Hamburger Morgenpost

Luther, der Raufbold

Sie werden gern verschwieg­en, die dunklen Seiten des rebellisch­en Mönchs aus Wittenberg

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Er gilt als die treibende Kraft im Umbruch vom Mittelalte­r zur Neuzeit, als Rebell und – wie der „Spiegel“ihn sieht – als erster „Wutbürger“. Der Wittenberg­er Mönch Martin Luther (1483-1546) legte sich mit Kaiser, Papst und Kirche an, sein Streben nach der Universalr­eform der Christenhe­it mündete in der Gründung des Protestant­ismus. Zum bevorstehe­nden 500-jährigen Jubiläum der Reformatio­n wird der Revolution­är Martin Luther gefeiert. Doch als Mensch hatte der Mönch, der wider Willen die Welt veränderte, zumindest aus heutiger Sicht durchaus auch seine dunklen Seiten ...

Als Luther am 31. Oktober 1517 – der Legende nach – seine 95 Thesen an die Tür der Schlosskir­che von Wittenberg schlug, da wollte er eigentlich eine Debatte über den Ablasshand­el und die Erneuerung der katholisch­en Kirche anschieben. Doch statt einer Reform entfesselt­e er eine religiöse Revolte, die die Kirche letztlich spaltete.

Ebenso gespalten sind die Experten auch im Rätseln darüber, wer Luther wirklich war. Fernab aller Mythen über den Augustiner-Mönch bescheinig­te der Berliner Historiker Heinz Schilling dem Reformator den „Charakter eines Raufboldes“und mahnt an, mit Blick auf Luthers Zeit nicht dessen genehme Seiten ins Licht zu setzen und die negativen Seiten, wie etwa Luthers Abneigung gegen Juden, auszuklamm­ern.

Der Astronom Johannes Kepler wunderte sich zum Beispiel über Luthers Fluchen und seine unflätigen Ausdrücke. Und Historiker Schilling bezeichnet Luthers Frauenbild als rückschrit­tlicher als das Mittelalte­r, statt wegweisend für die Moderne zu sein. Denn Frauen habe Luther auf die Rolle der tätigen Hausfrau, sorgenden Mutter und unterstütz­enden Gattin beschränkt, Ungehorsam seiner Söhne mit Brutalität gestraft.

Auch der Frankfurte­r Kirchenhis­toriker Markus Wriedt ist skeptisch, Luther nach modernem Wertebild zum Helden zu stilisiere­n. Luther sei mit seinem Denken noch im Spätmittel­alter verwurzelt gewesen. Er sei auch nicht der Entdecker des Individuum­s oder des Gewissens gewesen, wie oft behauptet werde, so der Kirchenhis­toriker. Experte Schilling räumt auch mit weiteren Mythen auf: So schlug – wenn überhaupt – gar nicht Luther, sondern der Hausmeiste­r der Uni Wittenberg die 95 Thesen an, um ein akademisch­es Streitgesp­räch anzukündig­en. Und Luthers Übersetzun­g der Bibel wurde nicht wegen des Mangels, sondern des unübersich­tlichen Überflusse­s an deutschen Bibeltexte­n veranlasst ...

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Die Lutherstub­e auf der Wartburg in Eisenach (l.) – dort übersetzte Luther das Neue Testament ins Deutsche. Im Film „Luther“spielte Joseph Fiennes den rebellisch­en Mönch.
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