Zerstören die LügenFabriken unsere Demokratie?
Seiten, die „Fake News“produzieren, beeinflussen Wahlen und Abstimmungen. Die Politik reagiert
Brüssel – Plötzlich sind sie das große Thema: „Fake News“, bewusst in soziale Netzwerke und im Netz gestreute Falschnachrichten. Die Grünen wollen den Weihnachtsbaum abschaffen, Hillary Clinton hilft dem IS, der Papst mag Trump – all diesen Meldungen ist eins gemein: Sie sind erfunden. Und haben es doch ins Bewusstsein vieler User geschafft. Dafür verantwortlich: „Fake News“Schleudern wie Libertywritersnews.com, in Deutschland Halle-Leaks.de oder „Russia Today“. Die Politik reagiert erst jetzt, nachdem der Einfluss solcher Fake News auf Wahlen enorm zu sein scheint.
Plötzlich ploppt auf Facebook das Zitat eines grünen Politikers aus NRW auf: „Gerade mit Hinblick auf die andersgläubigen Flüchtlinge ist das jährliche Aufstellen einer Weihnachtstanne ein völlig unzeitgemäßes Ritual ...“, daneben ein Foto von Norbert Czerwinski. In der Kommentarspalte kocht die Volksseele. Einziges Problem: Der grüne Fraktionschef im Düsseldorfer Stadtrat hat das nie gesagt. Verantwortlich für die Fälschung ist „Halle-Leaks“, eine vom Rechtsradikalen Sven Liebich betriebene PseudoWhistleblower-Seite.
In Amerika haben solche „Fake News“-Schleudern maßgeblich den Wahlkampf aufgemischt. Doch anders als bei Liebich war es keine Ideologie, die Paris Wade (26) und Ben Goldman (27) umtrieb. Den arbeitslosen Gastro-Angestellten ging es bei der Gründung von Libertywritersnews.com allein ums Geld.
Fast alles, was sie in die sozialen Netzwerke bliesen – über Bots, Vervielfältigungsmaschinen, tausendfach kopiert – ist frei erfunden. Beispiele: „Terroristen haben US-Regierung unterwandert. Lesen Sie, wer auf der TODESLISTE steht!“
Libertywritersnews.com wurde zu Trumps effektivstem Wahlkampfhelfer. Die beiden jüngst noch arbeitslosen Macher verdienen Tausende Dollar pro Tag. Journalistische Ethik? Keine! Goldman glaubt, dass man zur Verrücktheit der eigenen Leser nichts hinzufüge – man benütze sie nur. Jetzt planen sie eine linke Website, da sei momentan die große Wut. Goldman: „Wir können viel mehr Klicks machen.“
„Wir fügen der Verrücktheit unserer Leser nichts hinzu.“Ben Goldman
Neben Geld oder einer radikalen Ideologie sind von ausländischen Regierungen gelenkte Seiten zur Gefahr für die Demokratie geworden. „Russia Today“betreibt seit zwei Jahren in Deutschland einen Web-Auftritt. Die Finanzierung läuft über russische, Kreml-nahe Institutionen. Grundsatz: Es wird nicht informiert, es wird Putin-freundliche Propaganda betrieben. Die USA, die NATO, die EU, der Westen insgesamt sind schlecht – und Russland bietet diesem Reich der Finsternis die Stirn.
Die Politik reagiert spät – zu spät? Nach dem (unter maßgeblichen Desinformationskampagnen) verlorenen „Brexit“-Votum und der US-Wahl wird über Maßnahmen gegen Fake News nachgedacht. Jüngst gab es dazu eine Debatte im EU-Parlament, im Bundestag nahm Kanzlerin Angela Merkel Stellung. Facebook und Google, lange Zeit untätig, versprachen mehr Wachsamkeit beim Aufspüren und Bannen von Fake News – z. B. mit neuer Software.
Einer Studie der Uni Stanford in Kalifornien zufolge schenkten 40 Prozent von Schülern der Oberstufe einem Artikel Glauben, der behauptete, ein quellenloses Foto einer deformierten Blume sei Beweis für die Verstrahlung in Fukushima. Die Fähigkeit, Fake News zu herauszufiltern, ist vor allem bei jungen Nutzern erschreckend unterentwickelt.
Und es wird noch komplizierter: Adobe (Erfinder von Photoshop) hat ein Programm entwickelt, das es erlaubt, Menschen in einer beliebigen Audiodatei Worte sagen zu lassen, die nie gesagt wurden.
Im Fake-Clip könnte man dann Merkel sagen hören, (Syriens Schlächter) „Baschar al-Assad ist ein Friedensheld“– inklusive Merkel-Dialekt und Singsang.