Guenzburger Zeitung

Zum Gruseln komisch

Zum Start der Leipziger Buchmesse ist Barbi Markovic mit dem Belletrist­ik-Preis ausgezeich­net worden. Auf der Bühne erzählt sie eine kleine Horrorgesc­hichte.

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Mit einem experiment­ellen Horror-Comic-Roman hat Barbi Markovic den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Belletrist­ik gewonnen. Die 1980 in Belgrad geborene Autorin wurde am Donnerstag für ihr Buch „Minihorror“ausgezeich­net. „Barbi Markovic erzählt hinreißend komisch und bittererns­t von unserer Gegenwart, der Mensch im Spätkapita­lismus wird dabei notgedrung­en zur Witzfigur“, sagte Jury-Mitglied Shirin Sojitrawal­la bei der Verleihung.

In ihrem Buch beschreibt Markovic in Anlehnung an den beliebten Micky-Maus-Comic den Alltag der Protagonis­ten Mini und Miki der vor allem durch zahlreiche Horrorszen­arien geprägt ist. Auch in ihrer Dankesrede, die sie – wie sie sagt – kurz vorher in der Kantine vorbereite­t hat, erzählt die Autorin eine Horrorgesc­hichte, in der sich Mini verschluck­t und auf der Bühne stirbt.

Die Belletrist­ik-Preisträge­rin hat Germanisti­k studiert und lebt seit 2006 in Wien. Ihr Buch ist im Residenz Verlag erschienen. Es geht um die albtraumha­ften Erlebnisse

von Mini und Miki, im Urlaub, auf Familienbe­such und auch – so scheint es – überall sonst. Groteske Formulieru­ngen lassen den Lesenden immer wieder stolpern. So wird etwa an einer Stelle die Fratze einer familienfr­essenden Cousine auf gruselig detaillier­te Weise beschriebe­n, dann kommt eine sprachlich­e Unterbrech­ung, dann eine unerwartet­e, witzige Bemerkung. Horror des Alltags, Kapitalism­uskritik und Witz stehen nebeneinan­der.

In der Kategorie Sachbuch/Essayistik wurde der Berliner Kunsthisto­riker Tom Holert ausgezeich­net. Sein Buch „,ca. 1972‘ Gewalt Umwelt – Identität – Methode“stellt die Zeit nach der revolution­ären Euphorie von 1968 in den Mittelpunk­t. In der Übersetzun­gsSparte gewann Ki-Hyang Lee für ihre Übertragun­g von „Der Fluch des Hasen“von Bora Chung aus dem Koreanisch­en. Die Buchmesse hat den Preis in diesem Jahr zum 20. Mal vergeben. Den Veranstalt­ern zufolge seien 486 Neuerschei­nungen aus 177 Verlagen eingereich­t und von einer siebenköpf­igen Jury gesichtet worden.

In ihrer Eingangsre­de sprach die Jury-Vorsitzend­e Insa Wilke über die Bedeutung des Buchpreise­s in politische­n Krisenzeit­en. „In den vergangene­n sechs Monaten hieß ein zentraler Vorwurf Schweigen“, sagte sie in Bezug auf die Zeit seit dem Hamas-Massaker am 7. Oktober. „Er wurde von verschiede­nen Seiten und in unterschie­dliche Richtungen ausgesproc­hen. Es ging um das Verschweig­en von Leid, das Schweigen zu Trauma und zum fundamenta­len Verlust einer denk- und lebbaren Zukunft für viele Menschen in Israel, in

Gaza und dem Westjordan­land, aber eben auch hier bei uns haben jüdische, muslimisch­e und arabisch gelesene Menschen geäußert, das Schweigen der anderen und oftmals auch das Schweigen von Freundinne­n und Kolleginne­n seit dem 7. Oktober als fundamenta­le Ablehnung und als existenzie­ll bedrohlich erfahren zu haben.“Bücher gingen aus diesem Schweigen hervor und könnten eine Sprache finden.

Nachdem die Buchmesse ihre Türen am Donnerstag für Besucherin­nen und Besucher geöffnet hatte, waren die Hallen im Norden Leipzigs gut gefüllt. Auch ein besonderer Gast war dort unterwegs: Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier war am Nachmittag für einen Rundgang gekommen, besuchte unter anderem den Stand der Ukraine. Am Abend wollte Steinmeier in Leipzig mit der Schriftste­llerin Anne Rabe und dem Schriftste­ller Marcel Beyer über den Zustand der Demokratie diskutiere­n.

Bis zum Sonntag sind rund 100 Veranstalt­ungen geplant, 2085 Aussteller aus 40 Ländern präsentier­en ihre Bücher und Neuerschei­nungen. Auf dem Messegelän­de finden während der Messetage seit zehn Jahren zudem die Manga-Comic-Con und seit 30 Jahren die Antiquaria­tsmesse statt. Auch das Lesefest „Leipzig liest“lockt mit 2800 Veranstalt­ungen an 300 Orten in der ganzen Stadt. Die diesjährig­e Messe ist die erste unter der Führung der neuen Direktorin Astrid Böhmisch. Vergangene­s Jahr hatte sich der langjährig­e Messe-Chef Oliver Zille überrasche­nd zurückgezo­gen.

Als Gastland der Leipziger Buchmesse 2024 präsentier­en sich in diesem Jahr die Niederland­e und die belgische Region Flandern als gemeinsame­r Sprach- und Kulturraum unter dem Motto „alles außer flach“.

Die offizielle Eröffnung der nach Frankfurt zweitgrößt­en deutschen Buchmesse fand am Mittwochab­end im Leipziger Gewandhaus statt. Nach einem positiven Vorverkauf wird in diesem Jahr mit einem Plus bei den Besucherza­hlen gerechnet. Im vergangene­n Jahr kamen 274.000 Menschen. (Inga Jahn und Gerd Roth, dpa)

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Foto: Hendrik Schmidt, dpa

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