Hamburgs TennisWunder
Mischa Zverev schlägt britischen Superstar Andy Murray. Sport
Vor 22 Monaten gehörte er nicht mehr zu den besten 1000 Spielern der Weltrangliste. Gestern hat der Hamburger Mischa Zverev (29) in Melbourne ein TennisMärchen geschrieben. Mit 7:5, 5:7, 6:2, 6:4 gewann er im Achtelfinale der Australian Open gegen den Weltranglistenersten Andy Murray.
„Es war eine lange Reise, aber sie hat Spaß gemacht“, sagte der in Moskau geborene Zverev, der im Kindesalter mit seinen Eltern von Moskau nach Hamburg zog. In Lemsahl-Mellingstedt wohnt die Familie, in der zuletzt Mischas Bruder Alexander (19) die größeren Schlagzeilen schrieb.
An dem magischen Sonntag, dem Geburtstag des Vaters, aber spielte sich Mischa in die Geschichtsbücher. Seit 1995, seit Boris Becker, hatte kein deutscher Spieler mehr bei einem GrandSlam-Turnier gegen einen Weltranglistenersten gewonnen. Nun schaffte die Nummer 50 des Rankings dieses Kunststück. Und Becker verneigte sich tief vor dem Serve-and-VolleySpiel, das ihn an seine eigene Zeit erinnerte. Zverevs Match diene als „Lehrstunde für alle jungen Spieler“, sagte der beste deutsche Spieler aller Zeiten.
2009 hatte sich Zverev das Handgelenk, 2010 zwei Rippen gebrochen, 2013 riss seine Patellasehne, 2014 folgte eine HandOP. Er müsse seine Karriere beenden, meinten viele. Der stets eloquente Zverev aber wollte noch mal kämpfen. Er wollte sich Träume erfüllen.
Von FREDERIK AHRENS
Tränen schossen in seine Augen. Mischa Zverev brauchte ein paar Sekunden, um zu begreifen, was er da vollbracht hatte, dann hatte sich der Hamburger gesammelt. „Das bedeutet mir die Welt“, sagte der 29Jährige und schaute auf die Tribüne zu seinen Eltern, seinem Bruder und seiner Freundin. „Es ist ein Moment, den man ewig genießen möchte.“
Der 7:5, 5:7, 6:2, 6:4-Sieg von Mischa Zverev gegen Andy Murray im Achtelfinale der Australian Open, er ist „die größte Sensation dieses Turniers“, wie Boris Becker festhielt. 15000 Zuschauer in der Rod Laver Arena waren Zeuge eines TennisWunders geworden.
Mischa Zverev, der Mann, der im März 2015 auf Platz 1067 der Weltrangliste zurückgefallen war, der die Lust an seinem Sport nach unzähligen Verletzungen verloren hatte, hatte Murray geschlagen, den zweimaligen Wimbledon- und Olympiasieger, die souveräne Nummer eins der Welt. „Das war definitiv das beste Match meines Lebens“, sagte der zehn Jahre ältere Bruder von Super-Talent Alexander Zverev (19), der am Sonnabend knapp an Rafael Nadal gescheitert war.
116 Mal war Mischa Zverev gegen Murray ans Netz gestürmt, hatte den Schotten mit seinem im Tennis vergessen geglaubten Serve-and-VolleySpiel entnervt und die Fachwelt begeistert. US-Legende John McEnroe erklärte: „Ich habe einen neuen Lieblings-
„Mischa Zverev ist mein neuer Lieblingsspieler.“US-Legende John McEnroe
spieler. Das ist das Tennis, was ich sehen will. Intelligent, flexibel, mit Köpfchen.“Und Boris Becker meinte: „Es hat mich ein bisschen an meine eigene Zeit erinnert.“
Zverev, der 2009 schon mal die Nummer 45 der Welt war, bevor er mental und körperlich ausgebremst wurde, hatte nach eigener Aussage „in einem kleinen Koma gespielt. Ich weiß nicht, wie ich einige Punkte gewonnen habe“. Als das Match zu kippen drohte, weil er beim Stand von 4:3 im vierten Satz einen leichten Überkopfball ins Netz geschlagen hatte, da habe er neue Kraft aus einem Blick zu Mutter Irina geschöpft. „Meine Mama lacht immer, wenn
ich solche Fehler mache und das hat sie wieder getan“, sagte Mischa, der zwei eiskalte Weltklasse-Schläge folgen ließ.
„Mein Bruder hat wieder Spaß am Tennis. Er ist der fitteste Spieler auf der Tour“, sagt Bruder Alexander, der eine Inspiration für den älteren Zverev ist. „Es war immer mein Traum, irgendwann gemeinsam mit Sascha auf der Tour zu spielen“, hatte Mischa der MOPO in einem Interview gesagt. Nun pushen sich beide im Training unter Aufsicht von Vater Alexander zu Höchstleistungen. Die Motivationsprobleme früherer Tage sind verschwunden.
Die Jungs aus dem Hamburger Stadtteil LemsahlMellingstedt erobern in Melbourne die Tennis-Welt. Im
Viertelfinale trifft Mischa, der in der Weltrangliste von Platz 50 mindestens auf 35 nach oben schießen wird, morgen auf sein Idol Roger Federer. „Wer Murray geschlagen hat“, sagt Boris Becker, „der kann gegen jeden Spieler gewinnen.“Mischa Zverevs wundersame Reise, sie ist noch nicht zu Ende.