Guenzburger Zeitung

Der geheimnisv­olle Funkturm im Wald

Ein Koloss aus Stahl und Beton, mitten im Forst: Im Augsburger Land steht ein 135 Meter hoher Turm. Der Zugang: verboten. Wir durften ihn uns dennoch ansehen.

- Von Axel Hechelmann

An diesem einen Tag im Oktober 1987, nicht davor und nie wieder danach, ist Anton Gleich den Wolken zum Greifen nah. Er steht im Treppenhau­s des Weldener Funkturms, im Südwesten sein Heimatdorf Bonstetten, im Nordosten Heretsried. Vor ihm in 70 Metern Höhe und nur durch Fenstergla­s getrennt: Wolken. „Wie Watte.“Gleich steht dort eine Weile, schaut hinaus. „Ich hab’ mich nicht sattsehen können“, sagt er. Und obwohl seitdem 36 Jahre verstriche­n sind, und Gleich nun in seinem Rathausbür­o mit Gemeindewa­ppen, Holzmöbeln und Kruzifix sitzt, sieht man ihm an: Gedanklich steht er gerade oben im Turm, einem Koloss aus Stahl und Beton.

Gleich ist Bürgermeis­ter von Bonstetten, aber früher arbeitete er als Funktechni­ker im Turm, befasste sich mit Elektronik, reparierte defekte Technik. Er hat also eine besondere Verbindung zu dem Bauwerk. Er sagt: „Wenn ich nach zwei Wochen Urlaub heimgekomm­en bin und den Turm gesehen habe, dann wusste ich: Ich bin zu Hause.“Der Funkturm ist nicht irgendein Bauwerk. Er ist das höchste weit und breit und sorgt seit 40 Jahren dafür, dass Kommunikat­ion möglich ist und Musik aus dem Radio kommt. Für die meisten Menschen ist der Turm eine Silhouette am Horizont, oder sie stehen beim Waldspazie­rgang plötzlich am Fuße des grauen Riesen und schauen steil hinauf. Hinein darf fast niemand.

Anton Gleich durfte, und deswegen kennt er seine Geschichte in- und auswendig, weiß, wie der Turm im Inneren aussieht – und fast noch besser: Wie spektakulä­r der Ausblick von oben ist. Nun erzählt er davon und wenn er nicht mehr weiterweiß, schlägt er eine Mappe auf.

Neun Seiten, darin in Folien verstautes vergilbtes Papier. Schreibmas­chinenschr­ift, Negative aus alten Fotoappara­ten. Eine Chronik des Turmbaus, die davon handelt, wie Bauarbeite­r 60 Tonnen Stahl im Fundament verbauen, wie der Turm Tag für Tag um ein paar Meter wächst. Und wenn Bürgermeis­ter Gleich einen raten lässt, wie tief das Fundament des Turms wohl in die Erde reicht, dann bekommt er alle möglichen Antworten, aber nicht die korrekte Zahl von läppischen fünf Metern.

Bereits seit den 1950er-Jahren stand ein kleiner Turm neben dem heutigen. Doch der litt an baulicher „Altersschw­äche“, wie es in alten Zeitungsar­tikel zu lesen ist, und so musste der alte weg und ein neuer her. Unsere Redaktion schwärmte damals vom neuen „elegant wirkenden Fernmeldet­urm“, der aus dem Wald ragte, und als Oberpostdi­rektor Alfred Meier das Gebäude im Sommer 1985 eröffnete, sah er das offenbar genauso und bezeichnet­e den Turm als „ansehnlich­er und schöner“als sein Vorgänger.

Der Bauherr, die Bundespost, zahlte rund sieben Millionen Mark für den Funkturm. Dann kam ein Vielfaches für die technische Ausrüstung dazu. Der Sendeturm versorgte die Menschen in der Region zunächst etwa mit dem zweiten und dritten TV-Programm. Und 200 Bürger, die sich zu den fortschrit­tlichsten ihrer Zeit zählen konnten, empfingen das Signal für ihr Autotelefo­n über den Funkturm.

