Die Folgen von weniger Musik und Kunst
Die personelle Lage der Schulen habe bereits zu einer Schwerpunktsetzung geführt, sagt Thomas Schulze, Schulamtsdirektor im Kreis Günzburg. Doch für Hochbegabte könnte weniger Kreatives Auswirkungen haben.
Noch einmal mehr Textaufgaben in Mathematik statt gemeinsames Singen in der vierten Stunde? Die Umbaupläne, mit denen die Freie-WählerMinisterin Anna Stolz auf die Schlappe der deutschen Schülerinnen und Schüler bei der Pisastudie reagiert, stoßen nicht überall auf Freude. Um mehr Platz für Deutsch- und Mathematikstunden in der Grundschule zu gewinnen, sollen die drei Fächer Musik, Kunst sowie Werken und Gestalten zu einem „Fächerverbund“werden. Hatten Dritt- und Viertklässler bisher wöchentlich eine Stunde Kunst und je zwei Stunden Musik und Werken, können die Schulleitungen sich jetzt auf insgesamt vier Stunden beschränken und diese flexibel über die einzelnen Fächer verteilen. Mehr als 128.000 Menschen haben binnen drei Tagen eine Petition im Internet unterschrieben. Hauptkritikpunkt: Kinder bekommen weniger Zeit für Fächer, in denen die Kreativität gefördert werde.
Thomas Schulze, Schulamtsdirektor in Günzburg, betont, dass der Umbau der Stundentafel nicht zulasten der kreativen Fächer gehe: „Die Botschaft lautet ja, dass nichts gestrichen wird.“Das Schulamt und die Grundschulen seien lediglich angehalten, die Schwerpunkte neu zu setzen – was durchaus Sinn ergebe seiner Meinung nach. Denn grundlegend bestehe für die Grundschulen die Verantwortung, dass die Schülerinnen und Schüler die Basiskompetenzen des Lesens, Rechnens und Schreibens beherrschten.
Dass sich die Leistungen in den Grundkompetenzen die vergangenen Jahre verschlechtert hätten, würden nicht nur die Pisa-Ergebnisse zeigen. Daher sei die eingeschlagene Richtung, Lesen und Schreiben in den ersten Klassen herauszuheben, völlig sinnvoll. Schulze sagt: „Schulen stehen vor immer mehr Herausforderungen. Eine davon ist etwa die sprachliche Integration und Ausbildung guter Deutschkenntnisse.“
„Durch noch mehr Übungsstunden bleibt zu wenig Zeit für spannende Themen in den anderen Fächern“, findet Silvera Schmider. Die Langenhaslacherin arbeitet als selbstständige Seelsorgerin und führt als Begabungspädagogin in ihrer Praxis wöchentlich IQ-Tests mit Schülerinnen und Schülern durch, wenn diese konkrete Hinweise auf eine Hochbegabung aufweisen. Es komme häufig vor, erzählt sie, dass von den fünf Tests in der Woche fünfmal das Ergebnis „hochbegabt“herauskomme. „In jeder Klasse haben wir im Schnitt zwei bis drei überdurchschnittlich begabte oder hochbegabte Kinder“, so ihre Erfahrung. Durch mehr Mathe- und Deutschaufgaben entstehe bei diesen Kindern noch mehr Langeweile, und das wiederum führe zu steigender Unterforderung und Frustration.
„Eine Überholspur für hochbegabte Kinder an der Grundschule ist nicht vorgesehen. Alles, was an Förderung möglich ist, geschieht nur durch Überspringen oder hängt am Engagement der einzelnen Lehrkraft.“Wieder einmal werde „nur mit Reförmchen auf Pisa reagiert“, anstatt das Übel bei der Wurzel zu packen, findet die Seelsorgerin. „In der Schule herrscht ein dermaßen großer Druck auf den Lehrkräften wie auf den Schülerinnen und Schülern. Mit der Streichung, gerade in den kreativen Fächern, gehen wir Jahrhunderte pädagogischer Forschung zurück. Neue Ansätze braucht es. Weg von reiner Wissensvermittlung hin zu ganzheitlichem, sinnvollen Lernen.“
Die FDP in Bayern beispielsweise würde lieber beim Religionsunterricht kürzen, als bei kreativen Fächern, wie Musik. Der LehrplanPlus für bayerische Grundschulen gibt unter anderem vor: „Musik hat einen festen Platz im Schulalltag. Dazu gehören tägliches Singen, das musikalische Gestalten des Fest- und Jahreskreises sowie klingende Rituale und Signale, zum Beispiel zu Begrüßung und Abschied und zur Unterstützung schulischer Lernprozesse.“
Nach der Einordnung von Schulamtsdirektor Thomas Schulze sind Grundschulen mit dem Musikunterricht, der zunächst lediglich an das Musizieren heranführen soll, weit von einer instrumentalen Förderung entfernt. In den ersten Klassen gehe es eher um das gemeinsame Singen und Kennenlernen von musikalischen Gegenständen. Das Erlernen eines Instruments, wie in einer Musikschule, könne das Fach nicht leisten. Laut Schulze ist die kreative Bildung dennoch aus vielen Gründen wichtig: „Sport und Musik darf gerne wieder stärker vom Elternhaus gefördert werden. Vieles wird an die Schule abgegeben, doch diese hat hier ihre Grenzen.“Einen Einschnitt in Hinblick auf soziale Gerechtigkeit sieht Schulze durch eine stärkere Auslagerung der kreativen Angebote auf den außerschulischen Kontext nicht. Für einkommensschwache Familien gebe es verschiedene Möglichkeiten der Förderung, die von Vereinen und Gemeinden angeboten würden.
Der Schulamtsdirektor sorgt sich eher um die personelle Lage, die schon unweigerlich zu einer Schwerpunktsetzung verschiedenster Art geführt habe. Es gebe zu wenig fertig ausgebildete Lehrkräfte. Damit kein Unterricht ausfalle, müsse zusätzlich auf Aushilfskräfte oder Quereinsteiger gesetzt werden, die Unterstützung von ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrern erhalten, berichtet er auf Nachfrage.
Zusätzlich stehen die Schulen vor der Herausforderung, dass die individualisierte Förderung stetig zugenommen habe. Beim Umbau der Stundentafel durch das Kultusministerium handle es sich bisher um ein grobes Konzept. Schulze ist es ein Anliegen, dass die konkrete Ausgestaltung bei den Möglichkeiten der Schulleitung und des Schulamts liegt: „Die Grundschulen im Landkreis unterscheiden sich maßgeblich. Teils lässt sich die eine nicht mit der anderen vergleichen.“