Die kleine Schwester gibt im Torlauf die Richtung vor
Der 14-jährige Emil Kollek holt bei seinen ersten bayerischen Special-Olympics-Winterspielen zwei Silbermedaillen. Wie er zum Skifahren gekommen ist – und welch zentrale Rolle die zehnjährige Ida für ihn auf der Piste einnimmt.
Er war gerade mal drei Jahre alt, da stand Emil Kollek zum ersten Mal auf Skiern. Für Kinder in diesen jungen Jahren kein ganz leichtes Unterfangen, müssen doch komplexe Bewegungsabläufe erlernt werden. Für Emil war es doppelt schwer. Er ist mit einem Gendefekt auf die Welt gekommen und geistig beeinträchtigt. Jetzt hat der inzwischen 14-Jährige allen bewiesen, dass er trotz seiner Krankheit erfolgreich Ski fahren kann. Der Teenager, der vor sechs Jahren mit seiner Familie von München nach Ichenhausen gezogen ist, hat auf bayerischer Ebene bei den Special-Olympics-Winterspielen in Bad Tölz zwei Silbermedaillen im Super G und im Riesenslalom gewonnen. Tatkräftige Unterstützung hat er dabei von seiner jüngeren Schwester Ida erhalten.
Am Skifahren gab es quasi kein Vorbeikommen für Emil und Ida. Ihre Mama Verena ist auf den zwei Brettern groß geworden, ihre Begeisterung dafür wollte sie ihren Kindern unbedingt weitergeben. Je früher sie damit anfingen, umso besser und umso einfacher würden sie es erlernen, dachte sie sich. Leicht habe sich Emil mit seiner geistigen Beeinträchtigung nicht getan, aber er habe Gefallen daran gefunden. Bei den ersten Schneeflocken im Winter ging es auf die Piste, Jahr für Jahr. In Begleitung von Mama oder auch Oma.
Seit die Familie ihre Heimat nach Ichenhausen verlegt hat, um Emil den Schulbesuch in Ursberg zu ermöglichen, gestaltete sich das Skifahren jedoch zusehends schwieriger. „Eine integrative Gruppe gibt es hier leider nicht“, bedauert Verena Kollek. An Kinder mit einer geistigen Beeinträchtigung
werde bei vielen Dingen, auch im Sportbereich, nicht gedacht.
2022 meldete sie Emil nicht nur als Mitglied bei Special Olympics Bayern an, einer überregionalen
Sportorganisation für Menschen mit geistiger Behinderung, sondern auch gleich noch als Teilnehmer für die Winterspiele in Bad Tölz. Um Emil den ersten Wettbewerb seines Lebens möglichst
leicht zu machen, wurde die vier Jahre jüngere Schwester Ida mit auf die Starterliste gesetzt. Durchaus nicht unüblich, dass bei diesen besonderen Spielen die beeinträchtigten Sportler von gesunden
Athleten begleitet werden. Ida Kollek hat da gerne mitgespielt. Dass sie eine der jüngsten Akteure überhaupt war, störte sie nicht.
Außerdem hatte die Aktion, wie es Papa Hartmut ausdrückt, den „positiven Nebeneffekt“, dass es eine Woche schulfrei gab. Denn genauso lange dauerten die Winterspiele, die wie bei den Paralympics mit einer großen Feier für Hunderte von Athleten eröffnet wurden. „Es wurde sogar ein Feuer entzündet, das war schon beeindruckend“, erzählt Verena Kollek, die das Geschwisterpaar als „Headcoach“begleitete.
Auf ersten Trainingsfahrten wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nach ihrem Leistungsstand, nicht nach Alter, in entsprechende Gruppen eingeteilt. Emil Kollek und seine Schwester traten im Super G und im Riesentorlauf gegen ein zweites Geschwisterpaar an. Die Zehnjährige ging kurz vor ihrem Bruder auf die Strecke und gab ihm die Richtung vor, damit er ja kein Tor verpasste. Zweimal schafften sie Platz zwei und freuten sich über die Silbermedaillen, die zu Musik und unter dem Jubel anderer Teilnehmer überreicht wurden.
Doch die Platzierung sei am Ende zweitrangig gewesen. „Es war einfach ein tolles Erlebnis“, findet Mama Verena. Ida fand es ebenfalls „ganz gut“. Auf jeden Fall hat sie Gefallen an Wettkämpfen gefunden und trat umgehend für die Skiabteilung des SC Ichenhausen an.
Sollte ihr Bruder bei den nächsten Winterspielen wieder an den Start gehen, würde sie ihn selbstverständlich erneut begleiten. Aber vielleicht schafft er die Strecke dann ja auch ohne die jüngere Schwester und sie muss ihn nur anfeuern.