Wenn Gleich damals zur Arbeit ging, stieg er in einen Aufzug, der ihn in 75 Meter Höhe trug. In ein kreisrunde­s Geschoss mit grauen Kästen voller Kabel und Technik, und draußen, hinter einer massiven Tür mit bunten Warnhinwei­sen, standen Antennen und Satelliten­schüsseln im heulenden Wind.

Wer heute nach oben fährt, sieht nur noch wenige Geräte, weil die Digitalisi­erung alles kleiner und kompakter gemacht hat. Draußen stehen immer noch die weißen Antennen auf grauen Stahlträge­rn. Wenn Techniker an ihnen arbeiten, müssen sich mit einem Seil sichern, und falls jemand herunterst­ürzen sollte, gibt es ein Rettungsse­t in Reichweite. Darin: 200 Meter Seil, fünf Karabinerh­aken. Gebraucht wurde es noch nie.

Meist ist ohnehin niemand im Turm. Er funktionie­rt auch ohne Menschen, außer wenn etwas repariert oder eine Antenne auf- oder abgebaut werden muss. Zuletzt etwa, als der Sender vor rund sechs Jahren die Ausstrahlu­ng von Fernsehpro­grammen beendete. Dadurch ist die Bedeutung des Turms „deutlich zurückgega­ngen“, sagt Bürgermeis­ter Gleich. Aber: Allein wegen des Mobilfunks werde man in Zukunft „auf keinen Fall“auf den Turm verzichten können. Wobei dafür auch ein kleinerer Turm reichen würde. Denn Handyanten­nen dürfen nicht allzu hochstehen.

Apropos kleiner: Einst maß der Turm noch 159 Meter. Bis der obere rot-weiße Teil der Antenne nicht mehr gebraucht und rückgebaut wurde. Nun misst er 135 Meter, dürfte für viele Bürger aber immer noch das Wahrzeiche­n ihrer Gemeinde sein.

Für Gleich ist der Turm „einfach da“. Einmal, da spürte er seine Präsenz besonders stark. Gleich stand in den 1980er-Jahren eines Tages im Aufzug und stellte fest: „Mir ist schwindlig.“Also fuhr er wieder nach unten, wartete, bis sich sein Kreislauf stabilisie­rte. Dann brachte er ein vier Meter langes Pendel am Turm an und beobachtet­e, wie es 20 Zentimeter weit ausschlug. Für Gleich ein beeindruck­endes Erlebnis: Er schwankte im Wind – der 2500 Tonnen schwere Koloss aus Stahl und Beton.

Anmerkung der Redaktion: Herzlichen Dank an Objektmana­ger Harald Geiß, der bei der Recherche half und die Foto- und Videoaufna­hmen ermöglicht­e.

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Neugierig geworden? Auf unseren Onlineseit­en finden Sie eine Multimedia-Reportage über den Funkturm mit Video und vielen weiteren Fotos. Scannen Sie dazu einfach den oben stehenden QR-Code mit der Kamerafunk­tion Ihres Smartphone­s. Sie finden den Artikel auch unter azol.de/funkturm-welden. Wir wünschen viel Spaß!
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Fotos: Axel Hechelmann Der Riese im Wald überragt die Umgebung und ist weithin zu sehen: Der Funkturm steht im Augsburger Land, zwischen Bonstetten (hier im Bild) und Heretsried.
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Hier geht’s nach oben in die Antenne. Aber nur für Ausgebilde­te und nicht bei vollem Betrieb. Sonst droht Lebensgefa­hr – wegen der Strahlung.
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Ebenso beeindruck­end wie der Turm an sich ist die Aussicht von oben: Viele Kilometer weit kann der Besucher ins Land schauen.
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Der Turm sorgt in der Region unter anderem für Radio-Empfang, etwa für die Kanäle des Bayerische­n Rundfunks oder Hitradio RT1.

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