„Ich bin der Opa unter den Surfern“
Stardirigent Kent Nagano über seine Hobbys und seine Liebe zu Hamburg
Im Herbst 2015 hat Kent Nagano (64) als Generalmusikdirektor die Leitung des Philharmonischen Staatsorchesters übernommen. Wie hat er seine erste Opern- und Konzertsaison in Hamburg erlebt? Die MOPO sprach mit dem Star-Dirigenten über das Wunder des Orchesterklangs und die „bösen Wellen“des Pazifiks.
MOPO: Wenn Sie auf Ihre erste Saison in Hamburg zurückblicken, was hat Sie besonders gefreut oder geärgert? Kent Nagano:
Schon bevor ich nach Hamburg gekommen bin, hatte ich das Gefühl, dass hier ein enormes Potenzial vorhanden ist. Diese Erwartung wurde sogar übertroffen. Das betrifft nicht nur das Orchester, sondern auch den Chor, die Verwaltung, die Techniker… Man kann gar nicht hoch genug einschätzen, mit welch großem Engagement, mit welcher Leidenschaft hier gearbeitet wird.
Wie haben Sie das Publikum erlebt?
Zu Anfang war ich nicht sicher, ob das Publikum unsere Ideen akzeptieren würde. Aber die Ernsthaftigkeit und Seriosität der Menschen, die ich hier kennengelernt habe, macht deren Begeisterung und Zustimmung sehr glaubwürdig. Man kann den Hamburgern vertrauen. Ich werde auch oft auf der Straße angesprochen. Diesen sozialen Aspekt Hamburgs finde ich fantastisch. Es ist eine Stadt, die lebt. Ich und auch meine Frau wissen die Großherzigkeit der Menschen hier sehr zu schätzen.
Bei Ihrem Amtsantritt haben Sie angekündigt, Sie wollten sich gemeinsam mit den Philharmonikern auf die Suche nach dem „Hamburger Klang“begeben. Haben Sie ihn inzwischen gefunden?
Wir haben kürzlich Bruckners sechste Sinfonie, die wir hier im Dezember aufgeführt haben, noch einmal geprobt. Dabei haben wir gemerkt, dass sich unser Klang bereits deutlich entwickelt hat. Die Fragen sind: Was ist Hamburg? Wie können wir die Stadt widerspiegeln? Bei vielen Orchestern hört man nur eine professionelle Schönheit. Bei den Philharmonikern gibt es aber eine echte Resonanz dessen, was Hamburg ausmacht, weil das Orchester eine so lange Geschichte hat. Das ist einzigartig.
Der Klang wird sich in der Elbphilharmonie vielleicht noch eindrucksvoller entfalten.
Hamburg kann wirklich stolz sein. Das Bauwerk hat eine Geburt gehabt, die alles andere als „easy-peasy“war, aber die Stadt hat die Sache zu Ende geführt. Damit haben die Bürger ein Zeichen gesetzt, dass sie dieses Konzerthaus brauchen. Es wird zum Herzen, zur Seele Hamburgs. Was schätzen Sie noch an Hamburg? Ich habe eine Bindung zum Wasser. Ich mag Seen und Bäche, aber für jemanden, der wie ich in San Francisco geboren ist, zählt nur das Meer. Man spürt die unendliche Weite, lernt Toleranz und Flexibilität, denn der Hafen ist ein Portal für neue Ideen und Einflüsse. Und dann Regen, Sturm, Nebel – das alles ist in San Francisco sehr ähnlich und vermittelt mir ein Gefühl von Geborgenheit.
Nur mit dem Surfen ist es hier schwieriger …
Deshalb fliege ich zwei Mal im Jahr nach Hause. Im Sommer gibt es im Pazifik diese perfekt geformten Wellen, wie aus Glas. Aber im Winter sind die Wellen gewaltig und böse. Da bekommt man sehr großen Respekt vor dem Meer, denn man kann dabei sein Leben lassen. Inzwischen bin ich natürlich der „Großvater“zwischen all den jungen Surfern. Das Interview führte SÖREN INGWERSEN