Wohnungsnot: Menschen statt Zahlen
In der Region fehlen günstige und kleine Wohnungen für Menschen mit schmalem Geldbeutel. Betroffene erzählen von ihrer Angst, kein Dach mehr über dem Kopf zu haben.
Immer mehr Menschen finden keine geeignete Wohnung und leben auch im Kreis Günzburg im Schatten der Obdachlosigkeit. Die Beraterinnen der Fachstelle Auswege vom Katholischen Verband für soziale Dienste (SKM) betreuen solche Schicksale. Unsere Redaktion stellt drei Betroffene vor, die unter extremen Bedingungen um ihre Existenz kämpfen. Es ist die dramatische Geschichte eines obdachlos gewordenen Architekten, der wegen seiner Wohnungslosigkeit beinahe zu Tode kam, die eines Lageristen, der sogar inoffiziell bei seiner Mutter im Seniorenheim lebte, und die einer Verkäuferin, deren Möbel in der Garage stehen.
Über 30 Jahre lang sei er Architekt gewesen, sagt Walter P., als er über sein Schicksal spricht. Das Drama habe für den 64-Jährigen vor gut zehn Jahren begonnen, als er aufgrund einer chronischen Erkrankung seinen Arbeitsplatz verlor und altersbedingt auch nie mehr einen bekommen habe. Die Ehe ging in die Brüche, das Eigenheim konnte nicht gehalten werden. Für etwa 330 Mietwohnungen habe er sich beworben – bei fehlendem Einkommen hieß das jedes Mal: Fehlanzeige. „Da habe ich die Flucht nach vorne gewagt und 2020 meinen alten Wohnwagen aktiviert und bin mit dem auf einem Campingplatz gelandet“, erzählt er.
Bis November 2021 habe er das durchgestanden, teils bei minus 20 Grad, bis er eines Abends vom Einkaufen „heim“kam und auf dem Campingplatz stürzte. Wegen der Schmerzen konnte er sich nicht mehr rühren, das rettende Handy lag im Wohnwagen. Elf Stunden verbrachte Walter P. auf dem kalten Boden, bis er morgens von einem Handwerker gefunden wurde. Stark unterkühlt und schwer verletzt wurde er in ein Krankenhaus eingeliefert. Dort bekam er Unterstützung und wurde an die Günzburger Wärmestube vermittelt. Heute lebt er in einer Obdachlosenunterkunft: „Ich fühle mich wohl, ich habe es warm und trocken und kann duschen, wann ich will.“
Das Besondere sei, so Lisa Dittrich von der Fachstelle Auswege, dass Walter P. gut verdient habe und scheidungsbedingt durch einen Immobilienverkauf Ersparnisse hatte. Doch ohne Einkommen gab es keine Wohnung. Bergeweise Bürokratie habe er beackert. Architektenkammer,
Landratsämter und Jobcenter, im Grunde wollte sich niemand so richtig zuständig fühlen, erzählt er weiter. Immer wieder habe er Ablehnungsschreiben für Sozialleistungen erhalten. „Er hatte nicht die Kraft, das Ding durchzufechten“, ergänzt Dittrich. Einen vorläufigen Bewilligungsbescheid für die Überbrückungszeit habe er nicht bekommen. Sein Erspartes ist aufgebraucht. Jetzt bekomme er monatlich 563 Euro vom Amt. Eine eigene Wohnung in Aussicht habe er derzeit nicht.
Volker W. aus dem südlichen Landkreis ist dagegen froh, dass er seit zwei Jahren in einer Sozialwohnung mit Berechtigungsschein leben kann. Als Lagerist kann der 57-Jährige aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr arbeiten. Im September des vergangenen Jahres wurden ihm vom neuen Vermieter die Nebenkosten drastisch erhöht. Das Jobcenter achtet darauf, so Volker W., dass die Mietkosten und die Größe der Unterkunft bestimmte Richtwerte nicht überschreiten. Sind die Kosten der Wohnung nicht mehr angemessen, müssen diese gesenkt werden. Ein halbes Jahr habe er Zeit bekommen, sich eine günstigere Wohnung zu suchen. „Eine noch billigere Wohnung zu finden, das gibt es nicht. Der Markt ist leer gefegt“, sagt er.
Ein Besitzerwechsel werde oft als Grund hergenommen, um Mieten zu erhöhen, wenn es nicht schon zur Eigenbedarfskündigung kommt, berichtet Dittrich. Für Volker W. bedeutet das konkret: Die Sozialleistungen decken die Kosten für seine 53-Quadratmeter große Altbauwohnung nicht mehr. Allein die Nebenkosten in Höhe von 150 Euro haben sich auf inzwischen 268 Euro erhöht. Die Differenz müsse er dann künftig selber aufbringen. Er bezieht Bürgergeld und verdient zusätzlich mit einem Minijob 160 Euro hinzu. Zum Leben blieben ihm monatlich noch 182 Euro. „Da muss ich drastisch am Essen sparen, damit ich die Wohnung halten kann.“Würde er die Wohnung verlieren, drohe ihm erneut die Obdachlosigkeit. Diese Erfahrung habe er schon einmal machen müssen. Ein dreiviertel Jahr lebte er ohne eigenen Wohnraum. Damals fand er sogar für einige Wochen im Seniorenheim bei seiner Mutter Unterschlupf, erzählt er. „Was grundsätzlich gar nicht möglich ist, was aber dann in der Praxis geduldet wird, ist oft zweierlei“, bestätigt Dittrich, die ihn dann damals in der Wärmestube unterbrachte.
„Frau Dittrich war mein rettender Engel“, sagt Theresa T. und freut sich über ein Einzimmerapartment, in das die 63-jährige Rentnerin vor wenigen Tagen einziehen durfte. Vorher lebte sie mit der Familie in einem Mehrgenerationenhaus, bis diese umziehen musste. Die Rentnerin, die als Verkäuferin arbeitete, habe ein halbes Jahr wie eine Besessene nach einer Wohnung gesucht. Sie beziehe keine Sozialleistungen und konnte belegen, nie Mietschulden gehabt zu haben, sagt Dittrich. Trotzdem bekam sie in 80 Prozent aller Fälle nicht mal eine Antwort. Ihre Rente in Höhe von 1000 Euro wolle sie durch einen Nebenjob aufbessern. Ihr neuer Vermieter wollte vor Einzug die Kaution haben, merkt Dittrich an. Theresa T. hatte alles zusammengekratzt. Um den fehlenden Restbetrag zu bekommen, hatte Dittrich innerhalb von zwei Stunden einen Spender gewinnen können. „Mir ist ein Felsbrocken vom Herz gefallen, sonst würde ich jetzt auf der Straße sitzen“, sagt die Rentnerin. Eine Garage habe sie noch für 50 Euro monatlich dazugemietet, damit sie dort ihre Möbel unterbekomme.