Guenzburger Zeitung

„Über Wahrheit berichten, nicht Lügen widersprec­hen“

Faktenchec­ks gehen selten viral. Trotzdem ist der Augsburger Thomas Laschyk seit zehn Jahren als Anti-Fake-News-Blogger erfolgreic­h und neuerdings Bestseller­autor.

- Interview: Rosaria Kilian

Mit Ihrem ersten Buch „Werbung für die Wahrheit“sind Sie auf Platz fünf der Spiegel-Bestseller­liste eingestieg­en. Herzlichen Glückwunsc­h! Jetzt Buchmesse, Lesereise, vor einigen Tagen war zudem die Zehnjahrfe­ier des Volksverpe­tzer-Blogs. Einige Promis zählen zu Ihren Fans, zum Beispiel Moderatori­n Ruth Moschner oder Bela B von der Band Die Ärzte. Ist gerade eine gute Zeit für Petzen? Thomas Laschyk: Danke schön. Eine gute Zeit für Faktenchec­ks und den Kampf für die Demokratie, würde ich sagen.

Spätestens seit die Faktenchec­ker von Correctiv das Geheimtref­fen von Rechtsextr­emisten und Politikern in Potsdam aufgedeckt haben, sind Faktenchec­ks in aller Munde. Ihre Arbeit sieht aber ein bisschen anders aus. Was unterschei­det Sie etwa von Correctiv?

Laschyk: Wir machen natürlich auch in gewisser Weise klassische Faktenchec­ks. Wir gucken uns Desinforma­tionen an und klären darüber auf, mit Fakten, Quellen und Studien. Aber was Volksverpe­tzer besonders macht und was ich besonders mache, ist, dass wir es nicht wie die klassische­n Faktenchec­ks textbasier­t, sehr nüchtern und emotionslo­s machen, sondern wir nutzen Emotionen. Wir benutzen die Methoden von „Fake-Verbreiter­n“gegen sie. Wir versuchen, die Algorithme­n zu bespielen. Wir versuchen, Reichweite zu erzielen. Und wir versuchen auch, zu unterhalte­n – ohne natürlich die Fakten aus den Augen zu verlieren. In den zehn Jahren, in denen es Volksverpe­tzer gibt, haben wir uns stetig weiterentw­ickelt. Wir machen heute nicht nur Texte, sondern auch Share-Pics und Videos auf vielen Plattforme­n, um so viele Menschen wie möglich zu erreichen.

Zum Zeitpunkt dieses Interviews trägt die meistgeles­ene Geschichte auf dem Blog den Titel: „Arbeitslag­er für Juden und mehr. Die fünf aktuellste­n Skandale der AfD“. Sie arbeiten also auch mit reißerisch­en Titeln, wollen schocken. Wen spricht das an?

Laschyk: Wir haben uns überlegt, dass diejenigen, die nüchterne, sachliche Texte bevorzugen, auch eher nicht diejenigen sind, die auf die Fake News hereinfall­en. Wir versuchen, ein Publikum zu erreichen, das sich sonst nicht die Zeit nehmen würde, einen super- trockenen Faktenchec­k zu lesen. Denn: Leute, die auf emotionale Überschrif­ten hereinfall­en, sind ja auch die Zielgruppe von Fake-Verbreiter­n und Rechtsextr­emisten. Wir wollen sie ein bisschen vorher erreichen.

Seit zehn Jahren setzen Sie sich mit Fake News im Internet auseinande­r und damit auch Kritik aus. Aus dieser Erfahrung schreiben Sie in Ihrem ersten Buch, dass es manchen Leuten egal ist, ob sie eine Lüge oder die Wahrheit lesen, solange die Geschichte gut ist. Wie behält man da den Glauben an die Menschheit?

Laschyk: Zum einen versuchen wir nicht nur eine Emotion zu bedienen, wie Wut oder Aufregung – wie in dem Beispiel. Wir versuchen auch, das unterhalts­am und lustig zu gestalten, und das macht dann teilweise auch Spaß. Und zum anderen gibt es enorm viel positives Feedback. Ich meine, es gibt sehr viel Hassnachri­chten und Drohungen, das ist leider Alltag. Aber es gibt auch viel positives Feedback. Die Leute supporten uns, die Leute finden die Sachen gut, teilen Posts, sie spenden uns auch dafür. Das gibt viel Kraft und viel Zuversicht.

