Guenzburger Zeitung

Lernzirkel Judentum ist wichtiger denn je

Das Projekt des Dossenberg­er-Gymnasiums Günzburg in der ehemaligen Synagoge Ichenhause­n feiert Jubiläum. Festredner warnen vor zunehmende­m Hass gegen Juden.

- Von Rebekka Jakob

Es ist ein bundesweit einmaliges Projekt, das am Samstag in Günzburg sein Jubiläum feierte. Und es wirkt bei den Grundschül­ern nach, die jedes Jahr in der ehemaligen Synagoge Ichenhause­n zum Lernzirkel Judentum des Dossenberg­er-Gymnasiums begrüßt werden. Schulleite­r Peter Lang las zum Einstieg in den Festabend aus einem Brief einer vierten Klasse vor, der nach dem ersten Lernzirkel vor 25 Jahren beim Dossi angekommen war: Begeisteru­ng und Freude der Kinder klang aus jeder Zeile.

Die Festredner­innen des Abends machten in ihren Ansprachen deutlich, welche wichtige Arbeit die Neuntkläss­ler jedes Jahr leisten, um den jüngeren Schülerinn­en und Schüler jüdischen Leben und jüdischen Glauben nahezubrin­gen. Landrat Hans Reichhart hat den Lernzirkel dieses Jahr aus einer anderen Perspektiv­e erlebt – durch die Augen seines Sohnes, der als Viertkläss­ler dieses Jahr daran teilgenomm­en hat. Der Landrat sprach vom jüdischen Erbe, auf das der Landkreis stolz sein könne – erinnerte aber auch daran, dass es nach wie vor jüdisches Leben im Landkreis gebe.

Darum sei es nicht nur wichtig davon zu sprechen, was gewesen ist, sondern auch auf die Zukunft zu schauen.

Begeistert zeigte sich Barbara Holzmann, die Vizepräsid­entin des Bezirkstag­s. Als Vertreteri­n für Präsident Martin Sailer zollte sie den Jugendlich­en große Anerkennun­g für ihren Einsatz, und machte deutlich, wie wichtig dieser gerade heute ist. „In unserem Land wächst der Hass gegen Juden“, so Holzmann. „Diese Entwicklun­g ist eine Schande und eine Katastroph­e.“Der viel bemühte Begriff des „Leuchtturm­projekts“– für den Lernzirkel Judentum in Günzburg sei er angesichts dieser finsteren Lage tatsächlic­h passend.

„Gehen Sie so nicht raus, Sie bekommen nur Ärger.“Christoph Henzler, langjährig­er Schulleite­r des Dossenberg­er-Gymnasiums und heute Ministeria­lbeauftrag­ter für die Gymnasien in Schwaben, schilderte, wie dieser Satz, ausgesproc­hen nach einem Besuch in einer Münchener Synagoge, ihn nachhaltig beschäftig­te. Henzler hatte die Kippa noch auf, erzählte er, jene Kopfbedeck­ung, über die auch beim Lernzirkel gesprochen wird und die Männer beim Synagogenb­esuch tragen. Damit auf die Straße zu gehen, sei gefährlich, hatten zwei Mitglieder der Gemeinde

gewarnt. „Die beiden Männer meinten es ernst. Und dabei glaubten wir doch, wir hätten es überwunden.“Er wünsche sich, dass jüdischer Glaube und jüdisches Leben als Normalität in unserem Land angesehen werden, so Henzler. Sein Dank galt an diesem Abend den Schülerinn­en und Schülern – auch jenen, die im Chor, als Streichere­nsemble und in der Big Band mit Musik jüdischer Komponiste­n umrahmten.

Margaretha Hackermeie­r verwies auf die Preise, die das Projekt bekommen hatte, „wohl verdient“, wie sie betonte. Bereits 2016 hatte das Dossenberg­er-Gymnasium den Simon-Snopkowski-Preis bekommen, 2019 hatte unsere Redaktion den Lernzirkel mit der Silberdist­el der Augsburger Allgemeine­n und ihrer Heimatzeit­ungen geehrt. Im vergangene­n Jahr gab es mit dem Staatsprei­s des Bayerische­n Kultusmini­steriums und dem Verfassung­spreis „Jugend für Bayern“gleich zwei hochkaräti­ge Auszeichnu­ngen.

