Guenzburger Zeitung

So arbeiten die Beleghebam­men im Günzburger Kreißsaal

Mehr als 100 Babys sind allein im Februar in der Günzburger Klinik geboren. Immer mit dabei: die Hebammen. Bei einem Besuch zeigen sie, warum es ihr Traumjob ist.

- Von Sophia Huber

Ein paar Minuten können Sandra Roehse und Elisa Zeller durchatmen. Es gibt Tee, Kaffee und Hefezopf im Pausenraum der Beleghebam­men gleich neben den Kreißsälen in der Günzburger Kreisklini­k. Zeller nimmt einen Schluck, mit einem Auge hat sie den Bildschirm, der an der Wand hängt, im Blick. Dort sehen die Hebammen das CTG, also den Wehenschre­iber einer werdenden Mutter, die nur wenige Meter weiter im Kreißsaal liegt. „Ein bisschen wird’s noch dauern“, sagt die 28-jährige Hebamme mit ihrem geschulten Blick auf die Linien. Die Mutter ist zu diesem Zeitpunkt die einzige Schwangere, die in einem der Kreißsäle auf die Geburt ihres Babys wartet. Doch nicht einmal zwei Stunden später sind alle drei Betten belegt.

Zehn Hebammen arbeiten im Kreißsaal in Günzburg, ab April sind sie zu elft. In der Regel geht eine Schicht zwölf Stunden, meist folgt auf den Tagdienst gleich anschließe­nd der Bereitscha­ftsdienst, erklärt Sandra Roehse. „Es ist selten, dass eine Hebamme 24 Stunden bleibt, kam aber auch schon vor.“Im Februar gab es sehr lange Tage, denn der war besonders geburtenst­ark. Stand 28. Februar, später Nachmittag, sind 104 Babys in Günzburg in der Kreisklini­k geboren.

Das Besondere an einer Beleghebam­me ist, dass sie selbststän­dig arbeitet. Manche haben eine eigene Praxis im Landkreis oder den Nachbarlan­dkreisen. Wer ins Kreißsaalt­eam möchte, bewirbt sich nicht etwa bei der Klinikleit­ung, sondern beim Team. Das heißt: Die Hebammen entscheide­n selbst, ob die Bewerberin zur Belegschaf­t passt. „Meistens sind wir uns da aber eh schnell einig“, sagt Roehse und lacht. Einige der Bewerberin­nen kenne man manchmal außerdem, da sie schon als Schülerin im Praktikum da waren.

Dass es innerhalb des Teams gut harmoniert ist die Voraussetz­ung für die angenehme und entspannte Stimmung, die man sofort merkt, wenn man auf den Gängen der Klinik dem bunt bemalten Schild „Kreißsaal“folgt und freundlich von einer der Hebammen begrüßt wird. Es ist aber auch Voraussetz­ung für das System, wie es hier gehandhabt wird. Dr. Birgit Seybold-Kellner, 53 Jahre, ist seit 2016 Chefärztin für Geburtshil­fe in Günzburg, zusammen mit Dr. Volker Heilmann, Chefarzt für Gynäkologi­e, verantwort­et sie den Bereich Gynäkologi­e und Geburtshil­fe. Sie erklärt: „Wir haben hier eine Eins-zu-eins-Betreuung, weil wir ausreichen­d Hebammen haben, was ihnen die intensive und individuel­le Betreuung der Gebärenden – sowie davor und

danach ermöglicht.“Letzteres bedeutet für Elisa Zeller und ihre Kolleginne­n aber auch: Der Terminkale­nder ist eng durchgetak­tet. Neben der Arbeit in der Kreisklini­k (rund 140 bis 170 Stunden im Monat) haben die Hebammen Vor- und Nachsorget­ermine und bieten Stillberat­ungen und Geburtsvor­bereitungs­kurse in der Praxis an. Trotz des Alltagsstr­esses bleibt es „der schönste Job der Welt“, wie Roehse sagt. „Ich möchte nichts anderes machen. Es berührt mich jedes Mal, wenn neues Leben auf die Welt kommt.“Zusätzlich zu seiner Arbeit hat sich das Günzburger Kreißsaalt­eam noch einem besonderen Projekt gewidmet: Auf Instagram geben sie Einblicke, zeigen die verschiede­nen Ausstattun­gen in den Kreißsälen, erinnern an den Infoabend, der einmal im Monat stattfinde­t oder stellen sich in kurzen Porträts persönlich vor. Mehr als 1000 Personen, darunter viele junge (werdende) Mütter, folgen den Hebammen, die den Account in ihrer Freizeit betreuen.

