Wie streng dürfen Lehrer sein?
Strafarbeit für Düsseldorfer Sechstklässler. Einer rief die Polizei
Düsseldorf – Im Gerichtssaal sitzt Musiklehrer Christian Philipp P. (50) auf der Anklagebank – wegen Freiheitsberaubung. Er soll seine Schüler bei Abgabe einer Strafarbeit am Verlassen des Klassenraums gehindert haben. Draußen vor dem Gerichtssaal wird heftig diskutiert. In Scharen kamen P.s Kollegen zum Prozess. Sie fragen sich: „Was dürfen wir überhaupt noch?“Und: „Stehen wir mit einem Bein im Knast?“
Der Fall: Die Klasse 6b der Kaarster Realschule ist unruhig. P. gibt die Strafarbeit, einen Aufsatz über Paganini abzuschreiben. Nach Schluss der Doppelstunde setzt er sich vor den Eingang. P.: „Ich habe niemanden gehindert, den Raum zu verlassen. Sie sollten nur nacheinander vorher die Arbeit abgeben.“Doch einer der Schüler ruft die Polizei. Richter Rainer Drees: „Manchmal laufen Dinge unglücklich, bekommen eine eigene Dynamik.“Die Polizei kommt. Die Eltern erstatten Anzeige. Es kommt zum Prozess und einer ersten Verurteilung, gestern dann die Berufungsinstanz.
Selbst Richter Drees meint: „Dieser Fall ist denkbar ungeeignet für ein Strafgericht. Lehrer haben es nicht einfach. Aber wenn wir denen immer mit dem Strafgesetzbuch auf den Pelz rücken, machen wir es ihnen nicht einfacher!“Und: „Wohin führt das? Zu Schülern, die nicht nur gegen Noten vorgehen, sondern so auch gegen den Unterrichtsstil.“
„Richtig!“, lautet der Zwischenruf eines Pädagogen im Zuhörerraum. Doch den Zuschauern ist auch klar: Hier geht es um rein formales Strafrecht. Und die Staatsanwältin ist der Meinung: „Er hat die Schüler am Verlassen des Raumes gehindert. Mit Straftaten kann man sich keinen Respekt verschaffen.“Eine Einstellung wegen Geringfügigkeit lehnt sie ab.
Vor dem Saal fragen sich die Lehrer: „Was ist, wenn wir demnächst Klassenarbeiten nach dem Gong einsammeln? Machen wir uns dann strafbar?“Einer sagt: „Auf Klassenfahrten müssen wir nachts schon mal für Ruhe sorgen und die Kinder in den Schlafsaal schicken. Dürfen wird das noch?“
Auf eine Antwort werden sie noch warten müssen. Denn der Richter will jetzt die ganze Schulklasse vernehmen, bevor über diesen kuriosen Fall entschieden wird.