„Unsere Welt wird zunehmend durch Software gesteuert und wir brauchen eine größere Vielfalt unter denjenigen, die sie entwickeln.“
RVon CHRISTIAN SCHLÜTER
uby ist ein merkwürdiges Mädchen. Es ließe sich wohl als verhaltensauffällig bezeichnen, etwas wohlwollender als neunmalklug und spitzfindig. Nur ein Beispiel: Wenn ihr Vater sie morgens auffordert, sich für die Schule anzuziehen, dann schlüpft sie zwar in ihr grünes Kleid und streift sich auch die Schuhe über, lässt aber den Schlafanzug an. Der Vater, erklärt sie, habe sie schließlich nicht aufgefordert, den Schlafanzug auszuziehen. Ruby folgt wortgenau der väterlichen Anweisung. Dass sie in der Schule für gewöhnlich nicht in einem Schlafanzug erscheint, dass Ruby also wissen müsste, was anderswo, außerhalb der Situation, in der sie sich gerade befindet, üblich ist – das ist für sie nicht von Belang.
Ob das kindlicher Trotz ist? Ganz gewiss, doch ist Ruby eine Erfindung der finnischen Autorin Linda Liukas, die uns mit ihren Geschichten von dem naseweisen Mädchen erklären will, wie ComputerProgramme funktionieren. Die tun nämlich auch nur, was ihnen gesagt wird – nicht mehr und nicht weniger. Liukas’ Buch „Hello Ruby. Programmier dir deine Welt“richtet sich dabei vor allem an Kinder; sie sollen ermutigt werden, sich auf die bisweilen weltfremd erscheinende Logik der Computer und ihrer Codes einzulassen. Wer programmiert, muss lernen, komplexe Aufgaben in kleinen und kleinsten Schritten zu lösen, zugleich aber dafür zu sorgen, in dem Klein-Klein nicht den Blick fürs Ganze – das fertige Programm – zu verlieren.
Und so beginnt Rubys Tag mit einer anspruchsvollen Aufgabe. Der Vater hat ihr eine Postkarte geschickt, die Einladung zu einer großen Abenteuerreise, wie er schreibt: Fünf Juwelen soll das Mädchen finden, ohne allerdings zu wissen, wo sie überhaupt suchen soll. Zum Glück hat der Vater im Haus einige Zettel mit Hinweisen verstreut, die Ruby zwar vollkommen sinnlos erscheinen, die sie aber auf einer großen Landkarte in einen Zusammenhang stellt: Schlimmer als einen vagen, auf bloßen Vermutungen beruhenden Plan zu haben, ist nur, gar keinen Plan zu haben. Und sollte Ruby mit ihrem ersten Versuch keinen Erfolg haben, dann fügt sie die väterlichen Zettel eben in einem neuen Plan zusammen. Bis alles passt.
Auf ihrer Abenteuerreise lernt Ruby, die über eine sprühende Fantasie verfügt, die erstaunlichsten Wesen kennen. Pinguine, Füchse und sogar einen Schneeleoparden. Diese Tiere können wir, die geneigten Leser, als Hinweise auf die Computerwelt verstehen: Die etwas übellaunigen Pinguine vertreten das freie, dabei noch nicht ganz so anwenderfreundliche Betriebssystem Linux; die Füchse, die für Ordnung im Garten sorgen, könnten auf den Webbrowser Firefox verweisen, der uns das Internet in eine sichtbare Ordnung übersetzt; der Schneeleopard, der Ruby auffordert, sich nicht mit Details aufzuhalten, soll uns an das gleichnamige Betriebssystem von Apple erinnern, das ja für seine anwenderorientierte Einfachheit bekannt ist.
Derlei versteckte Botschaften muss man nicht unbedingt verstehen, allerdings erweitern sie den Horizont ungemein: Wenn sich ein Freund Rubys, er heißt Django, einen Python als Haustier hält und sich ansonsten mit der Lösung verquerer mathematischer Probleme beschäftigt, dann ist klar, dass mit Python auch die Programmiersprache gleichen Namens gemeint ist; Django heißt nämlich eine Software, die mit Python läuft … Und Ruby ist ebenfalls der Name für eine Programmiersprache, sie wurde Mitte der 1990er Jahre von dem Japaner Yukihiro Matsumoto entwickelt.
All diese verstreuten, versteckten Hinweise lassen sich zu einem größeren Bild zusammenfügen: Linda Liukas ist Programmiererin und arbeitet mit der Programmiersprache Ruby. Bereits als 13-Jährige gestaltete sie ihre erste Website.