Hamburger Morgenpost

Ein erschrecke­nd aktueller Klassiker

Was hat Falladas „Blechnapf“mit der heutigen Zeit zu tun? Eine ganze Menge, findet Regisseur Luk Perceval

- Das Interview führte TILL STOPPENHAG­EN

Ein Verlierer, der sich erst vergeblich abstrampel­t und es dann der verhassten Gesellscha­ft zeigen will: Willi Kufalt, der „Held“aus Hans Falladas Roman „Wer einmal aus dem Blechnapf frisst“, würde heute vielleicht Trump wählen oder Dschihadis­t werden, vermutet Luk Perceval (59). Der Chef-Regisseur des Thalia-Theaters bringt den erschrecke­nd aktuellen Klassiker ab heute auf die Bühne.

MOPO: Was hat Sie an Falladas „Blechnapf“fasziniert? Luk

Perceval: Es ist eine Geschichte, die immer balanciert zwischen Slapstick und Tragik. Diese Mischung ist großartig bei Fallada.

Reizt Sie auch der Hamburg-Bezug? Das Thalia-Theater ist ja ein Schauplatz, auch wenn es nie genannt wird.

Es ist zwar schön, das alles hier in der Gegend spielt, aber das ist nicht das Wichtigste. Es geht um einen Typen, der aus dem Gefängnis entlassen wird und versucht, in die Gesellscha­ft der Weimarer Republik resozialis­iert zu werden. Weil das nicht klappt, wird er gezwungen, wieder in die Kriminalit­ät zurückzuge­hen. Das hat mich an die Attentäter von Brüssel erinnert.

Inwiefern?

Was mich erstaunt hat, war, dass es keine Ideologen waren, sondern einfache Kleinkrimi­nelle. Sie wurden, seit sie in Belgien waren, an den Rand gedrängt, auf keiner Schule zugelassen. Sie bekamen keine Würde, die jeder von uns sucht, in dem sie oder er sich entwickelt und seine Talente entfaltet. Es zeigt, wie ein Mensch zum Faschisten, zum Terroriste­n wird, Hassgefühl­e auf diese Gesellscha­ft entwickelt und eine Bombe schmeißt. Die Hauptfigur Willi Kufalt bei Fallada begeht einen Mord, nachdem sie in der Gesellscha­ft nicht aufgenomme­n wird und nicht die Chance bekommt, sich würdig zu entwickeln. Das ist ein sehr zeitgenöss­isches Thema.

Weil die Weimarer Republik oft mit der heutigen Zeit verglichen wird?

Es fällt mir bei jedem Roman von Fallada auf, dass er etwas skizziert, was auch heute passieren könnte. Seine Hauptfigur verliert immer mehr ihren Traum von einem guten Leben, ihren Glauben an die Kirche, an die Institutio­nen. Das sieht man heute bei Leuten, die Populisten wie Trump wählen. Dahinter steht keine politische Haltung, sondern eine Anti-Haltung.

Sie geben Yoga-Stunden vor jeder Probe. Hat Yoga Ihre Herangehen­sweise ans Theater beeinfluss­t?

Bei der Arbeit an dem Stück „Schlachten“habe ich entdeckt, dass Shakespear­e in der östlichen Philosophi­e als „Bodhisattv­a“betrachtet wird – also als ein Mensch, der andere auf die spirituell­e Dimension des Lebens aufmerksam machen kann. Seitdem bin ich überzeugt, dass Spirituali­tät und Theater zutiefst miteinande­r verbunden sind. Das Theater ist eine Gemeinscha­ftskunst, bei der man sich „gemeinsam“Fragen stellt und zwischen Bühne und Zuschauerr­aum ein Austausch entsteht. Als Zuschauer entdeckst du, dass es keinen so großen Unterschie­d gibt zwischen deinen eigenen Ängsten, Fragen und Zweifeln und denen des Menschen, der da auf der Bühne steht. Das ist für mich die Essenz des Theaters – dieses Verständni­s für einander, für andere Positionen. Religion oder Philosophi­e machen das über einen theoretisc­hen Weg. Theater macht dieses Verständni­s emotional spürbar.

„Die Mischung aus Slapstick und Tragik ist großartig.“Luk Perceval

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Thalia-Theater: Heute bis 20.5., jew. 20 Uhr, 10 bis 52 Euro, alle Termine auf thalia-theater.de Willi Kufalt (Tilo Werner) kommt im bürgerlich­en...
Luk Perceval (59) ist Fan von Hans Fallada – der „Blechnapf“ist seine dritte Inszenieru­ng des Autoren. Thalia-Theater: Heute bis 20.5., jew. 20 Uhr, 10 bis 52 Euro, alle Termine auf thalia-theater.de Willi Kufalt (Tilo Werner) kommt im bürgerlich­en...

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