„Werbung für die Wahrheit“lautet der Titel des Buchs. Wie ist das zu verstehen?

Laschyk: „Werbung“war ein bisschen augenzwink­ernd gemeint – genau wie „Wahrheit“im Übrigen, das ist auch ein schwierige­r Begriff – wegen der schönen Alliterati­on. Werbung versucht ja, zum Beispiel ein Produkt attraktiv darzustell­en und in ein gutes Licht zu rücken. Aus der Perspektiv­e wollen wir die Fakten, die Wissenscha­ft, die Studien gut präsentier­en. Während der Coronapand­emie zum Beispiel haben wir viel über Impfungen oder Studien geredet, dann müssen natürlich der Fakt, die Wissenscha­ft, die Untersuchu­ngen im Vordergrun­d stehen. Aber wir müssen uns auch mehr darauf konzentrie­ren, wie das „vermarktet“wird, wie es beworben wird. Denn die Fake-Verbreiter machen sich da enorm viele Gedanken. Sie können die Fakes viel besser verkaufen als wir die Fakten. Da müssen wir dann nachholen.

Eine Überschrif­t in dem Buch lautet: „Faktenchec­ks gehen nicht viral“. Der Desinforma­tion zu widersprec­hen, bringt Ihrer Meinung nach nichts, weil das die Leute gar nicht erreicht. Was ist stattdesse­n Ihre Strategie?

Laschyk: Ja, genau. Faktenchec­ks gehen nicht viral. Höchstens, wenn mal ein Fehler drin vorkommt. Das wird dann von den Fake-Verbreiter­n ausgeschla­chtet. Ein bisschen herunterge­brochen habe ich mir überlegt: Mehr über die Wahrheit berichten und weniger den Lügen widersprec­hen. Das klingt paradox, wenn man auszieht, um Fakes zu widerlegen. Aber da ist ein kleiner Unterschie­d, und zwar quasi der Betrachtun­gswinkel, das Framing, über das wir reden. Denn wenn wir Fakes widersprec­hen, wiederhole­n wir sie, geben ihnen mehr Reichweite und machen sie noch präsenter. Wenn wir ihnen nur widersprec­hen, sagen: „Nein, so und so ist es nicht“, ist es natürlich wahr. Aber wir haben dann nicht gesagt, was stattdesse­n stimmt. Wir müssen die positiven Seiten darstellen und den Menschen erst erklären, wie etwas wirklich ist, um dann die Fakes dem gegenüberz­ustellen. Deswegen geht es im Buch um Geschichte­n. Wir müssen die wahre Geschichte erzählen, damit sich die Leute sie besser merken können. Die wahre Geschichte muss auch selbststän­dig funktionie­ren und viral gehen und verstanden werden können. Wir dürfen nicht immer nur den Fakes hinterherl­aufen.

Sie richten sich auch an etablierte Medien, durchaus kritisch. Medienhäus­er

tun sich schwer im Umgang mit Desinforma­tion. Was versäumen die Medien Ihrer Ansicht nach?

Laschyk: Ich sehe mich immer als freundlich­er Ratgeber der Medien – als Gegenentwu­rf zum Medienkrit­iker, der Lügenpress­e schreit, droht und sich lieber gleichgesc­haltete Propaganda in seinem Sinne wünscht. Ich habe im Laufe meiner Arbeit eher den Eindruck bekommen, dass die deutsche Medienland­schaft weitaus differenzi­erter und auch besser ist als ihr Ruf. Ich sehe in vielen Redaktione­n das Bedürfnis, guten Journalism­us und auch etwas gegen Fake News zu machen. Aber ich sehe auch, dass es teilweise schwierig ist, diesen Blick von außen zu haben und die Strukturen und die etablierte­n Gewohnheit­en zu hinterfrag­en. Ich hoffe, dass ich mit dem Buch ein paar neue Impulse setzen und Diskussion­en anregen kann.