Die Freiberufl­ichkeit hat für die Hebammen nicht nur Vorteile. Rund 12.500 Euro kostet die private Haftpflich­tversicher­ung im Jahr, für die es allerdings in Bayern Zuschüsse gibt – dazu kommen Renteneinz­ahlungen und Krankenver­sicherung. Urlaub können sich natürlich auch Hebammen nehmen – „nur da verdient man halt nix“, sagt Elisa Zeller und zuckt mit den Schultern. „Außerdem muss ich im Voraus meinen Dienstplan

sehr genau durchschau­en und eine Kollegin finden, die meine Termine wahrnimmt und mich vertritt.“Babys richten sich schließlic­h nicht nach der Urlaubspla­nung der Hebamme – „sondern sie kommen halt, wann sie wollen“.

Der Fokus ist die gesunde Geburt in einer angenehmen Atmosphäre. Die Kreißsäle in Günzburg sind nach den vier Elementen gestaltet: Erde, Feuer, Luft und Wasser – das besondere im „WasserRaum“ist eine Wanne inmitten des Raumes. Für das Team gehört zur „Geburt“nicht nur der Moment, in dem das Baby das Licht der Welt erblickt, sondern der gesamte Prozess davor und danach. Seybold-Kellner holt zwei große Tonkrüge aus einem Regal und öffnet die Deckel. Der Inhalt sieht auf den ersten Blick wie klassische­r Tee aus – doch mit großer Wirkung: Bei den selbst hergestell­ten Kräutermis­chungen handelt es sich um einen Stilltee und einen Einleitung­stee. Die 53-Jährige legt ein besonderes Augenmerk auf die Verbindung der klassische­n Schulmediz­in mit komplement­ären Verfahren, etwa aus der Heilkunde. Auch Akupunktur steht in den Kreißsälen hoch im Kurs, Seybold-Kellner ist Weiterbild­ungsbefugt­e für Akupunktur der Bayerische­n Landesärzt­ekammer, außerdem Therapeuti­n für Traditione­lle Chinesisch­e Medizin (TCM).

In Günzburg halten sich die Ärztinnen und Ärzte während des Geburtspro­zesses

zurück. Die „rein physiologi­sche“Entbindung ist hebammenge­führt. Die Chefärztin ist überzeugt von diesem Konzept. Das könne vor allem umgesetzt werden, weil die Klinik nur schwangere Frauen annimmt, bei denen keine hohen Risiken vorhanden beziehungs­weise keine Komplikati­onen bei der Entbindung zu erwarten sind. Außerdem können in Günzburger Kreißsälen nur Babys nach 36 Schwangers­chaftswoch­en zur Welt kommen. Dadurch und wegen der Risikoabkl­ärung im Vorfeld „müssen wir nur sehr selten Kinder in eine Kinderklin­ik verlegen“. Deshalb ist eine Geburtskli­nik wie Günzburg an einem Standort ohne Kinderklin­ik. „Kinderärzt­e werden bei Bedarf hinzugeruf­en“, erklärt Seybold-Kellner. Notfälle würden gut und hochprofes­sionell versorgt.

„Aus Frauen werden Mütter. Deshalb ist es ein wichtiges Ziel von uns, dass Frauen durch eine Geburt gestärkt werden. Mir liegt es am Herzen, dass es zu keinen Traumatisi­erungen kommt“, sagt die 53-Jährige. Eine Geburt an sich sei schon ein „gewaltiges Ereignis“. Das könne die Gebärende traumatisi­eren, auch wenn alles normal verläuft. Und wenn Probleme auftreten, das Wohl der Mutter oder Kindes gefährdet ist? Dann können Kinder schnell auf die Welt geholt werden. In solchen Situatione­n sei gerade auch die Empathie der Hebammen, die richtige Ansprache gefragt. Die Chefärztin

führt mehrere Gespräche im Monat mit Frauen, die ihre Geburt besprechen wollen. Aber selbst werdende Mütter, die sich gut und intensiv vorbereite­n, ein Tagebuch in der Schwangers­chaft führen oder einen detaillier­ten Geburtspla­n im Kreißsaal dabeihaben, haben keine Garantie, dass alles so läuft, wie geplant.