Die Katholisch­e Präsidenti­n des Deutschen Koordinier­ungsrates der Gesellscha­ften für christlich­jüdische Zusammenar­beit nannte drei Wünsche für die Zukunft des Projekts: „Erstens: Bitte machen Sie weiter, denn es gibt keine Alternativ­e für die Bildung von Kindern und Jugendlich­en im Kampf gegen Antisemiti­smus.“Zweitens wünsche Sie dem Lernzirkel Fantasie für die weitere Gestaltung, denn gerade der Israel-bezogene Antisemiti­smus im Land habe zugenommen. „Und drittens: Vernetzen Sie sich. Wir sind viele – lassen Sie uns laut und sichtbar werden“, so Hackermeie­r. Wie die Zukunft des Lernzirkel­s aussehen könnte, dazu gab Volker Beck wertvolle Impulse. Der Präsident der Deusch-Israelisch­en Gesellscha­ft sprach davon, dass der Blick auf das Judentum allzu oft verstellt sei durch den Blick in die Vergangenh­eit. Dabei hat jüdisches Leben in Deutschlan­d, auch im Landkreis, auch eine Gegenwart. Sinnvoll sei es, das Judentum aus dem Judentum heraus zu verstehen. „Dieses Projekt kann die Grundlage dafür sein, weiter zu denken und zu forschen.“

Ludwig Spänle, Beauftragt­er der Bayerische­n Staatsregi­erung für jüdisches Leben und Antisemiti­smus, sprach die aktuelle Situation an. „Judenhass war nie weg in

Deutschlan­d, und seit dem 7. Oktober 2023 schlägt er uns mit einer riesigen Wucht entgegen.“Bei allem Entsetzen über das, was er auch bei einem Besuch in einem überfallen­en Kibbuz gesehen habe, gebe der Festakt Hoffnung. „Das hier ist einer der besten Orte, an denen ich mich in den vergangene­n drei, vier Monaten befunden habe“, sagte Spänle. „Wir brauchen das, was Sie hier tun, dringend.“

Als einer der drei Lehrkräfte, die den Lernzirkel im Jahr 2000 auf Anregung des früheren Landrats Georg Simnacher gestartet haben, stellte Michael Salbaum Zahlen und Fakten vor. 26.546 Grundschul­kinder aus dem Landkreis waren inzwischen dabei, mehr als 2500 Neuntkläss­ler des Dossenberg­er-Gymnasiums haben sie unterricht­et.

Einblicke in die Arbeit des Lernzirkel­s gab es in einer Ausstellun­g, die in der Aula des Gymnasiums aufgebaut war. Robert Strobel, Ichenhause­ns Bürgermeis­ter, eröffnete sie und nannte den Lernzirkel das wichtigste Projekt gegen Rassismus und Antisemiti­smus im Landkreis. „Man muss sich nur die begeistert­en Augen der Viertkläss­ler anschauen, die in der Synagoge und auf dem jüdischen Friedhof lernen. Das ist Antisemiti­smusarbeit in ihrer besten Form.“

Lernzirkel Judentum aus Günzburg hat zahlreiche Preise gewonnen.

 ?? Foto: Heike Schreiber ?? Insgesamt 26.546 Viertkläss­ler aus dem Landkreis haben in 25 Jahren am Lernzirkel Judentum des Dossenberg­er Gymnasiums in der ehemaligen Synagoge teilgenomm­en. Jetzt wurde bei einem Festakt gefeiert.
Foto: Heike Schreiber Insgesamt 26.546 Viertkläss­ler aus dem Landkreis haben in 25 Jahren am Lernzirkel Judentum des Dossenberg­er Gymnasiums in der ehemaligen Synagoge teilgenomm­en. Jetzt wurde bei einem Festakt gefeiert.

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