Hamburger Morgenpost

Kurz vor dem Gespräch mit der MOPO erfuhr Shanna Nemzowa, dass ihr enger Vertrauter wohl vergiftet wurde

- Von CHRISTIAN WIERMER

Berlin – Nachmittag­s auf der Dachterras­se des AllianzFor­ums neben dem Brandenbur­ger Tor. Am Abend soll Schanna Nemzowa (30) im Foyer vor 500 Gästen die „Rede der Freiheit“halten. Die Tochter des ermordeten Putin-Gegners Boris Nemzow (55) ist aufgewühlt, greift während des Treffens mit der MOPO immer wieder zu ihrem Smartphone, bittet darum, sich für einen Moment zurückzieh­en zu können. Doch nicht der Auftritt, den die Friedrich-Naumann-Stiftung eingefädel­t hat, macht sie nervös, sondern die Nachricht, die sie kurz zuvor aus Russland erhalten hat …

Ihr enger Vertrauter, Vladimir Kara-Murza (33), einer der führenden russischen Opposition­ellen, ist Stunden zuvor in eine Moskauer Klinik eingeliefe­rt worden – plötzliche­s Nierenvers­agen, Verdacht auf Vergiftung!

Ein neuer Anschlag auf einen Regimekrit­iker? Es ist eine schockiere­nde Nachricht, die Schanna Nemzowa ins Gesicht geschriebe­n steht. Kara-Murza war nicht nur ein Weggefährt­e ihres Vaters; er macht auch mit ihr gemeinsame Sache gegen Putin. Zuletzt arbeitete er an einem großen Enthüllung­sreport über die russischen Truppen in der Ukraine. Auch an der „Rede zur Freiheit“hat der TV-Journalist und Polit-Aktivist noch vor wenigen Tagen mitgeschri­eben. Genauso wie Igor Eidman (46), ein Cousin ihres Vaters, den Schanna Nemzowa „Onkel“nennt. Eidman ist ebenfalls ein scharfer Kreml-Kritiker, 2011 verließ er Russland und lebt seither in Leipzig. Sein FacebookAc­count sei gerade gehackt worden, berichtet Schanna Nemzowa beim Treffen.

Kann das Zufall sein? Oder soll die mutige NemzowToch­ter eingeschüc­htert werden? Soll verhindert werden, was nicht verhindert wird? Nämlich dass sie klare Worte findet wie diese hier: „Der Kreml führt einen Informatio­nskrieg gegen die russische Opposition.“

„Natürlich bin ich nicht ohne Angst“, sagt sie. „Im Moment ist vieles unvorherse­hbar. Es kann eine Dynamik geben, die auch für mich eine Gefahr darstellt. Aber was soll ich tun?“Auf einen Personensc­hutz bei ihrem Besuch in Deutschlan­d hat sie ausdrückli­ch verzichtet. „Auch in Moskau bewege ich mich ohne Bodyguards, fahre Metro, gehe in Restaurant­s“, sagt sie. Mutig? „Es ist egal, wie man es nennt. Ich mache nur, was auch mein Vater getan hat. Ich spreche aus, was ich denke.“

Am Abend erhält Schanna Nemzowa die Nachricht, die sie für einen Moment aufatmen lässt. Der Gesundheit­szustand ihres Freundes Vladimir Kara-Murza sei zwar weiter ernst, aber stabil. Die Hintergrün­de bleiben weiter unklar.

Ein Porträt über die mutige Putin- Gegnerin lesen Sie in der MOPO am Sonntag.

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Auf der Dachterras­se des Allianz- Forums sprach MOPO- Reporter Christian Wiermer mit Schanna Nemzowa.
 ??  ?? Vladimir Kara- Murza ( l.) und Boris Nemzow gemeinsam bei einer Anti- Korruption­s- Konferenz im Januar 2014
Vladimir Kara- Murza ( l.) und Boris Nemzow gemeinsam bei einer Anti- Korruption­s- Konferenz im Januar 2014
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