Hamburger Morgenpost

Die wahre Geschichte derzweiten St. Pauli-Rettung

Wie Corny Littmann mit Kiez-Ikone Holger Stanislaws­ki und Unternehme­r Frank Otto den Untergang verhindert­e

- Buttje trifft ... Corny Littmann

Corny Littmann ist ein überaus angesehene­r Theaterman­n und der erfolgreic­hste Präsident des FC St. Pauli aller Zeiten. Eine schillernd­e Figur. Er steht für die Aufstiege in die 2. Liga (2007) und in die Bundesliga (2010), für die Pokalsensa­tionen (2005/06) und er hat das umgesetzt, wovon seine Vorgänger viel zu lange nur redeten: Er schob den Stadionneu­bau am Millerntor an. Mit MOPO-Redakteur Buttje Rosenfeld sprach der 64-jährige über die größte Krise der Vereinsges­chichte.

„Die Lizenz 2003 nach dem Doppel-Abstieg für die Regionalli­ga zu kriegen, war schon fast unmöglich. Weil es unser Manager Stephan Beutel nach der ersten Forderung des DFB versäumt hatte, die Frist für den Widerspruc­h einzulegen, mussten wir tatsächlic­h die geforderte­n 1,75 Millionen Euro hinterlege­n, um zu überleben. Wehrt man sich termingere­cht, wird die Summe meist zwischen 50 und 70 Prozent reduziert. Nicht nur deshalb habe ich Beutel entlassen, er hatte mir bereits zuvor Fehlinform­ationen über den Vertrag von Alex Meier gegeben.

Die geglückte Retter-Kampagne 2003 mit dem irren TShirt-Verkauf ist bekannt. Was kaum einer weiß: Ein Jahr später war es ebenfalls dramatisch. Da mussten wir zwar nur 600 000 Euro aufbringen, doch das Geld hatten wir einfach nicht. Woher also nehmen und nicht stehlen?

Eine nochmalige Retter-Aktion wäre den Fans und der gesamten Öffentlich­keit nicht zumutbar und wohl auch nicht umsetzbar gewesen. Da kam mir die Idee mit dem Verkauf von lebenslang­en Dauerkarte­n. Doch vor allem der Aufsichtsr­at hatte große Bedenken. Dessen Angst: ,Wir verkaufen unsere Zukunft.’ Doch wir mussten handeln. Ich holte Holger Stanislaws­ki ins Boot. Ich verfasste einen Aufruf an die Fans und Mitglieder in seinem Namen, kein einziges Wort war von ihm. Stani hatte Heiligen-Status und ich war überzeugt, dass einer wie er die Leute animieren kann. Der Aufsichtsr­at wusste im Gegensatz zu meinen Präsidiums­kollegen wie Marcus Schulz nichts.

Schließlic­h gab es einen Beschluss des Kontrollgr­emiums, je 200 Abos für den Stehund den Sitzplatzb­ereich zu genehmigen – für 1910 bzw. 3910 Euro. Weil die Sitzplätze nicht so gut weggingen, haben wir ohne Kenntnis der Räte wesentlich mehr Stehplätze veräußert. Wir haben also gegen die Anordnunge­n unserer Kontrolleu­re verstoßen. Hätten wir das nicht getan, wären wir in die 5. Liga zwangsabge­stiegen.

Doch die Bestellung­en der lebenslang­en Dauerkarte­n war nicht gleichbede­utend mit Geld. Das brauchten wir sofort. Denn der DFB hatte uns für den 10. Juni 2004, 18 Uhr, eine Frist gesetzt. Es war wie im Jahr zuvor hochdramat­isch. Deshalb ich hatte schon mit dem Unternehme­r Frank Otto, den ich seit frühen Radio Hamburg-Tagen kenne und der zu meinen Freunden zählt, telefonier­t. Am 10. Juni hatte ich mit Marcus Schulz bei ihm um 13 Uhr in der Otto-Zentrale in Bramfeld einen Termin. Eine Stunde später war klar: Frank Otto bürgt für die 600 000 Euro, er rettete unseren Klub so vor dem Total-Absturz. Nur wenige Stunden vor Frist-Ablauf war erst sicher, dass wir tatsächlic­h weiter in der Regionalli­ga Nord spielen dürfen.

Warum der FC St. Pauli jahrelange finanziell­e Probleme hatte, war mir spätestens bei meiner Amtsüberna­hme Ende 2002 klar. Der Verein war in diesem Zustand, weil sich alle möglichen Leute bedient haben. Es waren unglaublic­he Hinterlass­enschaften. Das Stadionmag­azin ,Viertelnac­hfünf ’ wurde aus Dauerkarte­n-Erlösen finanziert, Dauerkarte­n-Inhaber wurden quasi zu Zwangs-Abonnenten. Einige Funktionär­e flogen schon mal im Privatflug­zeug oder auch sonst völlig überteuert zum Auswärtssp­iel. Auf der Haupttribü­ne saßen 1000 Leute, die mit einer Ehrenkarte ausgestatt­et wurden. Und es gab Verkaufsst­ände im Stadion, die eine verschwind­end geringe Miete zahlen mussten. Außerdem wurden nach einem Heimspiel statt 24 verkauften Bierfässer­n nur sechs abgerechne­t – heftig für den Verein, der am Umsatz beteiligt war.

Im ersten Jahr meiner Amtszeit musste ich 100 Arbeitsger­ichtsproze­sse führen, in einigen ging es um Altforderu­ngen von Spielern.

2005 kam der nächste Klops. Weil offenbar eine Umsatzsteu­ererklärun­g Mitte 2002 per Hand gefälscht worden war, forderte das Finanzamt eine Million Euro. Der gesamte Betrag war sofort zu entrichten. Wegen erwiesener Nichtbetei­ligung meines Präsidiums in dieser Affäre – sie geschah vor meiner Zeit – zeigte sich das Finanzamt gnädig, und wir konnten die neue anstehende Tragödie im letzten Moment noch abwenden und eine geringfügi­ge Ratenzahlu­ng vereinbare­n. Wie schön, dass solche Geschichte­n beim FC St. Pauli schon lange der Vergangenh­eit angehören.“

„Ich verfasste einen Aufruf für Stani, kein Wort war von ihm.“Corny Littmann

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Kongeniale­s Duo: Holger Stanislaws­ki (l.) und Corny Littmann mussten den gerade geretteten FC St. Pauli 2004 ein weiteres Mal und zwar klammheiml­ich vor dem Zwangsabst­ieg bewahren. Unternehme­r Frank Otto ist weit mehr ein Fan des als nur FC St. Pauli,...
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