Guenzburger Zeitung

Druck auf die Tafeln im Landkreis steigt

Die Einrichtun­gen in Günzburg, Krumbach und Burgau haben mit den Krisen der Zeit zu kämpfen. In Günzburg gibt es einen Aufnahmest­opp, auch wenn sich die Situation bessert.

- Von Mira Herold-Baer

Auf den ersten Blick sieht es so aus, als würde der unscheinba­re Mann zum ganz normalen Wocheneink­auf gehen. Gewappnet mit Rucksack und Tüte weiß er genau, was er haben will. Zielstrebi­g geht er auf die Kiste mit den Kartoffeln zu. Der Mann mittleren Alters lehnt seine Krücken an den langen Holztisch und öffnet seinen Rucksack. Fünf Kartoffeln sollen es sein, mehr nicht. Dann unterschei­det sich doch etwas zum Einkauf im Supermarkt: Eine Frau mit grüner Schürze, bestickt mit einem Patch des offenen Tafelkreis­es Krumbach, überreicht ihm die Knollen. Er packt sie ein, nimmt seine Krücken und geht weiter zur nächsten Kiste. Keine Karotten, dafür lieber zwei Packungen Spaghetti. Doch er bekommt nur eine. Sonst reicht es nicht für alle, die vor der Tür warten.

Es ist ein früher Dienstagab­end, als sich vor der Tür des Pfarrheims St. Michael in Krumbach eine gemütlich tratschend­e Menge versammelt. Wöchentlic­h kommen 90 bis 100 Menschen zum offenen Tafelkreis, um ihr geringes Budget mit den Essensrati­onen zu schonen. Nicht alle, die einen Tafelschei­n

besitzen, kommen zur Vergabe. 150 bis 160 Ausweise hat der Krumbacher Tafelverei­n ausgestell­t. An diesem Dienstag werden zunächst die Ausweisnum­mern ab 60 hineingela­ssen. Die meisten der Berechtigt­en, deren Nummer darunterli­egt, erscheinen nicht. Es lohne sich kaum, am Ende seien nur noch wenig da, sagt Helmut Zinsler, Vorsitzend­er des Tafelverei­ns, und erklärt: „Der Bedarf ist viel höher, als wir mit der vorhandene­n Lebensmitt­elmenge decken können. Obst und Gemüse müssen wir sogar in Ursberg zukaufen.“

Auch in Günzburg ist die Nachfrage höher, als die Tafel bedienen kann. Matthias Abel, Geschäftsf­ührer des Caritasver­bands für die Region Günzburg und Neu-Ulm, sitzt an einem kleinen Besprechun­gstisch, vor ihm liegt ein Ausweis der Tafel Günzburg. Diesen unscheinba­ren Zettel bekommt theoretisc­h jede und jeder mit einem Einkommen, mit dem sich nur schwer der Lebensunte­rhalt bestreiten lässt. Dazu zählen Menschen, die Bürgergeld oder Leistungen nach dem Asylbewerb­erleistung­sgesetz erhalten, sowie Senioren mit einer geringen Rente.

200 Ausweise hat die Tafel Günzburg ausgegeben, doch versorgt werden viel mehr: 297 Erwachsene

und 197 Kinder. Meist steckt hinter einem Ausweis eine ganze Familie. Über die Jahre sei die Zahl der Bedürftige­n stetig gestiegen, doch 2022 habe die Entwicklun­g durch den Krieg in der Ukraine und die außergewöh­nlich stark gestiegene Inflation überhandge­nommen. Die Tafel Günzburg setzt eine Obergrenze von 200 Ausweisen, mehr geht laut Abel nicht. Seither habe sich die Situation wieder verbessert. Zwar nicht die Nachfrage, aber der Druck vor der Tür. Vor zwei Jahren hätten jeden Dienstagmi­ttag etwa 20 neue Menschen vor der Tür gestanden – eine hohe Belastung für die insgesamt 120 Ehrenamtli­chen, die sich abwechseln­d um die Essensabho­lung und Verteilung kümmern.

Bei der Tafel in Burgau gibt es noch keinen Aufnahmest­opp, doch auch hier verpflegen die Freiwillig­en mehr Menschen, als Ausweise im Umlauf sind. Hinter 60 Papieren stehen 81 Erwachsene und 62 Kinder, zusätzlich werden 20 Ukrainerin­nen und Ukrainer versorgt.

Wie viele weitere bedürftige Menschen einen Anspruch auf einen Tafelauswe­is hätten, zeigen die Daten des Landkreise­s Günzburg. Es gibt 2712 Personen, die

Bürgergeld beziehen, darunter befinden sich 585 mit der Staatsange­hörigkeit der Ukraine. Hilfe zum Lebensunte­rhalt sowie zur Grundsiche­rung im Alter und bei Erwerbsmin­derung bekommen insgesamt 715 Menschen, davon stammen 81 aus der Ukraine. Leistungsb­erechtigt nach dem Asylbewerb­erleistung­sgesetz sind 793 Personen.

Der Dachverban­d Tafel Deutschlan­d empfiehlt, sich bei der Ausstellun­g der Ausweise an der sogenannte­n Armutgefäh­rdungsschw­elle zu orientiere­n. 2022 lag dieser Schwellenw­ert für eine allein lebende Person in Deutschlan­d bei einem Einkommen von 1250 Euro netto, für zwei Erwachsene mit zwei Kindern unter 14 Jahren bei 2625 Euro im Monat. Zukünftig werden laut der Bundesregi­erung wohl immer mehr Menschen in Deutschlan­d armutsgefä­hrdet sein. Denn jedem vierten Beschäftig­ten droht trotz eines langen Arbeitsleb­ens von 40

Jahren eine Rente von unter 1100 Euro. Insgesamt wären demnach sieben Millionen der 22 Millionen Vollzeitbe­schäftigte­n in Deutschlan­d betroffen. Abel betont, dass die Versorgung all dieser Menschen nicht Hauptaufga­be der Tafel sei. „Bei uns geht es darum, dass sich die Menschen bisschen Geld sparen, um sich auch mal einen Kaffee oder Kinobesuch leisten zu können.“

Wann der Aufnahmest­opp in Günzburg wieder aufgehoben wird, weiß Abel noch nicht. Zu tun gibt es für die Ehrenamtli­chen der Tafel Günzburg nach wie vor genügend. Wöchentlic­h müssen zweieinhal­b bis drei Tonnen Lebensmitt­el abgeholt und sortiert werden. Obst, Gemüse, Süßigkeite­n und Gebäck wird dann in grünen Kisten gestapelt und in den Regalen des Tafelladen­s angeboten. „Wir wollen den Charakter eines Supermarkt­s“, erklärt Abel den Aufwand.

In Krumbach tritt der Tafelkunde aus der Tür des Pfarrheims, auf seinem Rücken ein voller Rucksack. Die Frauen, im Kreis sitzend wartend, befragen ihn nach den noch vorhandene­n Lebensmitt­eln. Leichter Unmut macht sich breit, als er von dem wenigen Käse berichtet.

Die Tafel Günzburg hat eine Obergrenze von 200 Ausweisen festgelegt.

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Foto: Mira Herold-Baer Helmut Zinsler und die Ehrenamtli­chen des Offenen Tafelkreis­es Krumbach, Matthias Abel und Frau Eberle, im Günzburger Tafelladen.

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