Lernzirkel Judentum ist wichtiger denn je
Das Projekt des Dossenberger-Gymnasiums Günzburg in der ehemaligen Synagoge Ichenhausen feiert Jubiläum. Festredner warnen vor zunehmendem Hass gegen Juden.
Es ist ein bundesweit einmaliges Projekt, das am Samstag in Günzburg sein Jubiläum feierte. Und es wirkt bei den Grundschülern nach, die jedes Jahr in der ehemaligen Synagoge Ichenhausen zum Lernzirkel Judentum des Dossenberger-Gymnasiums begrüßt werden. Schulleiter Peter Lang las zum Einstieg in den Festabend aus einem Brief einer vierten Klasse vor, der nach dem ersten Lernzirkel vor 25 Jahren beim Dossi angekommen war: Begeisterung und Freude der Kinder klang aus jeder Zeile.
Die Festrednerinnen des Abends machten in ihren Ansprachen deutlich, welche wichtige Arbeit die Neuntklässler jedes Jahr leisten, um den jüngeren Schülerinnen und Schüler jüdischen Leben und jüdischen Glauben nahezubringen. Landrat Hans Reichhart hat den Lernzirkel dieses Jahr aus einer anderen Perspektive erlebt – durch die Augen seines Sohnes, der als Viertklässler dieses Jahr daran teilgenommen hat. Der Landrat sprach vom jüdischen Erbe, auf das der Landkreis stolz sein könne – erinnerte aber auch daran, dass es nach wie vor jüdisches Leben im Landkreis gebe.
Darum sei es nicht nur wichtig davon zu sprechen, was gewesen ist, sondern auch auf die Zukunft zu schauen.
Begeistert zeigte sich Barbara Holzmann, die Vizepräsidentin des Bezirkstags. Als Vertreterin für Präsident Martin Sailer zollte sie den Jugendlichen große Anerkennung für ihren Einsatz, und machte deutlich, wie wichtig dieser gerade heute ist. „In unserem Land wächst der Hass gegen Juden“, so Holzmann. „Diese Entwicklung ist eine Schande und eine Katastrophe.“Der viel bemühte Begriff des „Leuchtturmprojekts“– für den Lernzirkel Judentum in Günzburg sei er angesichts dieser finsteren Lage tatsächlich passend.
„Gehen Sie so nicht raus, Sie bekommen nur Ärger.“Christoph Henzler, langjähriger Schulleiter des Dossenberger-Gymnasiums und heute Ministerialbeauftragter für die Gymnasien in Schwaben, schilderte, wie dieser Satz, ausgesprochen nach einem Besuch in einer Münchener Synagoge, ihn nachhaltig beschäftigte. Henzler hatte die Kippa noch auf, erzählte er, jene Kopfbedeckung, über die auch beim Lernzirkel gesprochen wird und die Männer beim Synagogenbesuch tragen. Damit auf die Straße zu gehen, sei gefährlich, hatten zwei Mitglieder der Gemeinde
gewarnt. „Die beiden Männer meinten es ernst. Und dabei glaubten wir doch, wir hätten es überwunden.“Er wünsche sich, dass jüdischer Glaube und jüdisches Leben als Normalität in unserem Land angesehen werden, so Henzler. Sein Dank galt an diesem Abend den Schülerinnen und Schülern – auch jenen, die im Chor, als Streicherensemble und in der Big Band mit Musik jüdischer Komponisten umrahmten.
Margaretha Hackermeier verwies auf die Preise, die das Projekt bekommen hatte, „wohl verdient“, wie sie betonte. Bereits 2016 hatte das Dossenberger-Gymnasium den Simon-Snopkowski-Preis bekommen, 2019 hatte unsere Redaktion den Lernzirkel mit der Silberdistel der Augsburger Allgemeinen und ihrer Heimatzeitungen geehrt. Im vergangenen Jahr gab es mit dem Staatspreis des Bayerischen Kultusministeriums und dem Verfassungspreis „Jugend für Bayern“gleich zwei hochkarätige Auszeichnungen.
Die Katholische Präsidentin des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für christlichjüdische Zusammenarbeit nannte drei Wünsche für die Zukunft des Projekts: „Erstens: Bitte machen Sie weiter, denn es gibt keine Alternative für die Bildung von Kindern und Jugendlichen im Kampf gegen Antisemitismus.“Zweitens wünsche Sie dem Lernzirkel Fantasie für die weitere Gestaltung, denn gerade der Israel-bezogene Antisemitismus im Land habe zugenommen. „Und drittens: Vernetzen Sie sich. Wir sind viele – lassen Sie uns laut und sichtbar werden“, so Hackermeier. Wie die Zukunft des Lernzirkels aussehen könnte, dazu gab Volker Beck wertvolle Impulse. Der Präsident der Deusch-Israelischen Gesellschaft sprach davon, dass der Blick auf das Judentum allzu oft verstellt sei durch den Blick in die Vergangenheit. Dabei hat jüdisches Leben in Deutschland, auch im Landkreis, auch eine Gegenwart. Sinnvoll sei es, das Judentum aus dem Judentum heraus zu verstehen. „Dieses Projekt kann die Grundlage dafür sein, weiter zu denken und zu forschen.“
Ludwig Spänle, Beauftragter der Bayerischen Staatsregierung für jüdisches Leben und Antisemitismus, sprach die aktuelle Situation an. „Judenhass war nie weg in
Deutschland, und seit dem 7. Oktober 2023 schlägt er uns mit einer riesigen Wucht entgegen.“Bei allem Entsetzen über das, was er auch bei einem Besuch in einem überfallenen Kibbuz gesehen habe, gebe der Festakt Hoffnung. „Das hier ist einer der besten Orte, an denen ich mich in den vergangenen drei, vier Monaten befunden habe“, sagte Spänle. „Wir brauchen das, was Sie hier tun, dringend.“
Als einer der drei Lehrkräfte, die den Lernzirkel im Jahr 2000 auf Anregung des früheren Landrats Georg Simnacher gestartet haben, stellte Michael Salbaum Zahlen und Fakten vor. 26.546 Grundschulkinder aus dem Landkreis waren inzwischen dabei, mehr als 2500 Neuntklässler des Dossenberger-Gymnasiums haben sie unterrichtet.
Einblicke in die Arbeit des Lernzirkels gab es in einer Ausstellung, die in der Aula des Gymnasiums aufgebaut war. Robert Strobel, Ichenhausens Bürgermeister, eröffnete sie und nannte den Lernzirkel das wichtigste Projekt gegen Rassismus und Antisemitismus im Landkreis. „Man muss sich nur die begeisterten Augen der Viertklässler anschauen, die in der Synagoge und auf dem jüdischen Friedhof lernen. Das ist Antisemitismusarbeit in ihrer besten Form.“
Lernzirkel Judentum aus Günzburg hat zahlreiche Preise gewonnen.