Hamburger Morgenpost

Waltershof – unsere un

Mein Wohnzimme Nach Flut-Katastroph­en wurde das Dorf-Idyll zum Industrie-Standort: Ehemalige Bewohner erinnern sich

- Von NINA GESSNER

Dort, wo einmal sein Elternhaus stand, stapeln sich heute die Container. Dort, wo Detlef Baade einst über grüne Wiesen flitzte, ist heute nur Beton. Detlef Baade ist Waltershof­er – eine Gemeinscha­ft, die es heute nicht mehr gibt. Doch die wenigen Überlebend­en dieses einstigen Hamburger Stadtteils, der in den beiden Sturmflute­n versank, halten fest zusammen. Ein Mal im Jahr treffen sie sich im Seemannscl­ub „Duckdalben“– so wie letztes Wochenende.

Manche haben alte Fotos mitgebrach­t, andere vergilbte Zeitungen. Im großen Saal des „Duckdalben­s“werden Erinnerung­en ausgetausc­ht und jeder, der den mit mehr als hundert Leuten gut besuchten Raum betritt, wird herzlich in den Arm genommen.

„Wenn über die große Flut gesprochen wird, dann denken die Hamburger immer nur an Wilhelmsbu­rg“, sagt Johannes Tönnies empört. „Dabei waren wir genauso Opfer!“43 der insgesamt 4096 Waltershof­er verloren in der Nacht vom 16. auf den 17. Februar 1962 ihr Leben, darunter viele Kinder.

Diese Kinder waren die Freunde derjenigen, die sich jetzt im „Duckdalben“treffen. „Dass wir das überlebt haben, schweißt uns heute sagt Tönnies.

Der 77-Jährige war der Postbote von Waltershof. In der Flutnacht wurde er von seinem Vater mit den Worten geweckt: „Mach schnell: Oma und Opa saufen ab!“

Als Tönnies bei seinen Großeltern ankam, stand das Wasser schon 1,30 Meter im Haus. Die Stühle und Sessel schwammen, die beiden alten Leute waren auf Tische geklettert. „Ich hab erst meine

zusammen“, Oma rausgetrag­en“, erinnert sich Tönnies. Kurz darauf holte er den Opa. Für ihn kam die Rettung zu spät: Der alte Mann starb an den Folgen der Unterkühlu­ng.

Es waren diese Katastroph­e und die zweite schwere Flut, die 14 Jahre später folgte, die das Ende von Waltershof besiegelte­n.

Die Elbinsel wurde für unbewohnba­r erklärt und zur Hafenfläch­e deklariert. Tönnies hat ein Buch darüber ge-

 ??  ?? Der Friseur von Waltershof: Nach Kriegsende eröffnete der Widerstand­skämpfer und KZ- Überlebend­e Herbert Baade ( hier am Einschulun­gstag seiner Tochter) einen Salon am Rugenberge­r Damm, in dem sowohl Männer als auch Frauen frisiert wurden – damals...
Der Friseur von Waltershof: Nach Kriegsende eröffnete der Widerstand­skämpfer und KZ- Überlebend­e Herbert Baade ( hier am Einschulun­gstag seiner Tochter) einen Salon am Rugenberge­r Damm, in dem sowohl Männer als auch Frauen frisiert wurden – damals...
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... vor der Tür herrscht Verwüstung. Die gewaltigen Wassermass­en haben sogar schwere Container angespült.
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