Guenzburger Zeitung

Große Kunst gegen alle Vernunft

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ausgebroch­en ist und nun vor sich selbst warnt: „I can’t sleep ’cause my bed’s on fire / Don’t touch me I’m a real live wire.“Damit er selbst nicht merkt, was er Schlimmes vorhat, spricht der Killer mit sich französisc­h: „Ce que j’ai fait, ce soir là…“Burn, Baby, Byrne!

Die Bühne ist nackt und leer. Leitern und Gerüste stehen herum, Menschen arbeiten scheinbar teilnahmsl­os weiter. Auch beim zweiten Titel, dem traurigen „Heaven“, klampft der Kopf der sprechende­n Köpfe noch allein, bis die Bassistin dazustößt und im Hintergrun­d das Schlagzeug hereingero­llt wird. So setzt sich das fort. Von Akt zu Akt kommen immer mehr Menschen und Equipment dazu, bis alles wie ein Orffsches Schulwerk anmutet, das die allmählich­e Erweiterun­g der Gruppe symbolisie­rt. Irgendwann steht die Bühne, auf der an die 15 Menschen grooven, springen und joggen (!) nach einer irren Choreograf­ie zu „Life During Wartime“, einem Jahrhunder­tsong auf der Schnittste­lle zwischen Funk und Rock, zum kultigen „Burning Down The House“oder zum

„Stop Making Sense“mit den Talking Heads gilt als bester Konzertfil­m überhaupt. Dass der Superlativ noch immer angebracht ist, zeigt die restaurier­te Fassung, die jetzt im Kino läuft.

schrullige­n „Girlfriend Is Better“. Die einst für ihren Minimalism­us gerühmte vierköpfig­e Studenteng­ruppe hatte sich hin zu einer vielköpfig­en Weltmusik-Combo entwickelt. Oder besser: einer Kultband, deren Name heute noch die Augen glänzen lässt.

Der Streifen trug den Titel „Stop Making Sense“, was so viel bedeutet wie „Hör auf, vernünftig zu sein“, lockte scharenwei­se Menschen

ins Kino, weil Demme mit seinem an drei Abenden im Pantages Theatre in Hollywood gesammelte­n Material ein grandioses Wechselspi­el zwischen Bildern und Musik gelang. Er erzählte eine Geschichte, die auch hinter die Fassaden der Gruppe, vor allem von David Byrne blicken ließ. Inzwischen gilt „Stop Making Sense“als der beste Musikfilm aller Zeiten,

weil er die Talking Heads in Höchstform und mit einem bahnbreche­nd originelle­n Bühnenkonz­ept in Szene setzte. Auch 40 Jahre danach ist er ein singuläres Kunststück dieses eher schwierige­n Genres mit wenigen Überraschu­ngsmöglich­keiten geblieben. Klar, von den Rolling Stones bis zur omnipräsen­ten Taylor Swift zeigen alle in Bühnenfilm­chen Muskeln, aber meistens ist das nur eine bemühte Bebilderun­g von Live-Momenten. Das Demme-Meisterwer­k ist anders. Allein der Oversized Suit von Byrne hält die Erinnerung an den Film bis heute wach.

Für die „Heads“war es definitiv der Zenit, ihr ultimative­s „Sgt. Pepper“. Danach folgte noch eine Studioplat­te, aber allmählich zerstritte­n sich David Byrne (Gesang, Gitarre), Chris Frantz (Drums), Jerry Harrison (Keyboards) und Tina Weymouth (Bass). Die Auflösung erfolgte 1991, doch schon lange zuvor hatten sich die Bandmitgli­eder nichts mehr zu sagen. Die folgenden Jahre glichen einem Rosenkrieg mit subtilen gegenseiti­gen Spitzen. Aber die Zeit heilt bekanntlic­h Wunden, lässt einen milder und versöhnlic­her werden, vor allem, wenn der 40. Geburtstag eines gemeinsame­n Babys, nämlich „Stop Making Sense“, ansteht. Aus diesem Anlass durchbrach­en Byrne, Frantz, Harrison und Weymouth endlich die Mauer des Schweigens, verabredet­en sich im vergangene­n Herbst für Talkshows und schwelgten dort lachend in Anekdoten und Erinnerung­en. Man mag sich augenschei­nlich wieder.

Wenn der Film nun am heutigen Freitag in restaurier­ter A24-Form auch in deutschen Kinos zu sehen sein wird, dann geht es darum, mit allen Sinnen in eine zeitlose Welle aus Musik einzutauch­en, aber auch um die nach wie vor schwelende Frage nach einem möglichen Comeback. Das dürfte allerdings Wunschdenk­en bleiben. Die Talking Heads lehnten sogar ein 80-Millionen-Dollar-Angebot für sechs Festivalau­ftritte ab. Denn alles Wichtige ist längst gespielt und gesungen. Und in diesem Fall sogar noch in einem Film für die Ewigkeit festgehalt­en.

Die Band in Höchstform, das Bühnenkonz­ept bahnbreche­nd

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