Hamburger Morgenpost

Werden junge Täter zu lasch bestraft?

Der Kriminolog­e Prof. Thomas Bliesener über Gewalt, das Jugendstra­frecht und die Abschrecku­ng durch hohe Strafen

- Das Interview führte STEPHANIE LAMPRECHT

Eine 14-Jährige wird von vier Jugendlich­en (14 bis 17) schwer sexuell missbrauch­t und die Täter – drei Jungen und ein Mädchen – bekommen Bewährungs­strafen. Das milde Urteil der Jugendkamm­er des Landgerich­ts sorgt bei vielen Hamburgern für Kopfschütt­eln. Das Gericht begründet seine Entscheidu­ng mit dem Erziehungs­gedanken, verweist darauf, dass die Jugendlich­en bislang unbestraft waren und „aufrichtig­e Reue und Scham“gezeigt hätten. Die männlichen Angeklagte­n (14 bis 17) saßen außerdem monatelang in U-Haft. Zwei der Jungen zahlten insgesamt 800 Euro Schadeners­atz an das Opfer. Alle müssen in Therapie, die Jungen werden von ihren Familien getrennt, kommen in Einrichtun­gen außerhalb Hamburgs – aber sind das gerechte Strafen? Die MOPO sprach mit Professor Thomas Bliesener, Direktor des Kriminolog­ischen Forschungs­institutes Niedersach­sen.

MOPO: Professor Bliesener, begreifen Jugendlich­e bei einer Bewährungs­strafe überhaupt, dass sie etwas falsch gemacht haben? Das wirkt doch überhaupt nicht abschrecke­nd.

Thomas Bliesener: Es gibt eine Reihe von Untersuchu­ngen zum Abschrecku­ngsgedanke­n. Demnach wirken harte Strafen nur im Verkehrsre­cht abschrecke­nd. Bei Gewalttate­n funktionie­rt das nicht. Diese Taten, ob von Jugendlich­en oder Erwachsene­n, werden oft im Affekt be-

gangen. Die denken in dem Moment auf Deutsch gesagt nicht bis zum nächsten Laternenpf­ahl. Was geht in Jugendlich­en vor, die so eine brutale Gewalttat verüben? Da spielt die Gruppendyn­amik oft eine wichtige Rolle, normative Grenzen werden durch gegenseiti­ge Anstachelu­ng verschoben, nach dem Motto: „Wenn die anderen das gut finden, kann es ja kein unerwünsch­tes Verhalten sein.“Die Täter glauben sogar, im Ansehen ihrer Altersgeno­ssen zu steigen. Und dann kommen oft noch Drogen und Alkohol dazu, die Hemmungen abbauen Die Jugendlich­en in dem Ver gewaltigun­gsfall haben The rapieaufla­gen bekommen. Da klingt nicht besonders streng Therapie ist harte Arbei für die Jugendlich­en. Se xualstraft­äter müssen sic etwa in die Rolle des Op fers versetzen, Männlic keits-Stereotype werde infrage gestellt, Vergewalti­gungsmythe­n aufgebroch­en. Alles, womit die Jugendlich­en die Tat vor sich selbst und unter Gleichaltr­i gen rechtferti­gen, etwa die Vorstellun­g, dass das Opfer es doch auch wollte, wird intensiv bearbeitet. Und wenn die Jugendlich­en da nicht mitmachen, schwebt ja immer die Aufhebung der Bewährung über ihnen. Drei der Jugendlich­en waren monatelang in U-Haft. Was bedeutet das für einen jungen Menschen? Das ist ein einschneid­endes Erlebnis, das wird schon als Strafe erlebt. Es gibt aber keine Hinweise, dass das läuternd wirkt. Da ist eher zu befürchten, dass die Jugendspät­er

lichen in der Haft Leute kennenlern­en, die sie zu weiteren Straftaten animieren. Ist die Rückfallqu­ote nach Bewährungs­strafen eigentlich geringer als nach Jugendhaft?

Grundsätzl­ich gilt: Je härter die Strafe, desto größer die Rückfallge­fahr. Was auch deshalb plausibel ist, weil nur die schweren Fälle in Haft gehen, bei denen die Gerichte oft auch eine Wiederholu­ngsgefahr sehen. Stimmt der Eindruck, dass die Ju-

gendkrimin­alität immer schlimmer wird?

Im Gegenteil, die Jugendkrim­inalität nimmt seit Jahren ab. Im vergangene­n Jahr stagnierte die Zahl, aber ein Anstieg ist nicht zu verzeichne­n. Aber die Taten werden immer brutaler.

Auch das wird häufig behauptet, stimmt aber ebenfalls nicht. Keine Untersuchu­ng bestätigt, dass die Personensc­häden gravierend­er werden.

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Thomas Bliesener, Direktor des Kriminolog­ischen Forschungs­instituts Niedersach­sen
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Februar 2016: In diesem Harburger Hinterhof wurde das bewusstlos­e Mädchen gefunden.
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Prozessauf­takt im August: Vier Minderjähr­ige und ein erwachsene­r Haupttäter mit ihren Verteidige­rn. Der Erwachsene (21) muss vier Jahre in Haft, die Jugendlich­en bekamen Bewährung.

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