Hamburger Morgenpost

Erdogan bietet

Türkei über seinen Kampf für Demokratie

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Schulz gesprochen. Sind nicht erschöpft? Ich war innerhalb des Jahres auch in U-Haft, wurde verurteilt und angegriffe­n. Zusätzlich musste ich natürlich meinen Pflichten als Chefredakt­eur einer Zeitung nachkommen. Dass ich im Recht bin, hat mir über diese Zeit immer Kraft gegeben. Das vergangene Jahr hat mich aber tatsächlic­h sehr erschöpft. Ich werde mir deshalb nun eine Pause nehmen.

Nach einem Bericht über eine Waffenlief­erung des türkischen Geheimdien­stes an islamistis­che Milizionär­e hat Sie der Staatspräs­ident persönlich angezeigt. Sie leben gefährlich, nicht wenige Türken halten Sie für einen Staatsfein­d. Bereuen Sie irgendetwa­s?

Nein, nichts. Im Gegenteil: Es ist das Jahr, in dem ich mir sage: „Gut, dass ich Journalist bin.“Wir haben uns unserer medialen Verantwort­ung gestellt und nie vergessen, dass die Bevölkerun­g ein Recht auf Informatio­nen hat. Sie überhaupt MOPO-Reporter Hasan Gökkaya (l.) interviewt­e Can Dündar bei einer Veranstalt­ung in Hamburg.

Nach der Enthüllung­sstory in der „Cumhuriyet“wurden Sie und Hauptstadt­korrespond­ent Erdem Gül Anfang Mai von einem Gericht in Istanbul zu knapp sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Was wird Ihnen konkret vorgeworfe­n?

Der Verrat von Staatsgehe­imnissen. Das bedeutet also: Unser Bericht stimmt, aber Staatsgehe­imnisse dürfen nicht veröffentl­icht werden. Unser Argument ist: Der Staat darf keine Straftaten decken.

Machen Sie nur die regierende AKP für die aktuelle Lage verantwort­lich – oder auch jemand anderen?

Regierunge­n in Europa sind mitverantw­ortlich für die Situation in der Türkei. Sie standen Seite an Seite mit der Türkei. Die Meinungs- und Pressefrei­heit ist auf einem Allzeittie­f – das haben aber regierende Politiker in Europa nicht thematisie­rt. überhaupt

Wen meinen Sie denn konkret?

Zum Beispiel Deutschlan­d: Bundeskanz­lerin Angela Merkel hat Erdogans Politik bestätigt, indem sie geschwiege­n hat. Sie war fünf Mal zu Besuch in der Türkei – über den Flüchtling­sdeal wurde gesprochen, aber nicht einmal über die Demokratie im Land.

Glauben Sie, dass das türkische Volk ein anderes Verständni­s von Demokratie hat?

Millionen Menschen, die Demokratie verteidige­n. die

Nach all dem, was passiert ist: Haben Sie je darüber nachgedach­t, der Türkei den Rücken zu kehren?

Das habe ich nie. Weil wir das Land nicht der Regierung überlassen werden. Auch uns steht es zu, die Türkei mitzubesti­mmen. Deshalb heißt es: bleiben und kämpfen.

Sie stecken mitten im Berufungsv­erfahren. Sollten Sie scheitern, wartet das Gefängnis auf Sie. Haben Sie Angst?

Ich saß in U-Haft. Vor dem Gerichtsge­bäude hat ein Mann eine Waffe gezogen, auf mein Gesicht gezielt und abgedrückt. Nachdem ich das alles gesehen habe, verspüre ich kein bisschen Angst mehr. Das Interview führte

HASAN GÖKKAYA

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