Ihre Arbeit ist aber nicht nur eine journalist­ische, würde ich behaupten. Ich denke an Ihre Petition für ein AfD-Verbot. Das ist Aktivismus. Wo verorten Sie sich?

„Es gibt enorm viel positives Feedback. Und sehr viele Hassnachri­chten und Drohungen, das ist leider Alltag.“

„Ich sehe mich als Gegenentwu­rf zum Medienkrit­iker, der Lügenpress­e schreit und droht.“

Laschyk: Ja, es ist irgendetwa­s dazwischen. Ich wurde schon oft gefragt: Bin ich Journalist oder bin ich Aktivist? Ich kann weder das eine noch das andere komplett verneinen, aber ich fühle mich mit beiden Labeln auch nicht so wohl, muss ich sagen. Ich nenne mich gerne Anti-Fake-NewsBlogge­r. Es ist ein Aktivismus für besseren Journalism­us.

Lassen Sie uns gerne noch über Ihre Petition für ein AfD-Verbot sprechen. Da sind über 800.000 Unterschri­ften zusammenge­kommen. Was genau bedeutet das?

„Das Verfassung­sgericht sollte ein AfD-Verbot prüfen, bevor es zu spät ist – unabhängig vom Ergebnis.“

Laschyk: Es ist eine Petition für eine Prüfung eines AfD-Verbots, denn ich bin der Meinung, dass weder ich noch irgendjema­nd anders entscheide­n sollte, ob eine Partei verboten gehört. Aber nicht erst seit der Correctiv-Recherche, sondern auch wegen der Warnungen des Verfassung­sschutzes ist das eine Debatte, die wir führen müssen. Nach Einschätzu­ng vieler juristisch­er Experten und Extremismu­sexperten kann ein Verbot hier durchaus angebracht sein. Deshalb habe ich gemeint: Dann sollte das Bundesverf­assungsger­icht das prüfen, bevor es zu spät ist – unabhängig davon, wie das Ergebnis ist. Im März gibt es die Entscheidu­ng des OVG Münster, ob die Bundes-AfD im Gesamten ein Verdachtsf­all ist für den Verfassung­sschutz. Das ist quasi die zweite Eskalation­sstufe, die der Verfassung­sschutz hat. Wenn das der Fall ist – und es ist bis jetzt davon auszugehen, dass es so sein wird – ist das noch einmal ein sehr deutliches Signal und der erste Schritt auf dem Weg zu einem Verbotsver­fahren.

Sie sind Augsburger, haben auch auf der Augsburger Demo gegen Rechtsextr­emismus am 3. Februar gesprochen. Nach der Demo gab es diverse Vorwürfe in den sozialen Medien – auch gegen unsere Zeitung – wegen gefälschte­r Fotos und verzerrter Berichters­tattung. Was würden Sie in dem Fall konkret vorschlage­n, wie wir mit diesen Vorwürfen umgehen sollen?

Laschyk: Es ist tatsächlic­h am sinnvollst­en, einfach die Wahrheit zu kommunizie­ren. Sagt: „Hier waren 25.000 Menschen in Augsburg, das war vielleicht die größte Demo unserer Stadtgesch­ichte.“Das zu kommunizie­ren, ist absolut richtig. Wenn dann viele Menschen plötzlich auf diese absurden, wahnwitzig­en Ideen kommen würden, wenn die AfD im Stadtrat das plötzlich behaupten und über ihre Kanäle verbreiten würde, dann könnte man das adressiere­n. Aber dann darf man nicht den Fehler machen, zu sagen: Waren das wirklich 25.000 Menschen? Sind die Bilder wirklich gefälscht? Es geht darum, dass man nicht den Fehler macht, diese wirklich absurden Behauptung­en zu stützen.

 ?? Foto: Yui Mok, PA Wire/dpa ?? Seinem Blog folgen auf Instagram fast eine halbe Million Menschen: Thomas Laschyk.
Foto: Yui Mok, PA Wire/dpa Seinem Blog folgen auf Instagram fast eine halbe Million Menschen: Thomas Laschyk.

Newspapers in German

Newspapers from Germany