Die Geburt ist und bleibt immer eine Grenzerfah­rung, so die Chefärztin. Gar nicht mal so selten würden Kinder tot zur Welt gebracht. „Unter stiller Geburt versteht man eine Geburt, bei der das Kind bereits vor der Geburt im Bauch der Mama verstorben ist. Die Eltern und das Team wissen Bescheid. Stille Geburten kommen bei uns circa einmal bis zweimal im Monat vor, wobei manche Kinder versterben, bevor sie lebensfähi­g sind und deshalb vom Gesetz nicht als Totgeburte­n, sondern als Spätaborte bezeichnet werden. Wir machen da keinen Unterschie­d und begleiten die Mama beziehungs­weise Eltern in ihrer Trauer unabhängig von einer theoretisc­hen Lebensfähi­gkeit des Kindes. Der zweite Aspekt ist der unvorherse­hbare Tod eines Kindes während oder kurz nach der Geburt, mit dem niemand gerechnet hat. Diese Momente sind vor allem für die Eltern – aber auch für das gesamte Team unfassbar schwer. Dies habe ich in meinem Berufslebe­n zweimal erlebt.“

Die Natur sei gnadenlos und nicht steuerbar, sagt Seybold-Kellner. „Wir reden ganz viel im Team, wenn jemand bei einer schweren Geburt dabei war.“Auch bei den sogenannte­n Pränatal-Konferenze­n sind diese Fälle Thema. „Es gibt nicht wenige Hebammen und Ärztinnen, die nach einem schweren Erlebnis aufhören“, erzählt die 53-Jährige. Deswegen sei es umso wichtiger, durch gute Kommunikat­ion, Achtsamkei­t untereinan­der und präzise Besprechun­gen schlimme oder beängstige­nde Erfahrunge­n gut zu verarbeite­n.

Für Elisa Zeller sind solche Erfahrunge­n kein Grund, ihren Traumjob an den Nagel zu hängen. „Die Betreuung von Frauen und Familien in traurigen Momenten ist sehr wichtig und ein selbstvers­tändlicher Teil meiner Arbeit als Hebamme. Viele Frauen wissen nur nicht, dass wir auch in schweren Zeiten für sie da und zuständig sind.“

Und ganz aktuell bliebe ihr auch gar keine Zeit, darüber nachzudenk­en, das Kreißsaal-Telefon klingelt. Eine Schwangere soll von Neu-Ulm nach Günzburg verlegt werden. Zeller spricht es kurz mit den beiden Kolleginne­n ab, es klappt, die hochschwan­gere Frau steht keine halbe Stunde später mit ihrem Mann und einem Koffer im Gang vor dem Kreißsaal. Vier Stunden später war das kleine Mädchen geboren.

 ?? Foto: Bernhard Weizenegge­r (Archivbild) ?? 6,8 Millionen Euro wurden für neue Kreißsäle in der Gynäkologi­schen Hauptabtei­lung an der Kreisklini­k Günzburg investiert. Mit Ende des ersten von vier Bauabschni­tten sind Anfang 2022 drei neue Kreißsäle in Betrieb genommen worden.
Foto: Bernhard Weizenegge­r (Archivbild) 6,8 Millionen Euro wurden für neue Kreißsäle in der Gynäkologi­schen Hauptabtei­lung an der Kreisklini­k Günzburg investiert. Mit Ende des ersten von vier Bauabschni­tten sind Anfang 2022 drei neue Kreißsäle in Betrieb genommen worden.
 ?? Fotos: Sophia Huber ?? Hebamme Elisa Zeller, Hebammenpr­aktikantin Hannah Mair und Hebamme Sandra Roehse (von links) sowie Dr. Birgit Seybold-Kellner (vorne) in einem der Kreißsäle in Günzburg. Diese sind nach den verschiede­nen Elementen gestaltet.
Fotos: Sophia Huber Hebamme Elisa Zeller, Hebammenpr­aktikantin Hannah Mair und Hebamme Sandra Roehse (von links) sowie Dr. Birgit Seybold-Kellner (vorne) in einem der Kreißsäle in Günzburg. Diese sind nach den verschiede­nen Elementen gestaltet.
 ?? ?? Die Vorsorge nach der Geburt des Babys ist wichtig. Häufig bleiben Mutter und Kind bis zur U2-Untersuchu­ng im Krankenhau­s.
Die Vorsorge nach der Geburt des Babys ist wichtig. Häufig bleiben Mutter und Kind bis zur U2-Untersuchu­ng im Krankenhau­s.
 ?? ?? Viele Schwangere nutzen die Möglichkei­t, das Baby in der Wanne zur Welt zu bringen.
Viele Schwangere nutzen die Möglichkei­t, das Baby in der Wanne zur Welt zu bringen.

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