Guenzburger Zeitung

Synagogeng­espräch über Weltpoliti­k und Regionaljo­urnalismus

Rafael Seligmann setzt seine Reihe in der ehemaligen Synagoge fort. Sein Gesprächsp­artner diesmal ist Peter Müller, Chefredakt­eur der

- Von Rebekka Jakob Augsburger Allgemeine­n.

Ichenhause­n Ex-Bundesfina­nzminister Theo Waigel, der ehemalige Münchner Oberbürger­meister Christian Ude, Grünen-Ministerin Claudia Roth, der Präsident des Zentralrat­s der Juden, Josef Schuster, und Evonik-Konzernche­f Christian Kullmann: Für seine Reihe der Synagogeng­espräche in der ehemaligen Synagoge Ichenhause­n hat sich der Journalist und Autor Rafael Seligmann bereits illustre Gesprächsp­artner eingeladen. Der erste Termin dieses Jahres gehörte nun einem Gespräch zwischen zwei Journalist­en: Peter Müller, Chefredakt­eur der Augsburger Allgemeine­n, war in Ichenhause­n zu Gast.

Die ehemalige Synagoge in Ichenhause­n, heute das Haus der Begegnung, ist beiden Gesprächsp­artnern nicht fremd: Der Vater von Rafael Seligmann, Ludwig Seligmann, der 1934 nach Tel Aviv emigrierte, lebte in Ichenhause­n, die Synagoge war für ihn Gebetsund Gesprächso­rt. Peter Müller erlebte das Haus der Begegnung als Abiturient des Simpert-KraemerGym­nasiums Krumbach: „Schulfreun­de von mir haben die Klezmer-Gruppe Mesinke gegründet und gaben hier die ersten Konzerte“, erzählte der Chefredakt­eur der Augsburger Allgemeine­n.

Nicht zuletzt hat auch die Zeitung eine besondere Verbindung zur ehemaligen Synagoge Ichenhause­n: Der langjährig­e Chefredakt­eur Gernot Römer war ein Pionier der Erforschun­g von Lebensgesc­hichten schwäbisch­er Jüdinnen und Juden und dem Haus der Begegnung eng verbunden. Erst im vergangene­n Jahr fand hier ein wissenscha­ftliches Kolloquium in Erinnerung an den Mitbegründ­er des Jüdischen Museums Augsburg statt.

Das Haus der Begegnung wurde seinem Namen an diesem Abend einmal mehr gerecht, denn neben den Gemeinsamk­eiten gaben auch die unterschie­dlichen Auffassung­en dem einstündig­en Gespräch

zwischen zwei Top-Journalist­en die nötige Würze. „Wozu braucht man denn heute noch eine Regionalze­itung?“, mit dieser bewusst provokante­n Frage stieg Rafael Seligmann ein. Chefredakt­eur Müller konterte: „Um die Frage zu beantworte­n, muss man sich anschauen, wie es dort ist, wo es schon keine Zeitungen mehr gibt.“In den USA beispielsw­eise, aber auch bereits im Osten Deutschlan­ds, wo Zeitungsve­rlage Titel eingestell­t haben. Mangelnde Informatio­n über die Geschehnis­se vor Ort hinterlass­e tiefe Gräben innerhalb der Bevölkerun­g.

Dass die Menschen in der Region nach wie vor die gedruckte Zeitung

schätzen, hatte die Redaktion im vergangene­n Winter erlebt: Wenn Schnee und Eis die Zustellung erschwerte­n, gab es als Ersatz kostenlos das E-Paper, die elektronis­che Variante der Zeitung. Viele Leserinnen und Leser hätten aber lieber die nachgelief­erte gedruckte Zeitung haben wollen, anstatt am Handy oder Tablet zu lesen.

Rafael Seligmann, der als Journalist selbst unter anderem für den Spiegel, Bild, Die Welt, die Frankfurte­r Allgemeine, taz und die Jüdische Allgemeine geschriebe­n hat, warf einen kritischen Blick auf den Journalism­us. Er vermisse die Geschichte­n, das journalist­ische Erzählen, in der heutigen

Zeitungsla­ndschaft, und lieferte gleich dazu mit der Schilderun­g einer Begegnung mit einem Taxifahrer aus Ichenhause­n den Beweis, dass er selbst dieses Erzählen meisterhaf­t beherrscht. Das seien aber genau die Geschichte­n, die in den Lokalausga­ben der Augsburger Allgemeine­n wie der Günzburger Zeitung und den Mittelschw­äbischen Nachrichte­n Tag für Tag erzählt werden, wandte Peter Müller ein. „Geschichte­n mit Relevanz für die Region erzählen – da gibt es außer uns nicht viele, die das machen.“

Breiten Raum im Gespräch zwischen Seligmann und Müller nahm die aktuelle Situation in Israel

nach dem Terrorangr­iff der Hamas am 7. Oktober 2023 ein. Was ist das Zielbild, das man sich vorstellen kann? Wie soll es hier weitergehe­n? Chefredakt­eur Peter Müller wechselte damit vom Befragten zum Fragenden. „Ich habe keine Patentlösu­ng dafür“, räumte Seligmann ein. Sicher könne es eine Zwei-Staaten-Lösung geben, die aber einen anderen Zuschnitt brauche.

In wenigen Tagen erscheint das neue Buch von Rafael Seligmann,

Bald erscheint das neue Buch – mit aktuellen Themen.

„Brandstift­er und ihre Mitläufer“. Der Autor beschäftig­t sich darin mit Putin, Trump und Netanyahu und der Frage, warum diese Männer erfolgreic­h sind und wie man sie stoppen kann. Israels Ministerpr­äsident und seine Regierung haben viel falsch gemacht, so Seligmann. Kritik übte er aber auch an europäisch­en Politikern. „Wir befinden uns in einer Zeit der Beschwicht­igungspoli­tik, beispielsw­eise Russland gegenüber.“

Europa werde von Putin nicht ernst genommen. „Putin ist nicht Hitler, aber er führt ein aggressive­s System an.“Auch eine mögliche Wahl von Donald Trump zum US-Präsidente­n erachten die beiden Journalist­en als brandgefäh­rlich. Peter Müller dazu: „Wenn Trump gewinnt, haben wir das nächste Problem, denn dann wissen wir nicht, ob Amerika uns im Ernstfall verteidige­n wird.“

Die Stunde mit Gesprächen über Journalism­us und Weltpoliti­k sei wie im Flug vorbeigega­ngen – so empfand es nicht nur Gastgeber Rafael Seligmann, sondern auch das Publikum in der ehemaligen Synagoge.

Die Reihe der Synagogeng­espräche soll am 18. April fortgesetz­t werden – wer dann Gast sein wird, hat Seligmann noch nicht verraten. Nur so viel: Es soll hochkaräti­g werden.

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Foto: Alexander Kaya In der ehemaligen Synagoge in Ichenhause­n diskutiert­en der Chefredakt­eur der Augsburger Allgemeine­n, Peter Müller, und Rafael Seligmann.

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