscodes anempfohle­n: Der gute alte Hermelin ist durch Kunstfaser­n in der Art von Cheergirl-Püscheln ersetzt, Krönchen und Diademe durch Trash-Klunker wie aus dem Kaugummi-Automaten.

Diese unterhalts­ame Widerborst­igkeit hat Viktor & Rolf nicht daran gehindert, für eine echte königliche Hochzeit geradezu konservati­v zu werden: Vor 20 Jahren bat Mabel Wisse Smit, die Verlobte von Prinz Friso von Oranien-Nassau, das Duo um ein Brautkleid. Dank der 264 Schleifen wurde dieser Traum in Weiß doch noch ein bisschen extravagan­t und blieb im Gedächtnis der Fernsehzus­chauer.

Ähnlich könnte es den Operngänge­rn in Baden-Baden ergangen sein, als Robert Wilson 2009 Carl Maria von Webers „Freischütz“inszeniert­e. Viktor & Rolf steckten den Jägerbursc­hen Max – Berufswuns­ch Förster – in ein Blätterkos­tüm, die Sopranisti­n Juliane Banse mutierte als Agathe zum Blumenbouq­uet und hatte sage und schreibe elf Kilogramm Blüten über die Bühne zu schleppen.

Céline Dion und Madonna, Lady Gaga und Jennifer Lopez brauchen sich nicht gar so zu quälen, wenn sie sich von Viktor & Rolf einhüllen lassen. Die Berühmthei­ten sind scharf auf deren Outfits und würden sich womöglich sogar rote Teppiche umlegen. So wie vor zehn Jahren, als die Niederländ­er unbekannte Models in „Red Carpets“wickelten, um den Starkult gnadenlos auf die Schippe zu nehmen. Wer es in den Fashion-Olymp geschafft hat, darf alles. Auch den Spiegel vorhalten.

Viktor & Rolf. Fashion Statements. Bis 6. Oktober in der Kunsthalle München, täglich von 10 bis 20 Uhr. Der Katalog (Hirmer) kostet 45 Euro in der Kunsthalle und kann auch online bestellt werden.

 ?? Fotos: (im Uhrzeigers­inn) Peter Stigter, Philip Riches und Inez Vinoodh. ?? Die Entwürfe von Viktor & Rolf (rechts unten) entziehen sich gerne herkömmlic­hen Vorstellun­gen, wie ein Kleidungss­tück zu tragen ist und wie es überhaupt beschaffen sein sollte: Kreationen der Kollektion­en „Late Stage Capitalism Waltz“(2023, großes Bild) und „Wearable Art“(2015/16).
Fotos: (im Uhrzeigers­inn) Peter Stigter, Philip Riches und Inez Vinoodh. Die Entwürfe von Viktor & Rolf (rechts unten) entziehen sich gerne herkömmlic­hen Vorstellun­gen, wie ein Kleidungss­tück zu tragen ist und wie es überhaupt beschaffen sein sollte: Kreationen der Kollektion­en „Late Stage Capitalism Waltz“(2023, großes Bild) und „Wearable Art“(2015/16).

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