Der größte Journalisten-Knast der Welt
Erdogans Feldzug gegen das freie Wort: 149 Medienhäuser dichtgemacht
Ankara – Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat es in einer Disziplin tatsächlich an die Weltspitze geschafft: In keinem Land – nicht in Eritrea oder dem Iran – sitzen so viele Journalisten hinter Gittern wie beim EU-Beitrittskandidaten. 149 Medienhäuser wurden geschlossen, rund 150 Journalisten sind in Haft. Einer davon: der deutsche Staatsbürger und „Welt“Korrespondent Deniz Yücel. Merkels Diplomatie der „stillen Post“stößt angesichts der Repressalien, von Gesinnungs-Schnüffelei unter Deutsch-Türken und PR-Shows von AKP-Bonzen in Deutschland an Grenzen.
Eine ganz normale Woche in Erdogans Reich: Mehr als 20 Journalisten müssen
vor Gericht erscheinen; ein Satiremagazin wird wegen seiner Moses-Karikatur geschlossen; eine Zeitung zensiert ein Interview mit einem Nobelpreisträger, der Erdogan kritisiert; ein kurdischer Journalist wird im Polizeiknast zusammengeschlagen; der Korrespondent einer deutschen Zeitung wird festgenommen – fasst „Zeit Online“zusammen.
Vor allem letztgenannter Vorfall erhitzt in Deutschland die Gemüter: Deniz Yücel (43), in Flörsheim am Main geboren, wechselte 2015 von der „Taz“zur „Welt“. Zwei Jahre lang berichtete er kompetent und couragiert über den Krieg gegen die PKK, Wahlen, den Putschversuch und den von Erdogan betriebenen Wandel der Türkei hin zur Autokratie. Schikanen wie verzögerte Akkreditierungen, vorübergehende Haft, Bedrohungen nahm er in Kauf. Doch vor zehn Tagen verschwand Yücel bei Istanbuls Polizei, nachdem er sich zu einer „Befragung“eingefunden hatte. Bis heute sitzt er ein – als erster ausländischer Korrespondent. Haftbefehl? Bislang Fehlanzeige.
Nur so viel sickerte durch: Aufgrund seiner Berichterstattung wirft man ihm „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“, Datenmissbrauch, „Terrorpropaganda“vor. Wurde dem Journalisten, der neben der deutschen auch die türkische Staatsbürgerschaft besitzt, zum Verhängnis, dass er über einen Skandal rund um Energieminister Berat Albayrak berichtet hatte – Erdogans Schwiegersohn? In geleakten
Mails geht es laut „Welt“um die Kontrolle türkischer Medienkonzerne sowie Beeinflussung der Öffentlichkeit durch gefälschte Twitteraccounts.
Das Auswärtige Amt appellierte an Ankara, „rechtsstaatliche Regeln“einzuhalten. Ein Hohn, angesichts von 41 000 Festgenommenen und über 100000 aus dem Staatsdienst Entlassenen seit dem Putschversuch am 15. Juli. Gleichzeitig gibt es beinahe täglich neue Informationen über Druck, den Ankara auf DeutschTürken aufbaut: Jetzt wurde bekannt, dass die türkischen Generalkonsulate in NRW türkischstämmige Lehrer und Eltern zum Spitzeln im Unterricht aufgefordert haben. Kritik an Erdogan, die im Unterricht geäußert werde, solle an Konsulate gemeldet werden, berichtete die „Funke“-Mediengruppe. Gleichzeitig dürfen AKP-Büttel wie Regierungschef Binali Yildirim jüngst in Oberhausen mit Blick auf das Verfassungsreferendum am 16. April hier für Diktatur und Todesstrafe werben. Angesichts dessen stößt ein möglicher Erdogan-Auftritt auf immer mehr Gegenwehr.